Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Streitig ist noch die Rückforderung des für die Monate Januar bis August 1991 gezahlten laufenden Kindergeldzuschlags nach § 11a Abs. 8 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in Höhe von 8 x DM 144,--.

Die beklagte Kindergeldkasse hatte der Klägerin im Jahre 1991 unter dem Vorbehalt der Rückforderung laufenden Kindergeldzuschlag bewilligt; diesen rechnete die beigeladene Verbandsgemeinde auf die der Klägerin und ihren drei Kindern bis August 1991 gewährte Sozialhilfe an. Ab September 1991 bestand kein Sozialhilfeanspruch mehr, weil die Klägerin mit einem neuen Lebensgefährten zusammenlebte, der sie und die Kinder unterhielt. Im Dezember 1991 heiratete er die Klägerin; beide wurden für das Jahr 1991 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei ergab sich unter Abzug u.a. der Freibeträge für drei Kinder ein zu versteuerndes Einkommen von ca DM 42.500,--.

Das Sozialgericht (SG) hat die gegen die Rückforderung des Kindergeldzuschlags mit Bescheid vom 26. Oktober 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 1992 erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 18. November 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung der Klägerin für die Zeit des Sozialhilfebezuges (Januar bis August 1991) stattgegeben (Urteil vom 19. Januar 1995 = Breith 1995, 786). Eine Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin bestehe nur insoweit, als der Kindergeldzuschlag nicht auf die zustehende Sozialhilfe angerechnet worden sei. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. April 1990 (SozR 3-5870 § 11a Nr. 1) sei die gemäß § 11a Abs. 8 BKGG zu erbringende Leistung Einkommen i.S. des § 76 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Sie sei dazu bestimmt, die ungünstige Unterhaltssituation der Berechtigten momentan zu verbessern. Falls sich die Prognose bezüglich der Auswirkung der Kinderfreibeträge als unzutreffend erweise, entfalle die Rückforderung und Rückzahlung der Leistung jedenfalls bei Empfängern von Leistungen nach dem BSHG. In Betracht komme dann lediglich eine Erstattung unter den Leistungsträgern. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Kindergeldzuschlag zur Erfüllung eines Erstattungsanspruchs des Sozialhilfeträgers gemäß § 103 oder § 104 des Sozialgesetzbuchs - Zehntes Buch - (SGB X) an diesen oder an den Berechtigten selbst ausgezahlt worden sei. Vielmehr sei entscheidend, daß er auf die der Klägerin zustehende Sozialhilfe angerechnet worden sei.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 11a Abs. 8 i.V.m. § 11 Abs. 3 BKGG. Werde Kindergeldzuschlag - ausnahmsweise - nach § 11a Abs. 8 BKGG als laufende Leistung gezahlt, so sei noch offen, ob die hierfür geltenden Anspruchsvoraussetzungen gegeben seien. Die daraus folgende Vorläufigkeit der Leistung sowie die möglicherweise eintretende Verpflichtung zur Rückzahlung seien auch für den Berechtigten erkennbar. Das Gesetz wolle eine erleichterte Rückforderung und schnelle Abwicklung ermöglichen; bei individuellen Notlagen könnten lediglich Zahlungserleichterungen (zB Stundung oder Erlaß) gewährt werden. Die Auffassung des LSG, vom Rückforderungsvorbehalt des § 11a Abs. 8 Satz 4 i.V.m. § 11 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 BKGG könne dann kein Gebrauch gemacht werden, wenn bei Sozialhilfeempfängern eine Anrechnung auf die Sozialhilfe erfolgt sei, könne nicht auf das Urteil des BSG vom 3. April 1990 (SozR 3-5870 § 11a Nr. 1) gestützt werden. Entsprechende Ausführungen der Entscheidung gehörten nicht zu ihren tragenden Gründen; es handele sich um ein bloßes obiter dictum. Folge man dem LSG, hebele man den gesetzlichen Rückforderungstatbestand aus. Ein großer Teil der Kindergeldberechtigten, die Zahlung von laufendem Kindergeldzuschlag beantragten, beziehe Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften zum BSHG. Der Umstand, daß frühere Sozialhilfeempfänger bei Rückforderung des Kindergeldzuschlags für zurückliegende Zeiträume keine Sozialhilfeleistungen mehr erhalten könnten, sei in der Konzeption des BSHG begründet und wäre auch in diesem Rahmen zu regeln.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Januar 1995 abzuändern und die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Januar 1995 zurückzuweisen.

