Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.07.1990)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juli 1990 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der 1920 geborene in Polen lebende Kläger wurde 1943 als Angehöriger der Deutschen Wehrmacht durch Granatsplitter im Bereich des rechten Kniegelenks verletzt und anschließend bis Januar 1944 in mehreren Lazaretten behandelt. Im Juni 1984 beantragte er beim Versorgungsamt Ravensburg Versorgungsleistungen. Dieses zog aus Polen vier Röntgenaufnahmen vom 11. Dezember 1984 (beide Kniegelenke in zwei Ebenen), ein Attest des Chirurgen S. … M. … vom 21. Januar 1985 und ein Gutachten des Dr. C. … vom 28. Juni 1985 bei. Das Versorgungsamt ließ diese Befunde durch den Chirurgen Dr. D. …, B.- -B. …, auswerten. Nach dessen Stellungnahme vom August 1986 zeigen die Röntgenaufnahmen in den Weichteilen der rechten Kniegelenksregion einen erbsengroßen und mehrere kleine kalkumlagerte Metallsplitter. Auf seinen Vorschlag erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 3. September 1986 „reizlose Narbe am rechten Unter- und Oberschenkel; reizlos eingeheilte Metallsplitter in den Weichteilen der rechten Kniegelenksregion” als Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um weniger als 25 vH an und lehnte im übrigen den Antrag des Klägers auf Teilversorgung ab. Auf den Widerspruch des Klägers wurde noch der Regierungs-Medizinaldirektor N. … vom Versorgungsärztlichen Dienst R. … gehört, der mit seiner Stellungnahme vom März 1987 der Beurteilung des Dr. D. … im wesentlichen beipflichtete. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 1987 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) Stuttgart bestellte Dr. W., B., zum Sachverständigen. Dieser hielt in seinem aufgrund der bisherigen Befunde erstellten Gutachten vom August 1987 nur noch einen einzigen Granatsplitter für nachgewiesen und beurteilte die Schädigungsfolgen wie folgt: „reizlos liegender Granatsplitter in den Weichteilen der rechten Kniekehle mit belangloser Narbe am Oberschenkel”. Daneben bestünden schädigungsunabhängige Verschleißerscheinungen an beiden Kniegelenken, links stärker als rechts. Die schädigungsbedingte MdE betrage 0 vH. Vom SG aus Polen angeforderte weitere Befundberichte über Behandlungen des Klägers in den Jahren 1948 und 1984 veranlaßten den Sachverständigen nicht zu einer Änderung seiner Beurteilung. Mit Urteil vom 12. Oktober 1989 wies das SG die Klage ab.

Mit der Berufung rügte der Kläger, daß nicht ein, sondern drei Metallsplitter eingeheilt seien, übersandte zwei undatierte weitere Röntgenaufnahmen (rechtes Knie in zwei Ebenen) und bat um Untersuchung durch deutsche Ärzte. Der Beklagte legte nunmehr eine Stellungnahme der Frau Dr. V. … vom Ärztlichen Dienst seines Landesversorgungsamtes vor, wonach weitere als die durch die Vorgutachter festgestellten Schädigungsfolgen auch aufgrund der nunmehr vorgelegten Röntgenaufnahmen nicht nachweisbar waren. Mit Urteil vom 27. Juli 1990 wies das LSG die Berufung des Klägers zurück. Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger im wesentlichen mangelnde Sachaufklärung der Vorinstanz.

Er beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 1989 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juli 1990 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Ravensburg vom 3. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 1987 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ab 1. Juni 1984 Beschädigtenversorgung zu gewähren,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen.

Der Beklagte hat zum Revisionsantrag sowie zur Revisionsbegründung keine Stellung genommen.

 

Entscheidungsgründe

II

Das Urteil des LSG beruht auf einem Verfahrensfehler. Das LSG hat seine Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) nicht voll erfüllt, wie der Senat bereits in seinem Beschluß vom 27. November 1991 ausgesprochen hat. Es hat die Aufklärung von Widersprüchen zwischen den Stellungnahmen der vom Beklagten selbst und den Gutachten des vom SG gehörten Sachverständigen unterlassen. Während sowohl die Befundunterlagen aus Polen als auch die entsprechenden Stellungnahmen der Dres. D. … und N. … von mehreren Metallsplittern in der Gegend des rechten Kniegelenks ausgehen, kommt der gerichtliche Sachverständige Dr. W. – und ihm folgend Frau Dr. V. … vom Ärztlichen Dienst des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg – zur Feststellung nur eines einzigen Stecksplitters in Erbsengröße. Das LSG hätte sich unter diesen Umständen gedrängt fühlen müssen, den zwischen den einzelnen Sachverständigenäußerungen bestehenden Widerspruch durch Befragung weiterer Sachverständiger aufzuklären. Zu diesem Zweck konnte auch die Anfertigung weiterer Röntgenaufnahmen – gegebenenfalls Schichtaufnahmen – hilfreich sein. Da die Möglichkeit besteht, daß bei Feststellung weiterer, wenn auch nur kleiner Metallsplitter im Kniegelenksbereich die vom Kläger geklagten Beschwerden ganz oder teilweise auf Schädigungsfolgen zurückzuführen sind, könnte die Nachholung der erforderlichen Feststellungen zu einer anderen Bewertung sowohl der Schädigungsfolgen als auch der durch sie hervorgerufenen MdE führen.

Da der Senat selbst eigene Ermittlungen nicht anstellen darf (§ 163 SGG), muß der Rechtsstreit gemäß § 170 Abs 2 SGG an die Vorinstanz zurückverwiesen werden. Das LSG hat im Rahmen seiner weiteren Ermittlungen auch Gelegenheit, nochmals eine Anfrage an das Krankenbuchlager Berlin unter dem Namen „P. W. …” oder „P. W. …” zu richten. Die entsprechende Anfrage des Beklagten (vgl Bl 10 Beklagtenakte) blieb möglicherweise nur deswegen erfolglos, weil in ihr der Name des Klägers mit „W. …” bezeichnet war. Mit dieser Schreibweise hatte nämlich auch die Anfrage des Beklagten an die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht (WASt) zunächst keinen Erfolg gehabt (vgl Bl 9 R einerseits und Bl 13 ff Beklagtenakte andererseits). Durch eine wiederholte Anfrage beim Krankenbuchlager Berlin sind möglicherweise Unterlagen zu erlangen, aus denen sich das genaue Verwundungsdatum, die Dauer der Lazarettbehandlung und sonstige Hinweise für die Schwere der erlittenen Primärschädigung ergeben.

Die Entscheidung kann gemäß § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung ergehen.

Die Kostenentscheidung ist der Endentscheidung vorzubehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174710

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