Leitsatz (amtlich)
Die Nachversicherung schließt nicht das Recht des Nachversicherten ein, für die nachversicherte Zeit Höherversicherungsbeiträge nachzuentrichten.
Leitsatz (redaktionell)
Nachversicherung (AVG § 9) und Höherversicherung (AVG § 11):
Bei dieser Regelung liegt ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (GG Art 3) nicht vor, weil durch die Leistung von Grundbeiträgen und die durch eine Nachversicherung begründeten Versicherungsverhältnisse verschiedenartig sind und deshalb differenzierende Regelungen in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegen.
Normenkette
AVG § 9 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 11 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1232 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1234 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. November 1965 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger, geboren ... 1924, schied am 31. Mai 1960 als Obersteuerinspektor aus dem Beamtenverhältnis aus. Er wurde für die Zeit vom 22. Oktober 1945 bis zum 31. Mai 1960 nachversichert. Der Kläger forderte die Beklagte auf, von ihm für die nachversicherte Zeit ab 1. Januar 1951 Höherversicherungsbeiträge entgegenzunehmen; er berief sich auf ein Gutachten des Oberversicherungsamts bei der Regierung von O vom 3. März 1960, wonach die Nachentrichtung derartiger Beiträge im Falle der Nachversicherung zulässig sei. Die Beklagte teilte dem Kläger am 25. Januar 1962 mit, sie habe - obwohl Höherversicherungsbeiträge nur durch Markenverwendung entrichtet werden könnten - einen von dem Kläger überwiesenen Betrag von 3.605,- DM ausnahmsweise als Höherversicherungsbeiträge für die Zeit ab 1. Januar 1958 verbucht; für die Zeit vor dem 1. Januar 1958 sei jedoch die Nachentrichtung von Höherversicherungsbeiträgen wegen der abgelaufenen Nachentrichtungsfrist (§ 140 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) unzulässig. Den Widerspruch des Klägers hielt die Beklagte für unbegründet (Bescheid vom 24. April 1962). Mit der Klage machte der Kläger geltend, ein versicherungspflichtiger Angestellter könne während seiner ganzen Beschäftigungszeit Höherversicherungsbeiträge entrichten; auch ein ausgeschiedener Beamter müsse deshalb die Möglichkeit haben, solche Beiträge für die nachversicherte Zeit nachzuentrichten; eine andere Regelung verstoße gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -).
Das Sozialgericht (SG) München wies die Klage durch Urteil vom 10. Mai 1963 ab.
Die zugelassene Berufung des Klägers wies das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 16. November 1965 zurück:
Die Nachversicherung beschränke sich darauf, die Nachteile auszugleichen, die durch das Ausscheiden aus einem bisher versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis ohne Versorgung entstehen würden. Eine allein im Ermessen des Ausgeschiedenen stehende Nachentrichtung von Höherversicherungsbeiträgen müsse ihre Grenze in § 140 Abs. 1 AVG finden, wonach Pflicht- und freiwillige Beiträge unwirksam sind, wenn sie nach Ablauf von zwei Jahren nach Schluß des Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, nachentrichtet werden. Die Beklagte habe daher mit Recht die Nachentrichtung von Höherversicherungsbeiträgen nur ab 1. Januar 1958 für zulässig gehalten. Das LSG ließ die Revision zu.
Mit der fristgemäß und formgerecht eingelegten Revision beantragte der Kläger,
die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Höherversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. Januar 1951 bis zum 31. Dezember 1957 entgegenzunehmen.
Der Kläger rügte, das LSG habe die §§ 9, 11, 140 AVG unrichtig angewandt, auch sei der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist jedoch nicht begründet.
Streitig ist, ob der Kläger, nachdem nach den §§ 9 Abs. 1, 124 AVG seine Nachversicherung für die Zeit vom 22. Oktober 1945 bis zum 31. Mai 1960 durchgeführt worden ist, berechtigt ist, rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar 1951 bis zum 31. Dezember 1957 Höherversicherungsbeiträge zu entrichten. Die Vorinstanzen haben dies im Ergebnis zu Recht verneint.
