Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschlechterdiskriminierung bei der Personalanwerbung. Rechtsmissbrauch beim Entschädigungsverlangen nach § 15 AGG. Kein Rechtsmissbrauch bei mehreren Entschädigungsklagen. Entschädigungsansprüche aus § 15 AGG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sucht der Arbeitgeber ausschließlich eine Frau als Sekretärin, wird allen männlichen Bewerbern die Chance auf eine Einstellung versagt. Dann liegt eine unmittelbare Geschlechterbenachteiligung vor, da eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes wie z.B. des Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

2. Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch wäre anzunehmen, sofern ein Kläger sich nicht beworben haben sollte, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen.

3. Auf Rechtsmissbrauch kann nicht bereits daraus geschlossen werden, dass eine Person mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt. Ein solches Verhalten für sich betrachtet lässt sich damit erklären, dass ein ernsthaftes Interesse an dem Erhalt der jeweiligen Stelle bestand.

4. Der Eintritt eines immateriellen Schadens wird nach der Gesetzeskonzeption des § 15 AGG im Falle einer verbotenen Benachteiligung unwiderleglich vermutet. Ein Verschulden des Arbeitgebers ist nicht Tatbestandsvoraussetzung für einen Anspruch auf Entschädigung.

 

Normenkette

AGG § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 6 Abs. 1 S. 2, § 15; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 16.12.2021; Aktenzeichen 4 Ca 592 a/21)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 16.12.2021 - 4 Ca 592 a/21 - abgeändert.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.800,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 11.06.2021 zu zahlen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits (I. und II. Instanz).
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Entschädigungszahlung wegen einer geschlechterdiskriminierenden Stellenausschreibung.

Der Kläger ist am ...1994 geboren, ledig, gelernter Industriekaufmann und absolviert ein Fernstudium zum Wirtschaftsjuristen.

Bei der Beklagten handelt es sich um einen familiengeführten Kleinbetrieb mit weniger als zehn Arbeitnehmern, welcher seinen Betriebssitz ca. 250 km entfernt vom Wohnsitz des Klägers hat. Die Beklagte unterhält eine Werkstatt und veräußert Gebrauchtfahrzeuge.

Die Tochter des Geschäftsführers der Beklagten ist im Empfang sowie in der Buchhaltung eingesetzt und führt daneben anfallende Schreibtätigkeiten und die Aktenablage aus.

Im Namen der Beklagten hat der im Werkstattbereich der Beklagten tätige Bruder des Geschäftsführers auf dem Internetportal eBay-Kleinanzeigen am ...04.2021 eine Anzeige eingestellt:

Der Wortlaut der Anzeige lautet wie folgt:

"Sekretärin gesucht!

Beschreibung:

Wir suchen eine Sekretärin ab sofort.

Vollzeit/Teilzeit

Es wäre super, wenn sie Erfahrung mitbringen.

Standort: 2.... B."

Über die Chat-Funktion der App entwickelte sich folgender Nachrichtenaustausch zwischen dem Kläger und der Beklagten:

Kläger:

"Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern.

Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.

Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben. Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann.

Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.

Ich wäre ab sofort verfügbar.

Mit freundlichen Grüßen

Herr W.

26.04.2021, 14: 44 Uhr"

Kläger:

"Über eine kurze Rückmeldung würde ich mich sehr freuen."

27.04.2021, 21.04 Uhr

Beklagte:

"Sehr geehrter Damen und Herren,

wer sind Sie und warum.

Vielen Dank

Mit freundlichen Grüßen

...haus B. GmbH"

27.04.2021, 21.05 Uhr

Kläger:

"Hallo ich heiße M. W. und suche eine neue berufliche Herausforderung. Ich hätte Interesse an ihrer ausgeschriebenen Stelle. Suchen Sie denn nur eine Frau? In ihrer Stellenbeschreibung haben Sie dies so angegeben."

27.04.21, 21.08 Uhr

Beklagte:

"Sehr geehrter Herr W.,

vielen Dank für Interesse in unserem Hause.

Wir suchen eine Dame als Sekretärin.

Wir wünschen Ihnen alles Gute

Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

R. Y.

...haus B. GmbH"

27.04.21, 21.39 Uhr

Am 30.04.2021 rief der Kläger bei der Beklagten an und beschwerte sich wegen Diskriminierung. Sein Anliegen w...

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