Mobbing durch Restrukturierungsmaßnahmen?

Der Ex-Chef der France Telekom muss sich wegen einer Selbstmordserie von Mitarbeitern vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: Das Management habe bewusst ein krankmachendes System geschaffen, um Mitarbeiter aus dem Unternehmen zu ekeln. Wir haben nachgefragt, wie dies aus Sicht des AGG zu beurteilen ist.

Auf unsere Fragen antwortete Dr. Leif H. Hansen, Rechtsanwalt bei Hogan Lovells.

Haufe Online-Redaktion: Kann grundsätzlich nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eine Änderung in der Firmenorganisation, eine Restrukturierungsmaßnahme, den Tatbestand des Mobbings erfüllen?

Dr. Leif H. Hansen: Der Begriff "Mobbing" ist rechtlich schwer zu fassen. Eine gesetzliche Definition für "Mobbing" gibt es nicht. Die Rechtsprechung versteht hierunter letztlich ein tatsächlich bestehendes System aus Anfeindungen, Schikanen und Diskriminierungen von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte. Diese Definition entspricht in Teilen dem Begriff der Belästigung, wie er in § 3 Abs. 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert wird. Das AGG richtet sich in erster Linie aber nur gegen Benachteiligungen, die an die dort genannten Diskriminierungsmerkmale anknüpfen. Das sind Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität. Das AGG erfasst also allenfalls einen Teilausschnitt des Mobbings.

Würde eine Restrukturierung etwa unabhängig von den oben genannten Merkmalen zu einer allgemeinen überhöhten Arbeitsbelastung für alle Mitarbeiter führen, läge beispielsweise kein Verstoß gegen das AGG vor. Anders kann es jedoch sein, wenn durch eine Restrukturierung gezielt bestimmte Mitarbeitergruppen (z.B. ältere Mitarbeiter oder Frauen) aus dem Unternehmen gedrängt oder in sonstiger Weise benachteiligt werden sollen. Hier kann durchaus ein Verstoß gegen das AGG gegeben sein. Nicht notwendig ist es, dass eine Handlung offensichtlich und unmittelbar an eines der genannten Merkmale anknüpft. Das AGG erfasst auch mittelbare Diskriminierungen.

Haufe Online-Redaktion: Welche Art von Pflichtverstoß des Arbeitgebers könnte in diesem Fall vorliegen?

Dr. Leif H. Hansen: Durch Mobbing werden vor allem die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer beeinträchtigt. Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ist als solches durch die Rechtsordnung geschützt. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann insbesondere zu Schmerzensgeldansprüchen des Arbeitnehmers führen. Der Arbeitgeber haftet hierbei für eigenes Handeln. Im Rahmen des Arbeitsvertrags kann ihm aber u.U. auch das Verhalten der von ihm beauftragten Vorgesetzten zugerechnet werden. Zudem treffen den Arbeitgeber aus dem Arbeitsvertrag sogenannte Fürsorge- und Rücksichtnahmepflichten. Einige Gerichte leiten daraus eine Verpflichtung des Arbeitgebers her, für die Arbeitnehmer ein mobbingfreies Umfeld zu schaffen. Das heißt, im Einzelfall muss der Arbeitgeber durch Weisungen oder gezielte Mitarbeitergespräche darauf hinwirken, dass Mobbinghandlungen unterlassen werden. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann auch dieser Umstand Schadensersatzansprüche des gemobbten Arbeitnehmers nach sich ziehen. Im AGG ist sogar ausdrücklich vorgesehen, dass der Arbeitgeber darauf hinzuwirken hat, dass Benachteiligungen vermieden werden. Eine klassische Restrukturierungsmaßnahme wird aber nur sehr selten einen Pflichtverstoß darstellen.

Haufe Online-Redaktion: Kann der Arbeitgeber und wenn ja wer, auch strafrechtlich belangt werden? Welchen Vorwurf müsste man ihm in diesem Fall beweisen können?

Dr. Leif H. Hansen: Auch im Strafrecht hat der Gesetzgeber bisher keinen eigenständigen „Mobbingtatbestand“ geschaffen. Ob ein Verhalten strafbar ist, muss daher grundsätzlich anhand der konkreten einzelnen Handlungen beurteilt werden. Strafbare Handlungen können hierbei typischerweise Beleidigungen, Nötigungen oder Körperverletzungen sein. Wird der Arbeitnehmer durch Mobbing auch in seinem Privatleben belästigt, kann dies unter Umständen als Nachstellung bzw. „Stalking“ (vgl. § 238 StGB) strafbar sein. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass eine klassische Restrukturierungsmaßnahme strafrechtlich relevant wird.

Der Tatvorwurf würde sich zunächst gegen denjenigen richten, der die Handlung begangen hat, also z. B. den Vorgesetzten oder den Arbeitskollegen des Mobbingopfers. Erhebt die Unternehmensleitung Mobbing zur „Firmenpolitik“ und gibt sie ihren Verantwortungsträgern ein schikanöses Verhalten gegenüber untergebenen Mitarbeitern vor, kann sie u. U. Anstifter oder sogar mittelbarer Täter hiernach begangener Straftaten sein.

Die Fragen stellte Renate Fischer

Informationen zum Interviewpartner: Dr. Leif H. Hansen