Nach § 11 AVG kann der Versicherte neben Beiträgen, die auf Grund der Versicherungspflicht oder der Berechtigung zur Weiterversicherung entrichtet sind, zusätzlich Beiträge zum Zwecke der Höherversicherung entrichten. Diese Berechtigung hat der Kläger nicht; er hat in der Zeit, für die er nachversichert worden ist, keine Beiträge geleistet, "die auf Grund der Versicherungspflicht oder der Berechtigung zur Weiterversicherung" i. S. des § 11 AVG entrichtet sind. Die Höherversicherung ist eine Zusatzversicherung, die nur neben und zu einer Pflichtversicherung oder freiwilligen Versicherung durchgeführt werden kann; "neben" bedeutet zeitlich zusammenfallend, wie sich aus der ergänzenden Vorschrift des § 130 Abs. 2 Satz 2 AVG ergibt. Danach ist Voraussetzung für die Entrichtung (von Beiträgen der Höherversicherung), daß für den Kalendermonat, für den der Beitrag der Höherversicherung gelten soll, ein Pflichtbeitrag oder ein freiwilliger Beitrag (Grundbeitrag) wirksam entrichtet worden ist. An der Entrichtung solcher Grundbeiträge i. S. des § 130 Abs. 2 AVG fehlt es hier; die Nachversicherungsbeiträge sind keine Grundbeiträge i. S. des § 130 Abs. 2 AVG. Die Pflicht zur Nachversicherung, die regelmäßig mit dem unversorgten Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung entsteht, begründet ein Versicherungsverhältnis eigener Art. Es werden nicht etwa die zunächst versicherungsfreien Beschäftigungszeiten nachträglich in versicherungspflichtige umgewandelt. Bei den Nachversicherungsbeiträgen, die der Arbeitgeber im Nachversicherungsfall zu leisten hat, handelt es sich deshalb nicht um Pflichtbeiträge in dem Sinne, wie sie das Gesetz sonst - und auch in den §§ 11, 130 Abs. 2 AVG - versteht, nämlich um Beiträge, die auf Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit laufend zu leisten sind (vgl. zB § 112 Abs. 4 und §§ 118 ff AVG). Der Nachversicherung ist gerade eigentümlich, daß die Beschäftigung, um die es sich handelt, nicht versicherungspflichtig gewesen ist und daß ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht rückwirkend hergestellt wird; die Nachversicherung hat deshalb mit der Nachentrichtung von Beiträgen für frühere versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nichts zu tun. Die Nachversicherungspflicht ist ein selbständiger Rechtsgrund für die Entrichtung von Beiträgen für die Zeit einer versicherungsfreien Beschäftigung. Daß es sich bei den Nachversicherungsbeiträgen um Beiträge besonderer Art handelt, zeigt sich auch darin, daß sie allein vom Arbeitgeber und in einer Summe zu zahlen sind (vgl. auch BSG 12, 179).
Die Nachversicherungsbeiträge gelten zwar nach § 124 Abs. 4 Satz 1 AVG als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge; eine Beschäftigung oder Tätigkeit, für die im Wege der Nachversicherung Beiträge entrichtet worden sind, steht auch nach § 9 Abs. 5 a AVG (idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - RVÄndG - vom 9. Juni 1957) einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleich; dies bedeutet jedoch nicht, daß die versicherungsfreie Beschäftigung nachträglich zu einer versicherungspflichtigen wird mit der Folge, daß Nachversicherungsbeiträge als auf Grund der Versicherungspflicht geleistete Beiträge i. S. des § 11 Abs. 1 AVG, also als Pflichtbeiträge i. S. des § 130 Abs. 2 AVG, angesehen werden müßten. Der Sinn der Vorschriften des § 124 Abs. 4 und des § 9 Abs. 5 a AVG liegt vor allem darin, daß für die Rentenberechnung die Nachversicherungsbeiträge wie Pflichtbeiträge zu behandeln sind, die für die einzelnen Jahre entrichtet sind. Das gilt zB insoweit, als nachversicherte Beschäftigungszeiten bei der Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten als versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten i. S. von § 28 Abs. 2 a und § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG gelten (vgl. auch Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung, 2. Aufl., § 1232 I S. 140). Für die Frage der Versicherungsberechtigung sind Nachversicherungsbeiträge allerdings insofern von Bedeutung, als sie die Weiterversicherung nach § 10 AVG erlauben (vgl. auch Hanow/Lehmann/Bogs, Rentenversicherung der Arbeiter, 4. Buch, 5. Aufl. zu § 1402 Anm. 6). Dies bedeutet jedoch nur, daß das Versicherungsverhältnis, das erst für die Zukunft durch die Nachversicherungspflicht als Versicherungsverhältnis eigener Art begründet worden ist, durch freiwillige Beiträge fortgesetzt werden kann wie ein durch "Grundbeiträge" begründetes Versicherungsverhältnis. