Kritik am Mindestlohngesetz nach 100 Tagen

100 Tage nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohn gibt es weiterhin Kritik aus der Wirtschaft und der Union. Über mögliche Änderungen will die Regierungskoalition am 23. April beraten.

An diesem Freitag vor hundert Tagen wurde der gesetzliche Mindestlohn und damit eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro eingeführt. Am 23. April wollen die Koalitionsspitzen mögliche Änderungen beraten. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sicherte - wie in der Koalition verabredet - eine Bestandsaufnahme zu. "Ich glaube, dass das ein Bericht ist, auf den wir stolz sein können." Der Mindestlohn habe keine erkennbaren Jobverluste oder spürbaren Preissteigerungen gebracht. Viele Menschen würden bessergestellt. Der Mindestlohn sei ein Erfolg.

Nahles sieht keinen Änderungsbedarf

Nahles erteilte Forderungen nach Änderungen am Donnerstag in Berlin eine Absage. Sie entgegnete, sie habe bisher nicht nachvollziehen können, dass diese Verpflichtungen zu monströser Bürokratie geführt hätten. Änderungen seien für sie kein Thema. Dass der Koalitionsausschuss sich mit einer der größten Sozialreformen auseinandersetze, finde sie gut. "Das heißt nicht, dass wir das Gesetz in Frage stellen müssen." Sie zeigte sich lediglich mit Blick auf ein anderes Gesetz, das Arbeitszeitgesetz, "gesprächsbereit" für praxisnähere Ausgestaltungen, wie Nahles sagte. Konkret wurde sie an dieser Stelle nicht.

Aufzeichnungspflichten weiterhin in der Kritik

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer kritisierte die Pflichten zur Aufzeichnung der Arbeitszeit. "Betriebe, die zum Beispiel viel höhere Löhne als den gesetzlichen Mindestlohn zahlen, müssen vollständig von den bürokratischen Regelungen ausgenommen werden", sagte Kramer der "Passauer Neuen Presse". Geändert werden müsse auch die Haftung der Betriebe für Subunternehmer. "Die viel zu weitgehende Auftraggeberhaftung nach dem Mindestlohngesetz belastet mittlerweile große Teile der Wirtschaft." Unklar sei, welcher Arbeitgeber für welchen Lohn hafte.

Der Chef des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion, Christian von Stetten (CDU), sagte der "Passauer Neuen Presse", die Mindestlohn-Regeln bedrohten unter anderem die traditionsreiche Walz, bei der Handwerksgesellen bisher Kost oder Logis frei hatten, aber nur Taschengeld bekamen. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, verlangte in dem Blatt einen "Mindestlohn mit Augenmaß".

Kritik auch aus Handwerksverband

Der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", die Dokumentationspflicht zum Mindestlohn stelle zehntausende Familienbetriebe im Handwerk unter Generalverdacht. Metzger, Bäcker und Konditoren müssten ohne jeden Anhaltspunkt mit dem Besuch schwer bewaffneter Zöllner rechnen.

Gewerkschaften geben Rückendeckung

Rückendeckung bekam Nahles von Verdi-Chef Frank Bsirske. "Die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit ist unverzichtbar, um die Einhaltung des Mindestlohnes kontrollieren zu können", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Vorschrift werde zu Unrecht als ein Akt dargestellt, der die Wirtschaft überfordere. Auch der Zoll benötige die Dokumentation für seine Überprüfungen. "Das Mindestlohngesetz verlangt nur, die Arbeitszeiten der Beschäftigten korrekt aufzuschreiben. Dafür reicht es, Arbeitsbeginn, -ende und -dauer per Hand zu notieren - das kann niemanden überfordern und das dauert weniger als eine Minute", sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Michaela Rosenberger, der Deutschen Presse-Agentur. Für die Kritiker scheine es "eine neue Erkenntnis zu sein, dass man jede geleistete Arbeitsstunde zu bezahlen und entsprechende Sozialgaben zu leisten hat".

dpa
Schlagworte zum Thema:  Mindestlohn, Arbeitszeiterfassung