Vertragliche Hürden der agilen Welt

Viele Unternehmen versuchen derzeit, agiles Arbeiten in der Praxis umzusetzen. Arbeitsrechtlich liegt der Fokus dabei oft auf der kollektivrechtlichen Ebene. Den ebenso wichtigen individualrechtlichen Fragen gehen unsere Autoren Barbara Reinhard und Lars Grützner nach.  

Längst machen sich Unternehmen Gedanken über agile Arbeit, agile Methoden oder über eine agile Arbeitswelt, auch wenn sich im Einzelfall hinter den Begriffen ein unterschiedliches Verständnis davon verbirgt. Dies gilt gerade mit Blick darauf, wie konsequent und in welchem Umfang diese Arbeitsmethoden eingeführt werden. Bei allen Unterschieden ist den Umstellungen auf ein agiles Arbeiten (die sogenannte agile Transformation) jedoch oft eines gemein: die Einführung flacher Hierarchien sowie flexibler Arbeitsorganisationen und -methoden.

Agiles Arbeiten: Auch Individualrecht beachten 

Aus arbeitsrechtlicher Sicht scheinen auf den ersten Blick die größten Herausforderungen der agilen Transformation auf kollektiver Ebene zu liegen. 

Sowohl die agile Transformation selbst als auch das anschließende Arbeiten in der neuen, agilen Welt beinhalten aber auch eine Fülle individualvertraglicher Fragestellungen und Hürden, die es zu nehmen gilt. Eine Auswahl der aus unserer Sicht relevanten individualvertraglichen Fallstricke soll der nachfolgende Beitrag geben. Inwieweit individualvertragliche Vorgaben bei der agilen Transformation zu beachten sind, hängt wesentlich davon ab, welche konkreten Formen in der agilen Arbeitswelt umgesetzt werden sollen. 

Agile Arbeitsmethoden teilweise vom Weisungsrecht gedeckt

Sofern Arbeitnehmer bei weitgehend unveränderter Funktion und unveränderter Teamzuordnung künftig etwa lediglich agile Arbeitsmethoden (zum Beispiel Kanban) nutzen oder bestimmte Formen von Teammeetings (beispielsweise ein „Daily“) eingeführt werden sollen, wird man kaum auf relevante Hürden treffen. Die Arbeitsverträge verhalten sich meist nicht konträr zu den einzelnen Arbeitsmethoden. Die benannten Maßnahmen sind dann allein an § 106 Gewerbeordnung (GewO), also am Umfang des Weisungsrechts des Arbeitgebers, zu messen.

Agiles Arbeiten in Projektgruppen und Teams und neue Raumkonzepte

Gleiches gilt für die Frage, ob der Arbeitnehmer seine Tätigkeit künftig – ohne Veränderung der disziplinarischen Berichtslinie – in bestimmten (funktionsübergreifenden) Projektgruppen oder Teams („Squads“, „Chapter“, etc.) erbringt und/oder dies durch Nutzung veränderter Raumkonzepte wie „Open Space“ oder „Free Seating“ geschieht. Ein Arbeitnehmer hat keinen individualvertraglichen Anspruch auf einen bestimmten konkreten Arbeitsplatz. Der Arbeitgeber hat lediglich allgemeingültige gesetzliche oder betriebliche Vorgaben einzuhalten und zu bestimmten Aspekten die betriebliche Mitbestimmung zu beachten. Eine Umsetzung auf individualrechtlicher Ebene bewegt sich sodann im Rahmen des Direktionsrechts. Solche Änderungen werden – unter Beibehaltung des Arbeitsorts, der Arbeitszeiten und der Funktionen – selten auf Schwierigkeiten stoßen.

Relevant: Wenn sich die Tätigkeit durch agile Transformation ändert

Anders ist die Situation, wenn im Einzelfall durch die agile Transformation die Tätigkeit des Arbeitnehmers erheblich berührt wird, wenn also eine wesentliche Veränderung der Arbeitsinhalte oder – gerade bei Führungskräften – des sogenannten Sozialbilds eintritt. Nach der Rechtsprechung ermittelt sich das Sozialbild aus dem Inhalt der übertragenen Aufgaben, dem Anforderungsprofil der Stelle, der Einordnung des Arbeitsplatzes in der betrieblichen Hierarchie, der Einstufung in eine Entgeltgruppe und insbesondere aus dem Umfang der Vorgesetztenfunktionen und damit aus der Anzahl unterstellter Mitarbeiter (Hessisches LAG vom 24.6.2014, Az. 8 Sa 1216/13).

Typisch: Wegfall klassischer Führungsfunktionen

In die so definierte Stellung im Betrieb wird nicht selten durch eine agile Transformation eingegriffen: Sofern Agilität nicht bei der Einführung neuer Arbeitsmethoden Halt macht, sondern sich auf die Organisationsstruktur auswirkt, führt dies zum Wegfall von klassischen Führungsfunktionen. Die flacheren Hierarchien benötigen nicht nur weniger Führungskräfte; Führungsaufgaben sind auch anders zu leben und gehen möglicherweise mit einem Mehr an Projekt- und Fachverantwortung, aber einem Weniger an Anweisungsbefugnis einher. 

