Verfahrensgang

SG Stuttgart (Urteil vom 25.03.1992)

 

Tenor

Auf die Revision der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. März 1992 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Kläger sind Hautärzte mit den Zusatzbezeichnungen Allergologie (beide Kläger) bzw Naturheilverfahren (Kläger zu 2). Mit den Honoraranforderungen aus ihrer dermatologischen Gemeinschaftspraxis überschritten sie im ersten Quartal 1989 bei den Ersatzkassenpatienten den Fachgruppendurchschnitt für die noch streitigen Leistungen nach den Gebührennummern 319, 346, 350, 351, 535, 915 und 3601 der Ersatzkassen-Gebührenordnung (E-GO) um jeweils mehr als das Doppelte bis zum 3,5fachen. Die beklagte Beschwerdekommission wertete dies als unwirtschaftlich und kürzte die Ansätze für die Nrn 535 und 915 E-GO auf jeweils 40 % sowie die Ansätze für die Nrn 319, 346, 350, 351 und 3601 E-GO auf jeweils 50 % Restüberschreitung.

Zur Begründung führte sie im Bescheid vom 9. August 1990 aus: Bei allen beanstandeten Leistungen liege die Ansatzhäufigkeit auf 100 Fälle verglichen mit den entsprechenden Durchschnittswerten der Fachgruppe weit im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses. Allergietestungen nach den Nrn 346, 350 und 351 E-GO würden von der großen Mehrzahl der anderen Hautärzte ebenfalls durchgeführt. Gründe für die hohen Abweichungen seien nicht erkennbar; vielmehr lasse sich aus den Behandlungsausweisen ersehen, daß der Umfang der im Einzelfall durchgeführten Tests überhöht sei. Die Gebührennummern 915 und 535 E-GO würden fast regelmäßig kombiniert angesetzt, was, abgesehen von besonders schweren Fällen, unwirtschaftlich sei. Dieser Umstand rechtfertige es, beide Leistungen sogar bis auf 40 % Überschreitung zu kürzen. Ähnliches gelte für die mikroskopische Untersuchung nach Nr 3601 E-GO, die vielfach ohne medizinische Notwendigkeit in Kombination mit der ebenfalls überhöht abgerechneten Leistung nach Nr 4441 E-GO angesetzt werde. Die als Vorbereitungsmaßnahme für die Untersuchungen nach Nrn 3601 und 4441 E-GO dienende Leistung nach Nr 319 E-GO habe konsequenterweise im gleichen Umfang reduziert werden müssen. Die Tatsache, daß die Kläger erheblich (um 34 %) geringere Arzneikosten verursacht hätten als ihre Fachkollegen, rechtfertige Mehraufwendungen bei denjenigen Leistungen, die anstelle einer Medikamentenbehandlung eingesetzt worden seien oder durch die eine unnötige Medikation vermieden worden sei. Entsprechend seien diese Leistungen auch nicht gekürzt worden.

Das von den Klägern angerufene Sozialgericht (SG) Stuttgart hat den Bescheid der Beklagten und den vorangegangenen Kürzungsbescheid der Prüfungskommission aufgehoben. Die Entscheidungen ließen nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und Bewertungen die Prüfgremien zur Feststellung der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise gelangt seien. Die Annahme unterschiedlicher Grenzwerte bzw Kürzungsgrenzen bei den einzelnen Leistungen werde nicht ausreichend begründet. Unklar sei auch, nach welchen Kriterien die Grenzziehung vorgenommen worden sei. Die maßgebenden statistischen Parameter, nämlich die Grenzwahrscheinlichkeiten und die unterschiedlichen Homogenitätsgrade der Vergleichskollektive, seien nicht ermittelt, jedenfalls nicht erkennbar berücksichtigt worden. Bei der Beurteilung der einzelnen Leistungen seien wesentliche Umstände nicht berücksichtigt worden. Hinsichtlich der Streichungen bei der Nr 535 E-GO seien die Bescheide auch deshalb rechtswidrig, weil nicht die Wirtschaftlichkeit, sondern die Abrechnungsfähigkeit dieser Gebührennummer im Streit sei und eine Fehlabrechnung allenfalls Gegenstand einer sachlichen Richtigstellung sein könne.

