Rz. 2
Zweck der sozialen Pflegeversicherung ist die soziale Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit im Sinne einer Grundsicherung. Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Pflegeversicherung bewusst nicht bei jeder Form eines Pflegebedarfs auch entsprechende Leistungen gewähren. Aus diesem Grund hat er Mindestmerkmale statuiert, die als gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit staatliche Leistungen der Pflegekasse gewährt werden dürfen. Die Art und die Höhe der Leistungen hingen (bis zum 31.12.2016) und hängen (seit dem 1.1.2017) vom jeweiligen Pflegebedarf ab, wobei bis zum 31.12.2016 eine Einstufung in 3 sog. Pflegestufen und mit Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum 1.1.2017 eine Einstufung in 5 sog. Pflegegrade zu erfolgen hat. Für die Gewährung staatlicher Leistungen der Pflegekasse bedarf es mithin mindestens des Vorliegens der Voraussetzungen des Pflegegrades 1. Dies bringt nunmehr auch § 14 Abs. 1 Satz 3 ausdrücklich zum Ausdruck. Danach muss die Pflegebedürftigkeit auf Dauer und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.
Rz. 3
§ 15 kommt im Gesamtkontext der Novellierung des Pflegeversicherungsrechts gemeinsam mit § 14 eine zentrale Funktion zu. Er ergänzt die in § 14 vorgenommene Legaldefinition des Begriffs der Pflegebedürftigkeit (einschließlich der in § 14 aufgeführten Kriterien zum Vorliegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung) um die grundlegenden Voraussetzungen und die Erläuterung der Methode zur Ermittlung des Pflegegrades, der wiederum maßgeblich ist für die Bestimmung der konkreten Leistungsansprüche. § 14 und § 15 stehen damit in einem untrennbaren Zusammenhang.
Rz. 4
Seit dem 1.1.2017 werden das Vorliegen und die Schwere der Pflegebedürftigkeit allein anhand des neuen, pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments (NBA) ermittelt. Das NBA beruht dabei auf dem Pflegebedürftigkeitsbegriff nach § 14 Abs. 1 und greift die in § 14 Abs. 2 genannten 6 (Pflege-)Bereiche (Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen und Belastungen, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte) sowie die dort genannten Kriterien auf. Der Kategorisierung der Pflegebereiche entsprechend ist auch das Begutachtungsinstrument in 6 sog. Module untergliedert, wobei die Begrifflichkeiten "Pflegebereiche" (aus § 14 Abs. 2) und "Module" (aus § 15) inhaltlich deckungsgleich sind; die Verwendung des Begriffs "Modul" verdeutlicht, dass eine Betrachtung im Begutachtungsverfahren erfolgt (Meßling, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 3. Aufl. 2021, § 15 Rz. 32).
Die gesonderte Feststellung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a ist damit nicht mehr erforderlich (und auch nicht mehr zulässig), denn das NBA berücksichtigt bereits in den Modulen 2 und 3 die in diesem Kontext relevanten Kriterien für Beeinträchtigungen der Selbständigkeit und der Fähigkeiten in den (Pflege-)Bereichen 2 und 3 (BT-Drs. 18/5926 S. 111).
Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass alle Pflegebedürftigen im gleichen Pflegegrad Zugang zu den gleichen Leistungen der Pflegeversicherung haben und so "die Gleichbehandlung von körperlichen, kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen der Begutachtung und in der Konsequenz beim Leistungszugang verwirklicht" wird (BT-Drs. 18/5926 S. 111).
Rz. 5
Durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neu entwickelte NBA wird Pflegebedürftigkeit anders und – nach Auffassung des Gesetzgebers – besser ermittelt: Geändert haben sich
- die Sichtweise (Blick auf die Selbständigkeit und die Fähigkeiten in den Bereichen des § 14 Abs. 2 anstelle eines nur defizitorientierten Blicks auf die erforderlichen kompensatorischen Hilfen),
- der Differenzierungsgrad (differenzierte Erfassung der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten statt einer pflegewissenschaftlich nicht sachgerechten Einschätzung des Zeitaufwands für Laienpflege bei eng definierten Verrichtungen als Bemessungsgröße für die Einordnung in eine Pflegestufe),
- die pflegefachliche Fundierung (das NBA bezieht den internationalen Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse ein),
- die Zahl und fachliche Reichweite der für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit maßgeblichen Kriterien (Erweiterung um Kriterien im Bereich der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten, der Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen, der Bewältigung von und des Umgangs mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen und im Bereich der Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte anstelle von eng definierten Verrichtungen) sowie
- die Einstiegsschwelle der Pflegeversicherung (Pflegebedürftigkeit besteht zukünftig grundsätzlich bereits ab Pflegegrad 1, für den vielfach geringere Beeinträchtigungen ausreichen als für die Schwelle der erheblichen Pflegebedürftigkeit der bisherigen Pflegestufe I)
(vgl. BT-Drs. ...