Sie trägt - u.a. - vor, es sei nicht möglich, die im vorliegenden Fall erkennbar werdende Unbilligkeit im Rahmen des Sozialhilferechts zu regeln, da in jedem Fall der Kindergeldzuschlag Einkommen i.S. des § 76 BSHG sei. Sie habe auch nicht von den steuerlichen Kinderfreibeträgen für das Jahr 1991 profitiert, da ihre neue Ehe bereits im August 1992 wieder zerbrochen sei.

Die Beigeladene unterstützt das Vorbringen der Beklagten.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des der Klägerin für die Monate Januar bis August 1991 gewährten laufenden Kindergeldzuschlags nach § 11a Abs. 8 BKGG.

Zwar sind die Voraussetzungen, die § 11a Abs. 8 Satz 1, Satz 4 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 4 und 5 BKGG hierfür aufstellen, erfüllt: Die Zahlung des Kindergeldzuschlages während des Leistungsjahres 1991 erfolgte unter dem Vorbehalt der Rückforderung; aufgrund der Steuerfestsetzung im Einkommensteuerbescheid vom Juli 1992, der für die Berechnung des Kindergeldzuschlages maßgeblich ist (§ 11a Abs. 1 Satz 2 BKGG), war das zu versteuernde Einkommen höher als das Zweifache des Grundfreibetrages nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz [EStG] (§ 11a Abs. 1 Satz 1, Satz 3 EStG), nämlich höher als DM 11.232,--. Damit stand der Klägerin für das Jahr 1991 kein Kindergeldzuschlag zu, so daß die insoweit entstandene Überzahlung grundsätzlich von der Klägerin zu erstatten wäre.

Eine entsprechende Erstattungspflicht bestand jedoch dann nicht, wenn der Betroffene hierdurch im nachhinein - vermehrt - sozialhilfebedürftig geworden wäre. Denn auch für die Erstattungspflicht nach § 11a Abs. 8 i.V.m. § 11 Abs. 3 BKGG war der Mindestschutz des § 42 Abs. 3 Nr. 3 SGB I in der vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 13. Juni 1994 (BGBl. I 1229) am 18. Juni 1994 geltenden Fassung für Empfänger von Vorschüssen (oder vorläufigen Leistungen: § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB I) entsprechend anwendbar. Hiernach war bei Zahlung von Vorschüssen (oder vorläufigen Leistungen) ein sich hieraus ergebender Erstattungsanspruch zu erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Leistungsempfänger eine besondere Härte bedeuten würde (nach § 42 Abs. 3 SGB I n.F. i.V.m. § 76 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - n.F. ist der Erlaß eines solchen Erstattungsanspruchs möglich, wenn die Einziehung "unbillig wäre"). Dies aber war stets dann der Fall, wenn der Empfänger nachträglich nicht mehr realisierbare Sozialhilfeansprüche gehabt hätte, d.h. ohne die vorläufigen Leistungen (vermehrt) auf die Gewährung von Sozialhilfe angewiesen gewesen wäre. Hiervon ist das BSG bereits für die Rückforderung von Urteilsleistungen ausgegangen (BSG, 7. Senat, vom 31. Oktober 1991, SozR 3-1300 § 45 Nr. 10 S. 34f. u.a. unter Bezugnahme auf BSG vom 12. September 1984, BSGE 57, 138, 145 = SozR 1300 § 50 Nr. 6).

Dies folgt aus der Überlegung, daß der Empfänger des noch im Leistungsjahr gezahlten - laufenden - Kindergeldzuschlages sonst schlechter dastünde, als wenn er von dieser zu seinen Gunsten geregelten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hätte. Die bereits während des Leistungsjahres möglichen Vorbehaltszahlungen des Kindergeldzuschlages bezwecken, die ungünstige Unterhaltssituation der Berechtigten möglichst zeitnah zum Bedarf zu verbessern. Mit diesem Zweck wäre es unvereinbar, jene Betroffenen schlechter zu stellen als einen Sozialhilfeberechtigten, für den entweder kein laufender Kindergeldzuschlag beantragt wird (ein entsprechender Antrag ist in der nach § 11a Abs. 8 Satz 1 BKGG geforderten Glaubhaftmachung enthalten: so der Senat im Urteil vom 3. April 1990, SozR 3-5870 § 11a Nr. 1 S. 3) oder dessen laufender Kindergeldzuschlag nicht dem Betroffenen selbst, sondern (wie teilweise in dem vom Senat a.a.O. entschiedenen Fall) dem Sozialhilfeträger ausgezahlt wird.

