Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Rechtsmittelzulassung durch Berichtigungsbeschluß

 

Leitsatz (amtlich)

Schon bei Verkündung des Urteils muß im arbeitsgerichtlichen Verfahren offenbar sein, in welchem Umfang die Entscheidung mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Eine Rechtsmittelzulassung kann daher im arbeitsgerichtlichen Verfahren weder durch Berichtigungsbeschluß noch (bei fehlender Verkündung) durch Aufnahme in die Entscheidungsgründe nachgeholt werden.

 

Normenkette

ZPO § 319; ArbGG § 64

 

Verfahrensgang

BVerfG (Urteil vom 15.01.1992; Aktenzeichen 1 BvR 1140/86)

LAG Hamm (Beschluss vom 15.04.1986; Aktenzeichen 6 Sa 264/86)

ArbG Rheine (Urteil vom 14.11.1985; Aktenzeichen 1 Ca 791/85)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. April 1986 – 6 Sa 264/86 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

 

Gründe

Der Kläger ist bei der Beklagten als Weber beschäftigt. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 14. November 1985 verurteilt, an den Kläger DM 123,60 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 20. Juni 1985 zu zahlen. In dem in Abwesenheit der Parteien verkündeten Urteilstenor hat das Arbeitsgericht die Berufung nicht zugelassen. Durch Beschluß vom 14. November 1985, der den Parteien zusammen mit dem Urteil am 15./16. Januar 1986 zugestellt wurde, hat das Arbeitsgericht den Tenor des Urteils vom 14. November 1985 wie folgt berichtigt: „Die Berufung wird zugelassen”. In den Gründen des Beschlusses wird ausgeführt, daß im Tenor des Urteils trotz entsprechenden Beratungsergebnisses versehentlich die Zulassung der Berufung unterblieben ist. Darauf wird auch in den Entscheidungsgründen des Urteils hingewiesen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts durch Beschluß vom 15. April 1986 als unzulässig verworfen und die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluß zugelassen.

Mit der sofortigen Beschwerde erstrebt die Beklagte die Aufhebung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts, die Zulässigkeitserklärung der Berufung und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Der Kläger beantragt Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts mit Recht als unzulässig verworfen. In dem in einer vermögensrechtlichen Streitigkeit ergangenen Urteil des Arbeitsgerichts ist die Beklagte zur Zahlung eines Betrags von DM 123,60 brutto nebst Zinsen verurteilt worden. Der Wert des Beschwerdegegenstandes lag danach unter DM 800,–, so daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts nur dann statthaft war, wenn die Berufung in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden wäre (§ 64 Abs. 2 ArbGG). Diese Voraussetzung ist jedoch nicht erfüllt, da die Berufung in dem vom Arbeitsgericht verkündeten Tenor nicht zugelassen worden ist und die Zulassung der Berufung durch Berichtigungsbeschluß und in den Entscheidungsgründen nicht ausreicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 23 – Mai 1973 – 4 AZR 364/72 –, AP Nr. 17 zu § 319 ZPO mit weiteren Nachweisen) muß bei der Verkündung des Urteils offenbar sein, in welchem Umfang die Entscheidung anfechtbar ist. Dies ist ein Gebot der Rechtsmittelklarheit und damit der Rechtssicherheit und ergibt sich aus § 60 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, wonach zwingend vorgeschrieben ist, daß bei der Verkündung des Urteils, die gemäß § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Vorlesen der Urteilsformel erfolgt, der wesentliche Inhalt der Entscheidungsgründe mitzuteilen ist, sofern nicht beide Parteien abwesend sind. Im Falle der Abwesenheit beider Parteien bei der Verkündung des Urteils – wie vorliegend – reicht es nicht aus, die Berufung (bzw. Revision) lediglich in der schriftlichen Urteilsbegründung zuzulassen oder durch Berichtigungsbeschluß nachzuholen; denn auch in diesem Falle muß bereits bei der Verkündung des Berufungsurteils Klarheit über die Zulassungsentscheidung bestehen (vgl. BAG Urteil vom 9. März 1968 – 5 AZR 252/67 –, AP Nr. 14 zu § 319 ZPO; BAG 25, 9, 10 = AP Nr. 2 zu § 566 ZPO, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 23. Mai 1973 – 4 AZR 364/72 –, AP Nr. 17 zu § 319 ZPO; bezüglich der Rechtsbeschwerde gemäß § 92 ArbGG: BAG Beschluß vom 21. März 1974 – 1 ABR 19/74 –, AP Nr. 13 zu § 92 ArbGG 1953). Dies haben zuletzt der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Beschluß vom 2. April 1986 – 2 AZR 288/85 – (unveröffentlicht), der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Beschluß vom 21. März 1986 – 5 AZB 19/85 – (unveröffentlicht) und Urteil vom 24. März 1982 – 5 AZR 1183/79 – (unveröffentlicht) und der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Beschluß vom 19. November 1985 – 1 AZR 1154/79 – (unveröffentlicht) entschieden. Auch der erkennende Senat hat zuletzt durch Beschluß vom 9. Dezember 1980 – 4 AZR 345/79 – (unveröffentlicht) unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im gleichen Sinne entschieden. Der Senat schließt sich vor allem der eingehenden, zutreffenden Begründung des Zweiten Senats an, der in seinem Beschluß vom 2. April 1986 nochmals unter Zusammenfassung aller Gründe ausgeführt hat:

