Tarifeinheit: Sachverständige diskutieren über Gesetzentwurf

Manch Bahnfahrer dürfte sich dieser Tage wünschen, das geplante Gesetz zur Tarifeinheit trete bald in Kraft. Soweit ist es jedoch noch nicht. Vielmehr hatten zuletzt die Sachverständigen im Ausschuss für Arbeit und Soziales das Wort. Neben Lob gab es auch Nachbesserungsvorschläge.

Die Kontroverse um das geplante Gesetz zur Tarifeinheit ist am Wochenanfang in eine neue Runde gegangen. Mehr als ein Dutzend Sachverständige und Interessenvertreter waren zur Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Bundestags eingeladen. Sie beantworteten die Fragen der Abgeordneten zu dem geplanten Gesetz.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sprach sich klar für ein entsprechendes Gesetz zur Tarifeinheit aus. Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der BDA, äußerte die Hoffnung, dass ein Gesetz "Auswirkungen für die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen" hat und "dem Betriebsfrieden dient". Schließlich wüssten alle Beteiligten,  "wenn es eine gesetzliche Regelung zur Auflösung von Kollisionen gibt, woran sie sind".  Daher glaubt Göhner an eine "vorbeugende Wirkung" des Gesetzes im Betrieb, aber auch für die Tarifparteien.

Mehr Kooperationen, weniger Streiks?

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), vertreten durch Reiner Hoffmann, unterstützte die Gesetzesinitiative. Er sehe die Chance, die Kooperation zwischen den Gewerkschaften dadurch zu stärken – "nicht nur bezogen auf den Betrieb, sondern auch für einzelne Berufsgruppen".

Diese Chance sah Professor Gregor Thüsing von der Universität Bonn nur bedingt. Der Wert des Gesetzentwurfs sei eine stabilisierende Wirkung, indem es die Bildung von Kleinstgewerkschaften verhindere, sagte der renommierte Arbeitsrechtler. "Ob es Kooperationsanreize setzt, da würde ich doch ein großes Fragezeichen machen." Auch die Befriedungsfunktion eines solchen Gesetzes sieht Thüsing kritisch. "Es wird hier keine Streiks weniger geben aufgrund dieses Gesetzentwurfs."

Verfassungswidrig aus drei Gründen

Eine deutliche Ablehnung des Gesetzentwurfs äußerte Professor Wolfgang Däubler von der Universität Bremen: "Wir brauchen ihn meines Erachtens überhaupt nicht." Zumal ein mögliches Gesetz verfassungswidrig sei: Erstens garantiere das Grundgesetz allen Berufen, Koalitionen und Gewerkschaften zu bilden – also auch Lotsen, Lokführer, Ingenieure, die niemals in einem Betrieb die Mehrheit darstellen würden. Dadurch, dass zentrale Rechte, nämlich über Tarifverträge zu verhandeln und zu streiken, genommen würden, bliebe jedoch nichts mehr übrig von dem Grundrecht. Zum Zweiten könne die Arbeitgeberseite mittels legaler Maßnahmen den Betrieb "durch organisatorische Veränderung so zuschneiden, dass die von ihr geschätzte Gewerkschaft eine Mehrheit bekommt und die von ihr wenig geschätzte Gewerkschaft in der Minderheit bleibt".

Dritter Kritikpunkt: Der Gesetzentwurf führe dazu, meinte Däubler, dass sämtliche Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaft nicht mehr anwendbar sind, wenn die Mehrheitsgewerkschaft nur zu einem Punkt einen Tarifvertrag abschließt. Ein neuer Lohntarif der Mehrheitsgewerkschaft verdränge so den Manteltarif oder jene Vereinbarung über betriebliche Altersversorgung.

Nicht nur Kritik an der Verfassungsmäßigkeit des möglichen Gesetzes, sondern gar eine Ankündigung machte Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister: "Ich werde für die Vereinigung Cockpit das in Karlsruhe vortragen." Sogar eine einstweilige Anordnung werde geprüft, denn schon das Inkrafttreten des Gesetzes werde die Lebenswirklichkeit stark verändern, sodass "strukturelle Veränderungen in den Betrieben stattfinden würden, auch bei der Lufthansa", sagte Baum. Daher werde das Bundesverfassungsgericht die Angelegenheit klären müssen.

Recht zur Gestaltung der Tarifautonomie

Weit weniger Bedenken äußerte der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Hans-Jürgen Papier: Das Bundesverfassungsgericht habe immer betont, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit – und damit auch der Tarifautonomie – einen großen Handlungs- und Beurteilungsspielraum habe. "Ich sehe von daher verfassungsrechtliche Einwände gegen den Gesetzesentwurf nicht, weil er zum Ziel hat, bei auftretender Konkurrenz und bei Kollision für eine Regelung zu sorgen, die der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit dient, also im Grunde Verfassungswerte von hohem Rang verwirklicht", sagte Papier. Vielmehr habe der Gesetzgeber geradezu die Pflicht, für eine gesetzliche Regelung zu sorgen und die unterschiedlichen Belange in einen angemessen Ausgleich zu bringen.

Nach allem Für und Wider scheint es jedoch gar nicht so einfach, dass dem Gesetzgeber ein solch angemessener Ausgleich gelingen kann.

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