Der Senat läßt offen, ob sich das soeben erläuterte Ergebnis bereits aus § 107 SGB X herleiten läßt. Dies wäre dann der Fall, wenn der Beklagten hinsichtlich des überzahlten laufenden Kindergeldzuschlags ein Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene als Sozialhilfeträger zustünde. Dann wäre die Leistung der Beklagten an die Klägerin im streitigen Umfang im nachhinein nicht als laufender Kindergeldzuschlag zu werten, sondern kraft der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X als Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG. Richtig ist, daß, wäre der Klägerin der nicht zustehende Kindergeldzuschlag von vornherein nicht ausgezahlt worden, wie es - letztlich - der materiellen Rechtslage entsprach, die Hilfe zum Lebensunterhalt um eben diesen Betrag hätte aufgestockt werden müssen. Hieraus folgt jedoch nicht denknotwendig, daß der Sozialhilfeträger für die Überzahlung des unter Vorbehalt gewährten Kindergeldzuschlags einzustehen hat. Diese Meinung hat zwar das LSG Baden-Württemberg in einem Urteil vom 8. März 1989 (L 3 Ar 2499/87, Breith 1989, 684, 687ff.) für die Rückabwicklung überzahlter Urteilsleistungen vertreten: Sei dem Sozialhilfeträger die Vorläufigkeit der Urteilsleistungen bekannt gewesen, bestehe ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X; dann greife auch die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein, so daß in der Höhe des Erstattungsanspruchs die Urteilsleistung als Erfüllung des Sozialhilfeanspruchs gelte und daher nicht rechtswidrig erbracht sei (das hierzu ergangene Revisionsurteil [BSG 7. Senat vom 31. Oktober 1991, SozR 3-1300 § 45 Nr. 10 S. 35] äußert sich zu dieser Problematik ausdrücklich nicht, da sie für die Entscheidung unerheblich sei).

Der Senat vermag sich dem in dieser Form jedoch nicht anzuschließen. Denn der Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X (gegen den zuständigen Leistungsträger, wenn die Leistungspflicht des erbringenden Leistungsträgers nachträglich entfallen ist) besteht gegen einen Sozialhilfeträger "nur von dem Zeitpunkt ab, von dem (ihm) bekannt war, daß die Voraussetzungen für (seine) Leistungspflicht vorlagen" (§ 103 Abs. 3 SGB X). Diese Regelung hat ihre Grundlage im Sozialhilferecht; dort ordnet § 5 BSHG an, daß die Sozialhilfe einsetzt, sobald dem Sozialhilfeträger bekannt wird, daß die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen (vgl. zum Ganzen bereits das Urteil des Senats vom 12. Dezember 1995 - 10 RKg 9/95).

Insofern erscheint zweifelhaft, ob im erwähnten Sinne als "Kenntnis der Voraussetzungen für die Leistungspflicht" bereits die Kenntnis der Vorläufigkeit einer Leistung (hier: Leistung des laufenden Kindergeldzuschlags unter dem Vorbehalt der Rückforderung, wenn nach der Steuerfestsetzung diese Leistung nicht zustand) ausreicht oder ob hierfür zumindest auch die Kenntnis jener tatsächlichen Umstände gehört, aus denen sich ergibt, daß die vorläufige Leistung (voraussichtlich) zurückgefordert werden wird - im vorliegenden Fall also etwa die Kenntnis von der (bevorstehenden) Heirat der Klägerin mit der steuerlichen Folge der vollen Berücksichtigung der Kinderfreibeträge im Rahmen der gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer.

Rechtsprechung der hierfür zuständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu dieser Frage ist nicht ersichtlich; eine Antwort ergibt sich auch nicht bereits aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1981 (Buchholz 436.0 § 130 BSHG Nr. 3 S. 6ff.), wonach es dem Subsidiaritätsprinzip (§ 2 Abs. 1 BSHG) und dem "Kenntnis"-Grundsatz (§ 5 BSHG) entspreche, daß ein Sozialhilfeträger dann von der Leistungspflicht frei werde, wenn ein anderer Sozialleistungsträger - wenn auch irrtümlich - tatsächlich und vorbehaltlos leiste. Denn hieraus folgt noch nicht zwingend eine Erstattungspflicht des Sozialhilfeträgers bei Kenntnis, daß der andere Leistungsträger nur unter Vorbehalt leistet.

Auch im vorliegenden Fall ist über einen derartigen Erstattungsanspruch nicht zu entscheiden; im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Rückforderungsbescheid nach § 11a Abs. 8 Satz 1, Satz 4 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 4 und 5 BKGG kann nicht etwa der beigeladene Sozialhilfeträger zur Zahlung an die Beklagte verurteilt werden (§ 75 Abs. 2, 2. Alternative SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.10 RKg 18/95

BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Breith. 1997, 66

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