§ 319 ZPO gestattet es, von Amts wegen Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, jederzeit zu berichtigen. Dadurch wird eine Ausnahme vom Grundsatz der innerprozessualen Bindung des Gerichts an seine Entscheidung gemäß § 318 ZPO zugelassen. Diese Ausnahme ist dann sinnvoll, wenn der in der Entscheidung enthaltene Ausspruch nicht mit dem Gewollten übereinstimmt. § 318 ZPO darf nach herrschender Meinung nur in den Fällen der Unstimmigkeit zwischen Willen und Erklärung durchbrochen werden, bei denen die Unrichtigkeit der niedergelegten Erklärung offenbar ist, d.h. sich selbst für den Außenstehenden aus dem Zusammenhang des Urteils oder aus den Vorgängen bei Erlaß und Verkündung ohne weiteres ergibt (BGHZ 20, 188, 192; BGHZ 78, 22 = AP Nr. 19 zu § 319 ZPO; BAG 22, 53, 56 = AP Nr. 15 zu § 319 ZPO; BAG 9, 205, 208 ff. = AP Nr. 4 zu § 319 ZPO). Sinn und Zweck des § 319 ZPO lassen es nur zu, die zeitlich unbefristete Korrektur allein auf solche Unrichtigkeiten zu erstrecken, die so erkennbar sind, daß sich die Parteien auf den Wortlaut des Urteils bei gehöriger Prüfung ohnehin nicht hätten verlassen dürfen. Dies ergibt sich aus dem Wesen der Rechtskraft, mit der eine unbefristete Berichtigungsmöglichkeit nicht vereinbar ist. Daher kann nicht bei jedem Auseinanderfallen von Gewolltem und Erklärtem einer Entscheidung von der Berichtigung Gebrauch gemacht werden (so aber Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO, 19. Aufl., Anm. I 2 zu § 319; OLG Frankfurt, Beschluß vom 11. September 1969 – 1 W 28/68 –, NJW 1970, S. 436, 437; OLG Köln, Beschluß vom 25. April 1980 – 4 U 234/76 –, MDR 1980, S. 761, 762 mit ablehnender Anm. von Schneider). Ein nur gerichtsintern gebliebenes Versehen, das meist nicht ohne weitere Beweiserhebung überprüft werden könnte, ist keine „offenbare” Unrichtigkeit im Sinne von § 319 ZPO. Das ergibt sich schon daraus, daß ein Berichtigungsbeschluß nach § 319 ZPO auch von solchen Richtern des entscheidenden Gerichts gefaßt werden kann, die an dem Erlaß des Urteils gar nicht mitgewirkt haben. Daran wird deutlich, daß die Unrichtigkeit des Urteils für diese anderen Richter ohne weiter es erkennbar sein muß (BAG vom 23. Mai 1973 – 4 AZR 364/72 –, AP Nr. 17 zu § 319 ZPO; BGHZ 78, 22 = AP Nr. 19 zu § 319 ZPO). Nur in diesen engen Grenzen ist eine Berichtigung zulässig. …