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) eine Verletzung des § 106 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), des § 35 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie der §§ 95, 70 Nr 4, § 51 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das angefochtene Urteil überspanne die an einen Honorarkürzungsbescheid zu stellenden Begründungsanforderungen. Die Grenzziehung für das offensichtliche Mißverhältnis bedürfe keiner ins einzelne gehenden Begründung, wenn sie sich in dem von der Rechtsprechung anerkannten Rahmen bewege und Praxisbesonderheiten nicht erkennbar seien. Eine ausreichende Homogenität der Vergleichsgruppe sei dadurch gewährleistet, daß in sie nur diejenigen Ärzte einbezogen würden, welche die betreffende Leistung ebenfalls abgerechnet hätten. Soweit das SG die Nichtberücksichtigung von Praxisbesonderheiten und kompensationsfähigen Einsparungen moniere, setze es seine – offenbar nicht immer ausreichende – Sachkunde der Sachkunde der Prüfgremien entgegen. Die im Urteil geforderte scharfe Trennung zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung und sachlicher Richtigstellung sei weder möglich noch rechtlich geboten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht weiche das Urteil von der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ab, nach der sich die Klage bei einer Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungs- oder Verordnungsweise allein gegen den Bescheid der Beschwerdekommission zu richten habe.

Die Beigeladene zu 1) (Revisionsklägerin) und der Beigeladene zu 2), der sich diesem Vorbringen angeschlossen hat, beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. März 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger haben einen förmlichen Revisionsantrag nicht gestellt.

Die Beklagte unterstützt den Standpunkt der Beigeladenen zu 1).

Alle Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist zulässig und begründet.

Gegenstand der von den Klägern erhobenen Anfechtungsklage ist entgegen der Auffassung des SG allein der Bescheid der beklagten Beschwerdekommission vom 9. August 1990. Eine gerichtliche Anfechtung des im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung von der Prüfungskommission erlassenen Bescheides scheidet -von bestimmten, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – aus Rechtsgründen aus; eine darauf gerichtete Klage ist unzulässig (vgl BSGE 72, 214, 219 ff = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 sowie das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 9. März 1994 – 6 RKa 5/92 –, jeweils mwN).

Die Beklagte ist auch nach der Neufassung des SGB V durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) in dem anhängigen Rechtsstreit weiterhin passiv legitimiert. Zwar hat das GSG die bisherige Aufteilung der ambulanten Versorgung in einen kassen- und einen vertragsärztlichen Bereich mit Wirkung vom 1. Januar 1993 beseitigt und die Wirtschaftlichkeitsprüfung für alle Kassenarten gemeinsamen Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen übertragen (§ 106 Abs 4 SGB V idF des GSG). Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Ersatzkassenverbände haben jedoch durch Vereinbarung vom 29. Januar 1993 (Deutsches Ärzteblatt 1993, C-438) eine Übergangsregelung dahingehend getroffen, daß die Prüfung der Behandlungs- und Verordnungsweise der Vertragsärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen im Ersatzkassenbereich für die Abrechnungsquartale bis einschließlich IV/1992 weiterhin nach den bis zum 31. Dezember 1992 gültig gewesenen vertraglichen Bestimmungen durch die nach diesen Bestimmungen zuständigen Prüfungseinrichtungen (Prüfungs- und Beschwerdekommissionen) erfolgt. Der Senat hat eine ähnliche Übergangsregelung für die Prüfung zurückliegender Quartale bereits anläßlich der voraufgegangenen Neuordnung des Prüfwesens im Ersatzkassenbereich durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) als zulässig angesehen (BSGE 67, 41, 43 = SozR 3-2500 § 106 Nr 2 S 4). Er hält sie aus den seinerzeit angeführten Gründen auch im Zusammenhang mit den nunmehr durch das GSG eingeführten Änderungen für statthaft.

In der Sache führt die Revision zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die rechtlichen Erwägungen, aus denen das SG die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Kürzungsentscheidung herleitet, sind nicht stichhaltig.