Der Veränderungsprozess: Den passenden Weg finden

Sofern in der „neuen Welt“ einer Funktion in erheblichem Umfang Führungsverantwortung entzogen wird oder sich der Umfang der Entscheidungsbefugnisse ändert, wird eine vorgesehene neue Stelle nach der Verkehrsauffassung – und der bisherigen Rechtsprechung – nicht mehr als gleichwertig anzusehen sein. In diesem Fall kann sie nicht per Direktionsrecht zugewiesen werden, sodass dem Arbeitgeber nur die Möglichkeit der Änderungskündigung (mit den damit verbundenen Risiken) oder einer einvernehmlichen Änderungsvereinbarung bleibt. Dies gilt erst recht, wenn mit der neuen Funktion eine reduzierte Vergütung einhergehen soll.

Rechtliche Möglichkeiten beim Übergang in die agile Welt

Unterstellt man für den Moment, dass die agile Transformation mit einer grundlegenden Veränderung der Organisationsstruktur verbunden ist und daher Eingriffe in die Arbeitsverträge erforderlich sind, bedarf es einer grundlegenden Entscheidung zum weiteren Vorgehen. Dies mag zwar auch von dem Ergebnis der Verhandlungen mit dem Betriebsrat abhängen – denn nicht selten wird in diesem Zusammenhang die Vorgehensweise festgelegt. Es ist aber zunächst eine Frage der Taktik, der Kultur des Unternehmens und seiner Mitarbeiter sowie der Praktikabilität, den passenden Weg zu finden.

Geht es um „Massenbewegungen“, das heißt Veränderungen in den Grenzen des Direktionsrechts und in einer großen Vielzahl von Fällen, wird man immer einen einseitigen Weg des Vorgehens wählen (müssen). Sofern aber konkrete Veränderungen oder Eingriffe in die Arbeitsverträge erforderlich und vor allem die Führungskräfte betroffen sind, die den Erfolg der Maßnahme ganz wesentlich prägen werden, sollte man (auch) über andere Herangehensweisen diskutieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die agile Arbeitswelt gerade an Führungskräfte neue Anforderungen stellt, die sich juristisch kaum oder nur schwer greifen lassen (Stichwort: „Mindset“). Ein Vorgehen im Wege einer Änderungskündigung, die auch immer mit einer Sozialauswahl einhergeht, wird daher nicht das Mittel der Wahl sein.

Neue Stelle: zuweisen, festlegen oder neu besetzen?

Zusammenfassend kommen also zur Überleitung des einzelnen Arbeitnehmers in die agile Welt in Betracht:

  •  Zuweisung der neuen Stelle durch einseitige Versetzungen und/oder Änderungskündigungen;
  • einvernehmliche Festlegung der neuen vorgegebenen Stelle, verbunden mit aufwändigem Gesprächsprozess;
  • Besetzung der neuen Stellen über Bewerbungsverfahren unter Inkaufnahme juristischer „Unstimmigkeiten“.

Selbstverständlich ist auch eine Kombination mehrerer Verfahren möglich. Welcher Weg der richtige ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Das hängt neben der Größe der zu transformierenden Einheit auch von der Zielrichtung des Arbeitgebers ab. Hier sind Faktoren wie eine möglichst rechtssichere Umsetzung, eine möglichst große Akzeptanz in der Belegschaft und der Grad des Arbeitgeber-Einflusses auf die Besetzungen abzuwägen.

Größere Veränderungsprozesse mit Ausstiegs-und Abfindungsprogramm begleiten

Bei sämtlichen größeren Umsetzungsprozessen sollten Unternehmen zudem ein Thema gegenüber den Mitarbeitern, Führungskräften und Mitbestimmungsorganen offen adressieren: Im Rahmen der Umsetzung wird es nicht zu einer Mitnahme aller Mitarbeiter kommen – unabhängig davon, ob die agile Transformation mit einer Konsolidierung und einem beabsichtigten Arbeitsplatzabbau einhergeht oder die Anzahl der Arbeitsplätze unverändert bleibt. Auch die Frage, ob und wie gut die Maßnahme mit Kommunikations- und Weiterbildungsmaßnahmen begleitet wird, wird daran nichts ändern. Unternehmen werden bei einem solchen Veränderungsprozess auch Mitarbeiter verlieren oder solche mit anderen, neuen Fähigkeiten benötigen, die nicht nur intern zu finden sind. Daher empfiehlt es sich, die Vorgehensweisen mit einem passenden Ausstiegs- und Abfindungsprogramm zu begleiten.

Hinweis: Lesen Sie mehr zu den rechtlichen Wegen, die dem Arbeitgeber offen stehen sowie zu praktikablen Lösungsansätzen im Text von Dr. Barbara Reinhard und Lars Grützner, erschienen im Personalmagazin, Ausgabe 12/18. Hier geht es zur Personalmagazin-App.


Schlagworte zum Thema:  Arbeitsrecht, Agilität