Der Senat ist nicht gemäß §§ 70, 72 Abs. 3 ArbGG an den Beschluß des Landesarbeitsgerichts (über die Berichtigung des Urteilstenors) „gebunden. Das Revisionsgericht hat vielmehr im Rahmen der Zulässigkeit der Revision zu prüfen, ob überhaupt ein Fall der Urteilsberichtigung gemäß § 319 ZPO vorgelegen hat und damit eine Berichtigung des Urteils in Betracht gekommen ist. Ein vom Berufungsgericht erlassener Berichtigungsbeschluß, der die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, kann die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels nicht herbeiführen; ein derartiger Mangel ist auch vom Revisionsgericht zu beachten (BAG vom 4. Juni 1969 – 4 AZR 418/68 –, AP Nr. 15 zu § 319 ZPO; BAG Urteil vom 23. Mai 1973 – 4 AZR 364/72 –, AP Nr. 17 zu § 319 ZPO; BAG Beschluß vom 19. November 1985, aaO; BGHZ 20, 188, 190; a. A. Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 72 Rz 21 mit weiteren Nachweisen). Die irrtümliche Nichtzulassung eines Rechtsmittels kann nicht im Wege nachträglicher Berichtigung korrigiert werden (Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 44. Aufl., Anm. 2 D a zu § 546). Aus § 70 ArbGG läßt sich keine Bindung des Revisionsgerichts an einen fehlerhaften Berichtigungsbeschluß des Berufungsgerichts ableiten. § 70 ArbGG hat zum Ziel, im Interesse der Prozeßökonomie den Instanzenzug zu beschränken. Dieser Zweck wird ins Gegenteil verkehrt, wenn durch die Bindungswirkung eines offensichtlich unrichtigen Berichtigungsbeschlusses, der noch nach Jahr und Tag ergehen könnte, der Instanzenzug eröffnet würde (BAG vom 23. Mai 1973 – 4 AZR 364/72 –, AP Nr. 17 zu § 319 ZPO). Durch ein rechtswidriges Verfahren kann ein Rechtsmittel im nachhinein nicht eingeräumt werden, wenn es zuvor wirksam versagt worden ist. Eine Bindungswirkung aus § 72 Abs. 3 ArbGG entfällt, wenn die in § 319 ZPO vorausgesetzte Unrichtigkeit nicht offenbar ist § 72 Abs. 3 ArbGG entspricht § 546 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Beide Vorschriften bezwecken, die Revisionsgerichte selbst bei Rechtsirrtum der Berufungsgerichte über die Zulassungsvoraussetzungen an die Zulassung zu binden (BGHZ 76, 305, 311; Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 72 Rz 19). Diese Bindungswirkung erstreckt sich jedoch nicht auf die nach § 319 ZPO zu beachtenden Voraussetzungen für den die Revision eröffnenden Berichtigungsbeschluß…

Eine Zulassung der Revision in den Gründen ist nur dann ausreichend, wenn die Zulassung auch verkündet worden ist (ständige Rechtsprechung des BAG: vgl. BAG 3, 146, 147; BAG 2, 358, 361; BAG vom 23. Mai 1973 – 4 AZR 364/72 –, AP Nr. 17 zu § 319 ZPO; Pohle, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 319 ZPO; Grunsky, Anm. zu BAG AP Nr. 15 zu § 319 ZPO; Rohlfing/Rewolle, ArbGG, Anm. 3 zu § 69 und Anm. I 2 a zu § 72; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, Rz 166; a. A. Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 72 Rz 23; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., Rz 12 zu § 546; Otto, Anm. zu BAG SAE 1974, S. 57, 59; Prütting, Die Zulassung der Revision, § 19 I, S. 266 f.; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., § 143 I 1 d; Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl., Anm. 11 e zu § 546). …

Wegen der Rechtsfrage muß nicht das Verfahren vor dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes durch Vorlagebeschluß gemäß § 11 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl. I S. 611) eingeleitet werden. Da die Auffassung des Senats mit der des Ersten, Dritten, Vierten und Fünften Senats übereinstimmt, wäre gemäß § 2 Abs. 2 des genannten Gesetzes zunächst der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts anzurufen. Hierzu besteht kein Anlaß, da die insoweit abweichende Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 20, 188, 189; BGH vom 10. März 1956 – IV ZR 268/55 –, NJW 1956, 831) auf der Entbehrlichkeit der Verkündung der Entscheidungsgründe (§ 311 Abs. 3 ZPO) in der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit beruht.”

Diese den Wortlaut des § 64 Abs. 2 ArbGG einengende Auslegung durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da das Verkündungserfordernis den Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens Rechnung trägt und dem Grundsatz der besonderen Verfahrensbeschleunigung dient (vgl. BVerfG Beschluß vom 27. April 1976 – 2 BvR 342/74 –, AP Nr. 15 zu § 92 ArbGG 1953).

Auch wenn die Auffassung der Beklagten zuträfe, daß das Arbeitsgericht die Berufung hätte zulassen müssen, weil der Rechtsstreit die Auslegung eines Tarifvertrags im Sinne von § 64 Abs. 3 Nr. 2 b ArbGG betrifft, kann dies die nachträgliche Zulassung der Berufung durch Berichtigungsbeschluß nicht rechtfertigen. Denn die Nichtzulassung der Berufung durch das Arbeitsgericht im Tenor des verkündeten Urteils, der für die Frage der Zulassung maßgebend ist, ist unanfechtbar. Die dadurch bedingte Verkürzung des Instanzenzuges begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Weder das Rechtsstaatsprinzip noch sonstige Verfassungsnormen gebieten, daß der Rechtsweg in allen Zweigen einen Instanzenzug hat (BVerfG Beschluß vom 24. Juni 1981 – 1 BvR 57/81 –, AP Nr. 10 zu § 72 a ArbGG 1979). Deshalb wird den Parteien durch die Nichtzulassung der Berufung entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht der gesetzliche Richter entzogen.

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Neumann, Dr. Feller, Dr. Etzel

 

Fundstellen

BAGE, 375

NJW 1987, 1221

RdA 1986, 407

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