Rz. 99
Der Zahlungspflichtige haftet für eine ordnungsgemäße Abführung der Beiträge. Die Haftung umfasst außer den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen auch die infolge verspäteter Beitragszahlung zu erhebenden Säumniszuschläge (§ 24 Abs. 1) sowie die Zinsen für gestundete Beiträge (§ 76 Abs. 2 Satz 2). Im Wege einer Legaldefinition fasst Abs. 4 Beiträge, Säumniszuschläge und Zinsen unter dem Begriff der Beitragsansprüche zusammen.
Rz. 100
Der Arbeitgeber ist auch verpflichtet, die Anteile der Beiträge seiner Arbeitnehmer zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie zur Arbeitsförderung zusammen mit seinen Anteilen fristgemäß an die Einzugsstelle abzuführen. Mit dem Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität v. 15.5.1986 (BGBl. I S. 721) ist unter anderem § 266a in das StGB eingefügt worden. Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft, wer als Arbeitgeber Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung der Einzugsstelle vorenthält (hierzu auch Rz. 31). § 266a StGB schützt in erster Linie das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung (BT-Drs. 10/5058 S. 31; BVerfG, Beschluss v. 30.9.2002, 2 BvR 562/02; BGH, Beschluss v. 21.9.2005, 5 StR 263/05; Urteil v. 16.5.2000, VI ZR 90/99; KG Berlin, Beschluss v. 26.5.2023, 4 Ws 31/23, 161 AR 59/23).
Rz. 101
Vorenthalten i. S.d. § 266a Abs. 1 StGB sind Arbeitnehmerbeitragsanteile bereits dann, wenn sie bei Fälligkeit nicht an die Krankenkasse abgeführt worden sind (BGH, Urteil v. 1.10.1991, VI ZR 374/90; OLG Düsseldorf, Urteil v 16.9.2014, I-21 U 38/14; OLG Hamm, Urteil v. 25.5.1992, 13 U 98/90), beispielsweise wenn die Löhne und Gehälter für einen Monat nicht (mehr) ausgezahlt worden sind (BGH, Urteil v. 9.1.2001, VI ZR 407/99).
Rz. 102
Das Tatbestandsmerkmal des "Vorenthaltens" der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ist insbesondere dann erfüllt, wenn kein Lohn ausgezahlt worden ist. Auf den Zeitpunkt der Lohn- bzw. Gehaltszahlung kommt es nicht an. Denn es erscheint nicht als gerechtfertigt, denjenigen Arbeitgeber, der bei insoweit noch vorhandenem finanziellem Spielraum um eine (wenigstens teilweise) Auszahlung der Löhne bemüht ist, die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge jedoch unterlässt, der Strafsanktion zu unterwerfen, hingegen den Arbeitgeber, der bei gleicher finanzieller Lage nicht nur die Beitrags-, sondern auch die Lohnzahlung in vollem Umfang unterlässt, von der Strafbarkeit von vornherein auszunehmen. Die Pflichtenlage und die bei Nichterfüllung drohenden Sanktionen müssen sich in derartigen Fällen entsprechen: Zahlt der Arbeitgeber den Lohn aus, muss er sich um die Sicherstellung der geschuldeten Arbeitnehmerbeiträge für den Fälligkeitszeitpunkt bemühen; unterlässt er die Lohnzahlung, beschäftigt seine Arbeitnehmer jedoch weiter, so trifft ihn dieselbe strafrechtlich sanktionierte Pflicht, für den Fälligkeitszeitpunkt die Sicherstellung der Mittel zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge soweit möglich zu gewährleisten und die Zahlung termingerecht vorzunehmen (so BGH, Urteil v. 16.5.2000, VI ZR 90/99).
Rz. 103
Zusätzlich kann bei einer nicht fristgerechten Zahlung des steuerlichen Anteils eine Steuerhinterziehung i. S. d. § 370 AO vorliegen (hierzu auch BGH, Urteil v. 6.4.2016, 1 StR 523/15; Urteil v. 12.2.2003, 5 StR 165/02).
Rz. 104
Der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB ist ein Vorsatzdelikt, das zumindest bedingten Vorsatz bei der Beitragsvorenthaltung voraussetzt; hierfür sind das Bewusstsein und der Wille erforderlich und ausreichend, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen (BGH, Beschluss v. 28.5.2002, 5 StR 16/02). Für den insoweit ausreichenden bedingten Vorsatz sind diese Voraussetzungen auch dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber trotz Vorstellung von der Möglichkeit der Beitragsvorenthaltung diese gebilligt und nicht in dem erforderlichen Maße auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger auf Abführung der Arbeitnehmerbeiträge hingewirkt hat. Der Arbeitgeber muss deshalb etwaige Anzeichen von Liquiditätsproblemen, die besondere Anstrengungen zur Sicherstellung der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge verlangen, erkannt haben. Nimmt er insoweit zumindest billigend in Kauf, dass bei Unterlassung von Sicherheitsvorkehrungen möglicherweise die Arbeitnehmerbeiträge nicht mehr rechtzeitig erbracht werden können, ist hinsichtlich des Merkmals der Pflichtwidrigkeit auch Vorsatz gegeben (BGH, Urteil v. 11.12.2001, VI ZR 350/00).
Rz. 105
Der weitere Geschäftsführer einer GmbH bleibt kraft seiner Amtsstellung und seiner nach dem Gesetz gegebenen "Allzuständigkeit" für alle Angelegenheiten der Gesellschaft und damit auch für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten der Gesellschaft, zu denen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gehört, verantwortlich, auch wenn er die diesbezüglichen Aufgaben durch interne Zuständigkeitsverteilung oder durch Delegation auf andere Personen übertragen hat (h...