Leitsatz (amtlich)
Im einstweiligen Rechtsschutz ist eine umfassende Folgenabwägung dann erforderlich, wenn ohne die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 24). Dies ist im konkreten Einzelfall zu prüfen. Diese Voraussetzung ist nicht schon dadurch erfüllt, dass existenzsichernde Leistungen im Eilverfahren geltend gemacht werden.
Ein Hausbesuch ist als Inaugenscheinnahme nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X ein grundsätzlich zulässiges Beweismittel. Beim pflichtgemäßen Ermessen nach § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde zu berücksichtigen, dass ein Hausbesuch in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre der Wohnung (Art. 13 GG) eingreift. Es gibt keine Verpflichtung, einen Hausbesuch zu dulden. Er ist nur mit Einwilligung des Betroffenen möglich. Wenn infolge einer Ablehnung eines Hausbesuchs trotz Amtsaufklärung ein Sachverhalt nicht festgestellt werden kann, trägt der Beteiligte die Folgen der Nichterweislichkeit, der für diesen Sachverhalt die objektive Beweislast trägt.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgericht München vom 12. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt Dr. A. P. beigeordnet.
Gründe
I.
Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, ob der Antragsgegner vorläufig verpflichtet ist, dem Antragsteller Arbeitslosengeld II zu gewähren oder ob die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers wegen einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht besteht.
Der 1951 geborene Antragsteller lebte nach eigenen Angaben zwischen 1991 und April 2005 zusammen mit Frau F. (geboren 1954) in einem Reihenhaus. Nach der Zwangsräumung aus diesem Haus lebten der Antragsteller, Frau F. und deren Tochter (geboren 1986) für etwa drei Monate in einer zugewiesenen Unterkunft. Anschließend zogen sie miteinander in eine Dreizimmerwohnung mit Küche von 71 qm Wohnfläche.
Am 18.04.2005 stellen diese drei Personen gemeinsam einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II. Dabei wurde angegeben, dass der Antragsteller und Frau F. in eheähnlicher Gemeinschaft leben. Für den Antragsteller und Frau F. wurde daraufhin gemeinsam Arbeitslosengeld II bewilligt. Die Erstausstattung der Wohnung wurde vom Antragsgegner übernommen. In den Fortzahlungsanträgen, zuletzt am 04.04.2006, wurde jeweils angegeben, dass sich die persönlichen Verhältnisse nicht geändert hätten. Zuletzt wurden Leistungen in Höhe des gesamten Bedarfs von 1043,50 Euro bewilligt (Bescheid vom 21.04.2006).
Am 17.07.2006 teilte Frau F. mit, dass sie einen Arbeitsplatz gefunden habe. Der Arbeitsvertrag wurde angefordert und die Leistungen wurden ab 01.08.2006 gesperrt. Am 04.08.2006 teilte der Antragsteller mit, dass er und Frau F. seit circa drei Monaten von Tisch und Bett getrennt seien. Er schlafe auf einer Matratze im Wohnzimmer. Das Wohnzimmer sei zugleich das Esszimmer, das tagsüber gemeinsam genutzt werde. Frau F. und ihre Tochter hätten jeweils ein eigenes Zimmer. Der Kleiderschrank werde hälftig von ihm und Frau F. genutzt. Es werde getrennt gewirtschaftet (Einkäufe getrennt, getrenntes Waschen). Nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag verdient Frau F. monatlich 2.000,- Euro brutto plus den Arbeitgeberanteil auf die Sozialversicherung. Später wurde ein monatliches Nettoeinkommen von 1.273,90 Euro mitgeteilt. Im Formblatt zur Überprüfung einer eheähnlichen Gemeinschaft teilte Frau F. mit, dass sie ihr Einkommen zunächst für den gemeinsamen Lebensunterhalt einsetze, bevor eigene Bedürfnisse bestritten würden.
Am 08.08.2006 erfolgte ein unangemeldeter Hausbesuch. Im Schlafzimmer hätten zwei Matratzen nebeneinander auf dem Boden gelegen. Die Nutzung des Kleiderschranks sei hälftig geteilt. Putzmittel, Waschmittel usw. seien nur in einfacher Ausführung vorhanden. Der Antragsteller habe mitgeteilt, mit einem Auszug aus der Wohnung noch abwarten zu wollen. In einem ergänzenden Schreiben teilte der Antragsteller mit, dass jeder seinen getrennten Weg gehe, es sich wegen der Raumverhältnisse aber nicht vermeiden lasse, dass gemeinsam Radio gehört, Fernsehen gesehen oder der Wäschetrockner gemeinsam genutzt werde. Die Matratzen hätten wegen Rückenübungen nebeneinander am Boden gelegen. Am 11.08.2006 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Vormerkung für eine öffentlich geförderte Wohnung. Dabei gab er, trotz der dafür im Antragsformular vorgesehenen neun Freizeilen, keinerlei Begründung für den Wohnungsantrag an. Im Oktober 2006 teilte er mit, er habe eine andere Wohnung in Aussicht.
Die bisherige Bewilligung wurde aufgehoben und eine Erstattung verfügt (Bescheid vom 12.09.2006, Bescheid vom 21.06.2007, Widerspruchsbescheid vom 03.07.2007). Dagegen wurde Klage erhoben (S 32 AS 1389/07). In diesem Klageverfah...