LAG Nürnberg, Urteil v. 27.3.2018, 7 Sa 304/17

Das Verbot, während der Arbeitszeit aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen, stellt eine mittelbare Diskriminierung i. S. d. § 3 Abs. 2 AGG dar und beeinträchtigt die Religionsfreiheit i. S. d. Art. 4 GG.

Sachverhalt

Die Klägerin ist seit dem Jahr 2002 bei der Beklagten, die bundesweit eine Drogeriemarktkette betreibt, als Verkaufsberaterin und Kassiererin beschäftigt. Vom 4.12.2011 bis 7.10.2014 war sie in Elternzeit. Einige Tage vor Ende der Elternzeit erschien sie im Betrieb. Hierbei trug sie, anders als vor der Elternzeit, ein Kopftuch. Die Filialleiterin wies sie darauf hin, dass man sie nicht beschäftigen werde, wenn sie bei der Arbeit ebenfalls ein Kopftuch trage.

Die Klägerin erhob hiergegen Klage. Sie wollte feststellen lassen, dass die Weisung der Beklagten unwirksam sei. Daneben machte sie für den Zeitraum Juni 2016 bis Januar 2017 Entgeltansprüche und Urlaubsgeld sowie einen pauschalen Schadensersatzanspruch gem. § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB geltend.

Die Beklagte begründete ihr Vorgehen damit, dass bei ihr die unternehmensweit geltende Kleiderordnung bestehe, nach dem die Beschäftigten ohne auffällige großflächige religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz zu erscheinen und ihre Arbeit aufzunehmen hätten. Sie wolle damit erreichen, dass sich Kunden in ihrer religiösen Weltanschauung nicht verletzt fühlten und sich zwischen den Mitarbeitern verschiedenster Kulturen und Religionen keine Probleme ergäben.

Die Entscheidung

Die Klage hatte hinsichtlich des Feststellungsantrags Erfolg. Zudem wurde die Beklagte zur Zahlung der geltend gemachten Forderungen mit Ausnahme des geltend gemachten pauschalen Schadensersatzes verurteilt.

Das Gericht urteilte, dass die Weisung der Beklagten, die Klägerin dürfe die Arbeit nur ohne das Kopftuch aufnehmen, unwirksam sei, da dies nicht vom Direktionsrecht des § 106 GewO gedeckt war; denn nach Auffassung des Gerichts verstieß die Weisung der Beklagten gegen §§ 7 Abs. 1 und 2, 3 Abs. 2, 1 AGG und war somit unwirksam.

Das Gericht führte hierzu aus, dass die Weisung eine unzulässige Diskriminierung wegen der Religion darstelle. Die Beklagte knüpfe zwar an ihre unternehmensweit geltende Neutralitätsregelung an. Dies stelle nach der EuGH-Rechtsprechung (Urteil v. 14.3.2017 – C-157/15) keine unmittelbare Diskriminierung dar, da alle Arbeitnehmer gleichbehandelt werden. Allerdings könne es sich um eine mittelbare Diskriminierung handeln, wenn sich erweise, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung tatsächlich dazu führe, dass Personen mit einer bestimmten Religion in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, dass dies durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich seien.

Im Streitfall lag nach Auffassung des Gerichts eine mittelbare Diskriminierung i. S. v. § 3 Abs. 2 AGG vor; denn die allgemeine interne Regelung beeinträchtige Arbeitnehmerinnen muslimischen Glaubens in stärkerem Maße als Angehörige anderer Glaubensrichtungen, da andere Gläubige nicht gehalten seien, auf ein bestimmtes äußeres Erscheinungsbild zu achten. Ein rechtmäßiges Ziel für die Weisung der Beklagten bestand nicht; denn es genüge hierfür nicht, wenn der Arbeitgeber sich aufgrund subjektiver Befindlichkeiten darauf berufe, eine Neutralitätspolitik betreiben zu wollen, sondern es hat eine Abwägung der beiderseitigen Interessen stattzufinden. Im vorliegenden Fall lagen keine Anhaltspunkte für konkrete Nachteile für die Beklagte vor, wenn sie die Klägerin mit Kopftuch beschäftigt hätte.

Auch wenn die Weisung der Beklagten keine Diskriminierung i. S. v. §§ 3 Abs. 2, 1 AGG darstellen würde, wäre sie unwirksam, da sie die Klägerin in ihrem Grundrecht nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzte; denn aufgrund der Weisung der Beklagten könnte sie ihren Glauben im Arbeitsverhältnis nicht leben. Insoweit habe eine Abwägung mit dem Grundrecht der Beklagten auf die freie Ausübung ihrer Unternehmerschaft aus Art. 12, 2 Abs. 1 GG zu erfolgen, welche hier jedoch nach Auffassung des LAG zugunsten der Klägerin ausgehe, da nicht feststellbar war, dass die Beklagte wirtschaftliche Nachteile zu befürchten hatte. Des Weiteren konnte sich die Beklagte auch nicht auf die negative Glaubensfreiheit ihrer übrigen Mitarbeiter berufen.

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