Rechtsgrundlage für die von den Prüfgremien praktizierte Form der arztbezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten ist § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 iVm Abs 7 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des GRG. Mit dieser seit 1. Januar 1989 geltenden Bestimmung hat der Gesetzgeber die in der Praxis seit langem angewandte, bislang aber im Gesetz nicht verankerte und lediglich durch Richterrecht sanktionierte Methode des statistischen Kostenvergleichs als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit anerkannt und als Regelprüfmethode übernommen. Er hat damit zugleich die zur Legitimation einer statistischen Vergleichsprüfung unerläßliche Annahme gebilligt, daß die Gesamtheit aller Ärzte im Durchschnitt gesehen wirtschaftlich behandelt, jedenfalls nicht – wie gelegentlich behauptet wird – das Maß des medizinisch Notwendigen und Zweckmäßigen unterschreitet, und daß deshalb der durchschnittliche Behandlungsaufwand einer Arztgruppe grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Wirtschaftlichkeitsprüfung eines Angehörigen dieser Arztgruppe ist. Ob sich aus der erstmaligen Festschreibung dieses Maßstabes im Gesetz Folgerungen in Richtung auf eine Einschränkung der bisher von der Rechtsprechung zugestandenen großzügigen Überschreitungstoleranzen und einen erhöhten Rechtfertigungszwang für erheblich über dem Durchschnitt liegende Behandlungs- und Verordnungskosten ergeben, bedarf im vorliegenden Fall keiner Erörterung, weil sich der angefochtene Bescheid auch auf der Grundlage der bisher von der Rechtsprechung aufgestellten geringeren Anforderungen als rechtmäßig erweist.

Die arztbezogene Prüfung nach Durchschnittswerten, die unter der Voraussetzung ausreichender Vergleichbarkeit auch zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Ansatzes einzelner Leistungspositionen des BMÄ bzw der E-GO herangezogen werden kann (BSGE 71, 194, 196 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15), basiert auf einer Gegenüberstellung der durchschnittlichen Fallkosten einerseits des geprüften Arztes und andererseits der Gruppe vergleichbarer Ärzte. Eine Unwirtschaftlichkeit ist anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem Vergleichsgruppendurchschnitt liegt, daß sich die Mehrkosten nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lassen und deshalb zuverlässig auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise als Ursache der erhöhten Aufwendungen geschlossen werden kann. Wann dieser mit dem Begriff des offensichtlichen Mißverhältnisses gekennzeichnete Überschreitungsgrad erreicht ist, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsgegenstandes und den Umständen des konkreten Falles ab und entzieht sich einer allgemeinverbindlichen Festlegung. Bei einem Einzelleistungsvergleich kann der Beweis der Unwirtschaftlichkeit regelmäßig nicht allein mit der Feststellung und Angabe von Überschreitungsprozentsätzen geführt werden; vielmehr bedarf es einer genaueren Untersuchung der Strukturen und des Behandlungsverhaltens innerhalb des speziellen engeren Leistungsbereichs sowie der Praxisumstände des geprüften Arztes, um die Eignung der Vergleichsgruppe und den Aussagewert der gefundenen Vergleichszahlen beurteilen zu können. Die dazu angestellten Erwägungen müssen, damit sie auf ihre sachliche Richtigkeit und – soweit sie in Ausübung eines Beurteilungsspielraums erfolgen – auf ihre Plausibilität und Vertretbarkeit hin überprüft werden können, gemäß § 35 Abs 1 SGB X im Bescheid genannt werden oder jedenfalls für die Beteiligten und das Gericht erkennbar sein. Im Hinblick darauf, daß die Festlegung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis von der Beurteilung zahlreicher mehr oder weniger unbestimmter und in ihren wechselseitigen Auswirkungen nicht exakt quantifizierbarer Einzelfaktoren abhängt und auch bei Berücksichtigung aller relevanten Umstände letztlich eine wertende Entscheidung erfordert, verbleibt den Prüfungsorganen insoweit ein Beurteilungsspielraum.

Mit diesen rechtlichen Vorgaben ist es nicht vereinbar, wenn das SG der Beklagten für die Grenzwertbestimmung eine rein statistische Vorgehensweise vorschreibt. Der Senat geht zwar, wie zuvor ausgeführt, ebenfalls davon aus, daß die Prüfung nach Durchschnittswerten auf einem statistischen Kostenvergleich aufbaut. Er hat aber wiederholt klargestellt, daß die statistische Betrachtung nur einen Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausmacht und durch eine sog intellektuelle Prüfung und Entscheidung ergänzt werden muß, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte, wie das Behandlungsverhalten und die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe und die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten, in Rechnung zu stellen sind (BSGE 62, 24, 25 ff = SozR 2200 § 368n Nr 48 mwN; BSGE 71, 194, 197 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15). Diese Gesichtspunkte sind nicht erst in einem späteren Verfahrensstadium oder nur auf entsprechende Einwendungen des Arztes, sondern bereits auf der ersten Prüfungsstufe von Amts wegen mit zu berücksichtigen; denn die intellektuelle Prüfung dient dazu, die Aussagen der Statistik zu überprüfen und ggf zu korrigieren. Erst aufgrund einer Zusammenschau der statistischen Erkenntnisse und der den Prüfgremien erkennbaren medizinisch-ärztlichen Gegebenheiten läßt sich beurteilen, ob die vorgefundenen Vergleichswerte die Annahme eines offensichtlichen Mißverhältnisses und damit den Schluß auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise rechtfertigen.

In der bisherigen Rechtsprechung ist allerdings die Frage, an welcher Stelle im Ablauf des Prüfverfahrens die von der Typik der Fachgruppe abweichenden Praxisumstände des geprüften Arztes zu berücksichtigen sind, nicht einheitlich beantwortet worden. Das BSG hat es den Prüfungseinrichtungen freigestellt, diese Umstände je nach Zweckmäßigkeit entweder schon am Beginn der Prüfung durch Bildung einer engeren Vergleichsgruppe oder erst in einem nachfolgenden Prüfungsabschnitt durch Ermittlung und Anrechnung des ihretwegen erforderlichen Mehraufwandes zur Geltung zu bringen (BSGE 50, 84, 87 = SozR 2200 § 368e Nr 4 S 9; SozR 2200 § 368n Nr 31 S 105; SozR 2200 § 368n Nr 50 S 170). Das ist überwiegend so aufgefaßt worden, daß im zweiten Fall zunächst nach statistischen Kriterien über das Vorliegen eines offensichtlichen Mißverhältnisses zu befinden und erst danach gegebenenfalls zu prüfen sei, ob und inwieweit der durch die Fallkostendifferenz begründete Nachweis der Unwirtschaftlichkeit durch Praxisbesonderheiten widerlegt werde (so ausdrücklich zB BSG SozR 2200 § 368n Nr 3 S 8 f; Nr 31 S 99; Nr 43 S 144; Danckwerts, MedR 1991, 316, 320; Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht, 1994, S 226 RdNr 520 mwN). Indessen wird eine derartige Ausgestaltung des Prüfverfahrens weder der beweisrechtlichen Funktion und Bedeutung des offensichtlichen Mißverhältnisses noch den Erfordernissen einer effizienten Wirtschaftlichkeitsprüfung gerecht.

Wie der Senat zuletzt im Urteil vom 8. April 1992 (SozR 3-2500 § 106 Nr 11 S 59) dargelegt hat, kommt der Feststellung eines offensichtlichen Mißverhältnisses praktisch die Wirkung eines Anscheinsbeweises zu. Nach dessen Regeln kann aus einer Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnitts nur dann auf eine Unwirtschaftlichkeit geschlossen werden, wenn ein solcher Zusammenhang einem typischen Geschehensablauf entspricht, also die Fallkostendifferenz ein Ausmaß erreicht, bei dem erfahrungsgemäß von einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise auszugehen ist. Ein dahingehender Erfahrungssatz besteht aber nur unter der Voraussetzung, daß die wesentlichen Leistungsbedingungen des geprüften Arztes mit den wesentlichen Leistungsbedingungen der verglichenen Ärzte übereinstimmen. Der Beweiswert der Statistik wird eingeschränkt oder ganz aufgehoben, wenn bei der geprüften Arztpraxis besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogene Gruppe untypisch sind. Sind solche kostenerhöhenden Praxisbesonderheiten bekannt oder anhand der Behandlungsausweise oder der Angaben des Arztes (zu dessen Mitwirkungspflicht vgl BSG SozR 2200 § 368n Nr 31 S 101) erkennbar, so müssen ihre Auswirkungen bestimmt werden, ehe sich auf der Grundlage der statistischen Abweichungen eine verläßliche Aussage über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise treffen läßt. Das gilt um so mehr, als mit der Feststellung des offensichtlichen Mißverhältnisses eine Verschlechterung der Beweisposition des Arztes verbunden ist, die dieser nur hinzunehmen braucht, wenn die Unwirtschaftlichkeit nach Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles als bewiesen angesehen werden kann.

Umgekehrt können die Krankenkassen und die KÄVen ihren gesetzlichen Auftrag aus § 106 Abs 1 SGB V, die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu überwachen, nur unzureichend erfüllen, wenn es den Prüfungseinrichtungen verwehrt wird, die Praxisumstände des Arztes und andere medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte bereits im Rahmen des statistischen Kostenvergleichs bei der Bewertung der aufgetretenen Fallkostendifferenzen mit zu berücksichtigen. Das beruht darauf, daß eine rein statistische Vergleichsprüfung aus methodischen Gründen nur begrenzte Erkenntnisse über die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit zu vermitteln vermag. Soll der Beweis für eine unwirtschaftliche Behandlungsweise auf der Grundlage der ausgewiesenen Fallkostenüberschreitungen allein nach mathematisch-statistischen Kriterien geführt werden, so muß bei wenig homogenen Vergleichsgruppen mit stark streuenden Werten bei der Festlegung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis ein sehr weiter Toleranzbereich vorgesehen werden, der aus medizinisch-ärztlicher Sicht bei Kenntnis des Behandlungsverhaltens der Fachgruppenangehörigen einerseits und des geprüften Arztes andererseits vielfach nicht gerechtfertigt ist. Eine verfeinerte, auf Teilbereiche der ärztlichen Tätigkeit bezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung in der Form von Sparten-oder Einzelleistungsvergleichen könnte mangels genügend ausgereifter statistischer Verfahren überhaupt nicht durchgeführt werden (vgl Gaus, Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise des Kassenarztes, 1988, Kapitel 11.2, S 52 f). Die Folge wäre, daß dann auch gröbere Unwirtschaftlichkeiten unerkannt bleiben müßten bzw im Rahmen der angewandten Prüfmethode nicht beanstandet werden könnten. Für eine derartige Beschränkung der Beweismöglichkeiten gibt es keinen sachlichen Grund.

Die Beklagte war bei dieser rechtlichen Ausgangslage entgegen der Auffassung des SG aus Rechtsgründen nicht gehalten, für das offensichtliche Mißverhältnis eine Grenzwahrscheinlichkeit festzulegen oder bestimmte für die Beurteilung der Homogenität der Vergleichsgruppe geeignete statistische Kenndaten zu erheben, sondern konnte sich mit einem Vergleich auf der Grundlage arithmetischer Durchschnittszahlen begnügen. Ebensowenig sind die Bescheide deshalb rechtswidrig, weil in ihnen der Grenzwert für das offensichtliche Mißverhältnis nicht exakt mit einem bestimmten Überschreitungsprozentsatz angegeben ist. Der Senat hat bereits im Urteil vom 28. Oktober 1992 (BSGE 71, 194, 198 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15) ausgeführt, daß die Prüfungseinrichtungen sich nicht ausdrücklich auf einen bestimmten Grenzwert festlegen müssen, wenn sich aus den vorgenommenen Kürzungen in Verbindung mit der dazu gegebenen Begründung ersehen läßt, bei welcher Überschreitung ein offensichtliches Mißverhältnis angenommen wurde. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte erkennbar davon ausgegangen, daß jedenfalls bei den nach Kürzung belassenen Abweichungen um 50 % bei den Nrn 319, 346, 350, 351 und 3601 und um 40 % bei den Nrn 535 und 915 E-GO die Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit erreicht ist.

Die vorgenommene Grenzziehung ist nicht zu beanstanden; sie hält sich innerhalb des gegebenen Beurteilungsspielraums und ist mit den im Bescheid vom 9. August 1990 angestellten Erwägungen plausibel und nachvollziehbar begründet worden. Zunächst haben die Prüfgremien die Grundlagen für eine aussagefähige Vergleichsbetrachtung dadurch geschaffen, daß sie mit Ausnahme des Sonderfalles der Nr 535 E-GO nur fachgruppentypische Leistungen geprüft und zugleich nur diejenigen Ärzte in den Vergleich einbezogen haben, welche die betreffende Leistung im streitigen Quartal tatsächlich abgerechnet haben. Bei den Allergietests nach Nrn 346, 350 und 351 E-GO sind dies im Quartal I/89 zwischen 67 und 77 % der Fachgruppenangehörigen gewesen; auch sind diese Testverfahren jeweils in einer größeren Zahl pro 100 Fälle durchgeführt worden, so daß von einer ausreichenden Signifikanz der festgestellten Abweichungen ausgegangen werden kann. Anders wäre es allerdings, wenn sich feststellen ließe, daß die Kläger ein im Vergleich zur Fachgruppe anders zusammengesetzes Patientengut mit erheblich mehr allergischen Hauterkrankungen bzw Allergieverdachtsfällen zu betreuen hätten als andere, ebenfalls allergologisch tätige Hautärzte. Den diesbezüglichen Vortrag der Kläger, sie hätten deshalb ein anderes Patientengut, weil in ihrer näheren Umgebung keine HNO-Ärzte bzw Lungenärzte Allergietestungen durchführten, bezeichnet die Revision indessen zu Recht als unerheblich. Denn Hautärzte dürfen Allergietestungen nur bei Hauterkrankungen, nicht aber im Bereich von HNO- oder Lungenerkrankungen vornehmen, so daß insofern eine vom Durchschnitt der allergologisch tätigen Dermatologen abweichende Zusammensetzung des Patientengutes nicht vorliegen kann, es sei denn, die Kläger würden ihre Fachgebietsgrenzen nicht einhalten.

Bei der mikroskopischen Untersuchung nach Nr 3601 E-GO, die im Quartal I/89 von ca 70 % der Hautärzte abgerechnet worden ist, überschreiten die Kläger den Fachgruppendurchschnitt um mehr als das Dreifache. Nach den Feststellungen der Prüfgremien ist dies wesentlich dadurch bedingt, daß sie die Leistung ohne erkennbaren medizinischen Grund weitaus häufiger als andere Dermatologen in Kombination mit der mykologischen Untersuchung nach Nr 4441 E-GO ansetzen. Eine plausible Erklärung für diese Vorgehensweise ist auch während des Gerichtsverfahrens nicht gegeben worden, so daß der Schluß auf einen teilweise unwirtschaftlichen Ansatz dieser Leistung gerechtfertigt erscheint. Die Streichung der über das 1,5fache des Fachgruppendurchschnitts hinausgehenden Ansätze bei der Nr 319 E-GO (Abstrichentnahme zur mikrobiologischen oder zytologischen Untersuchung) ist die zwangsläufige Konsequenz aus den Kürzungen bei den zuvor genannten Leistungen, weil die Abstrichentnahme als vorbereitende Maßnahme nur in dem Umfang wirtschaftlich sein kann wie die nachfolgende Gewebeuntersuchung selbst.

Die Annahme eines offensichtlichen Mißverhältnisses schon bei 40 % Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts bei den Leistungen nach Nrn 535 und 915 E-GO ist ebenfalls plausibel begründet worden. Die Heißluftanwendung nach Nr 535 E-GO wird von den Klägern als Vorbereitung der Aknebehandlung nach Nr 915 E-GO eingesetzt, obwohl die Anwendung von heißen Kompressen bereits Bestandteil der zuletzt genannten Leistung ist und die zusätzliche Applikation von Heißluft deshalb im Regelfall stets unwirtschaftlich ist. Dies ist durch den Beschluß Nr 609 der Arbeitsgemeinschaft gemäß § 19 Arzt-/Ersatzkassen-Vertrag aF (Deutsches Ärzteblatt 1990, C-1764) mit Wirkung ab 1. Januar 1991 verbindlich klargestellt worden und wird auch von den Klägern selbst nicht mehr bestritten. Bei dem Öffnen und Ausquetschen von Akneknoten nach Nr 915 E-GO handelt es sich um eine dermatologische Standardleistung, die von nahezu allen Hautärzten erbracht wird bzw erbracht werden kann. Eine erhebliche Abweichung vom Fachgruppendurchschnitt kann bei dieser Leistung nicht mit einer besonderen Zusammensetzung der Patientenschaft, sondern nur durch die Tatsache erklärt werden, daß die Indikation zur Aknebehandlung von den Klägern wesentlich großzügiger gestellt wird als vom Durchschnitt der übrigen Hautärzte. Mit Recht weist die Beigeladene zu 1) zudem darauf hin, daß sich bei der Aknebehandlung leicht die Grenzen zwischen Krankenbehandlung und Maßnahmen der allgemeinen Hygiene verwischen, so daß auch aus diesem Grunde ein engerer Prüfungsmaßstab gerechtfertigt ist.

Daß der angefochtene Bescheid auf diese jedem Vertragsarzt geläufigen Zusammenhänge nicht im einzelnen eingeht, ist unschädlich. In der Begründung eines Verwaltungsaktes müssen zwar gemäß § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitgeteilt werden, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründungsanforderungen sind aber von Fall zu Fall verschieden und richten sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekanntgegeben werden, daß er seine Rechte sachgemäß verteidigen kann. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken und braucht Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich darzulegen (BSG SozR 2200 § 773 Nr 1; BVerwGE 22, 215, 217 f; 38, 191, 194; BVerwG NVwZ 1986, 374, 375; 919, 921; jeweils mwN). Die Beigeladene zu 1) mißt in diesem Zusammenhang mit Recht dem Umstand Bedeutung zu, daß sich die im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehenden Bescheide an einen sachkundigen Personenkreis richten, der mit den Leistungs- und Abrechnungsvoraussetzungen vertraut ist und zu dessen Pflichten es gehört, über die Grundlagen der wirtschaftlichen Praxisführung und der Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen unter Wahrung des Gebots der Wirtschaftlichkeit Bescheid zu wissen. Das erlaubt es den Prüfgremien, entsprechende Kenntnisse vorauszusetzen und die Begründung ihrer Bescheide hierauf einzustellen.

Durch die von den Klägern geltend gemachten erheblichen Einsparungen bei den Arzneiverordnungskosten wird die Vermutung der unwirtschaftlichen Behandlungsweise nicht ausgeräumt. Solche Einsparungen können Mehrkosten bei der ärztlichen Behandlung nur rechtfertigen, wenn zwischen beiden ein ursächlicher Zusammenhang in der Weise besteht, daß entweder durch die Behandlungsmaßnahme eine sonst notwendige Arzneitherapie ersetzt oder durch eine aufwendigere Diagnostik ein gezielterer Einsatz von Medikamenten ermöglicht worden ist. Für beides hat sich in bezug auf die hier streitigen Leistungen kein Anhalt ergeben.

Die vorgenommenen Kürzungen beschränken sich auf den im Bereich der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit liegenden Mehraufwand und mußten deshalb nicht besonders begründet werden. Der angefochtene Bescheid erweist sich damit entgegen der Auffassung der Vorinstanz als rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei dessen Absatz 4 im Hinblick auf den Zeitpunkt der Revisionseinlegung noch in der früheren, bis 31. Dezember 1992 geltenden Fassung anzuwenden war (BSGE 72, 148, 156 f = SozR 3-2500 § 15 Nr 1).

 

Fundstellen

AusR 1995, 26

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