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß durch die Nachversicherung auch eine Versicherungsberechtigung für die Vergangenheit durch nachträgliche Entrichtung von Höherversicherungsbeiträgen begründet werden kann. Die Nachversicherung will ihrem Wesen nach die unmittelbaren Auswirkungen des "unversorgten Ausscheidens" beseitigen und den Ausgeschiedenen insoweit so stellen, als ob er versicherungspflichtig gewesen wäre. Die Nachversicherung schließt aber nicht das Recht des Nachversicherten ein, durch Nachentrichtung von Höherversicherungsbeiträgen so gestellt zu werden wie ein Pflichtversicherter, der von der Möglichkeit, neben seinen laufenden Pflichtbeiträgen Höherversicherungsbeiträge zu leisten, Gebrauch gemacht hat. Es entspricht auch nicht dem Sinn des Gesetzes, nachträglich die Höherversicherung für die Vergangenheit zu ermöglichen. Die Höherversicherung ist, wie die Regelung über die Steigerungsbeträge (§ 38 AVG) zeigt, erkennbar auf "laufende Beiträge" abgestellt. Höherversicherungsbeiträge werden nicht nach den Zeiten bewertet, für die sie gelten; das Ausmaß der späteren Rentenerhöhung (Staffelung der Steigerungsbeträge) richtet sich vielmehr nach dem Alter des Versicherten bei der jeweiligen Beitragsentrichtung (Ankauf und Entwertung der Beitragsmarken). Auch wenn - allgemein - die Nachentrichtung von Pflichtversicherungsbeiträgen nach § 140 AVG zulässig wäre, würde die Nachentrichtung zu keinem - für die Steigerungswirkung - "günstigeren Lebensalter" führen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III, S. 704 k). Die Regelung, daß die Leistungen aus der Höherversicherung auf das Risiko zur Zeit des Alters bei der jeweiligen Beitragsentrichtung abgestellt sind, spricht dagegen, daß durch die Nachversicherung das Recht auf eine rückwirkende Höherversicherung durch Nachentrichtung von Beiträgen in einer Summe begründet wird; dagegen spricht aber auch die Art der Beitragsentrichtung - durch Verwendung von besonderen Beitragsmarken -, die das Gesetz für Beiträge der Höherversicherung vorschreibt (§§ 130 Abs. 1, 132 Abs. 2 AVG). Mit Recht haben bereits die Vorinstanzen darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber, wenn er gewollt hätte, daß die aus einer versicherungsfreien Beschäftigung ohne Versorgung Ausscheidenden nach durchgeführter Nachentrichtung auch noch die Möglichkeit haben sollten, nachträglich an der Höherversicherung teilzunehmen, dies bei Regelung der Nachversicherung oder der Höherversicherung klargestellt hätte. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) liegt hier nicht vor, weil - wie bereits ausgeführt - die durch die Leistung von Grundbeiträgen und die durch eine Nachversicherung begründeten Versicherungsverhältnisse verschiedenartig sind und deshalb differenzierende Regelungen in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegen.
Im übrigen hätte auch der Kläger nach § 21 AVG aF i. V. m. §§ 1243, 1244 der Reichsversicherungsordnung aF, Art. 2 § 4 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes während der versicherungsfreien Beschäftigung freiwillige Beiträge leisten können; diese Beiträge hätten nach § 124 Abs. 3 AVG als Beiträge der Höherversicherung gegolten. Der Kläger hat sich damals zu einer zusätzlichen - freiwilligen - Versicherung nicht veranlaßt gesehen; er wird nicht benachteiligt, wenn er, nachdem er ohne Versorgung aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden und deshalb nachversichert worden ist, durch die - freiwillige - Entrichtung von Höherversicherungsbeiträgen für die Vergangenheit eine künftige Rente nicht mehr erhöhen kann.
Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob auch § 140 Abs. 1 AVG der Nachentrichtung von Höherversicherungsbeiträgen für die Zeit vor 1958 entgegenstehen würde.
Da das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, ist die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen