§ 9 AGG schützt das in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 WRV gewährleistete Selbstbestimmungsrecht eigener Angelegenheiten der Kirchen bzw. sonstigen Religionsgemeinschaften.

Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgesellschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf deren Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, ist zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgesellschaft oder Vereinigung eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt (§ 9 Abs. 1 AGG).

Für eine Rechtfertigung ist somit notwendig, aber auch ausreichend, dass die jeweilige Religion bzw. Weltanschauung nach der Art der Tätigkeit eine "gerechtfertigte berufliche Anforderung" darstellt. Nicht notwendig ist es, dass es sich um eine (wie bei § 8 AGG) "wesentliche und entscheidende" berufliche Anforderung handelt. Was eine "berufliche Anforderung" darstellt, unterliegt jeweils dem Selbstbestimmungsrecht der jeweiligen Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft. Allerdings kann die Kirchenmitgliedschaft nur dann Voraussetzung für eine Anstellung sein, wenn diese den "verkündungsnahen Bereich" betrifft.[1]

 
Praxis-Beispiel

In einem Fall vor dem ArbG Aachen weigerte sich die (nach eigenen Angaben nicht praktizierende) Muslimin, die sich auf eine Stellenanzeige als "Integrationslotse" erfolglos beworben hat, einer christlichen Kirche beizutreten. Das Gericht kam zu der Entscheidung, dass bei einer Tätigkeit, die insbesondere der Integration von Migranten diene und zudem von der EU finanziert werde, es nicht gerechtfertigt ist, die Mitgliedschaft in einer Kirche zu verlangen. Auch aus § 3 der Grundordnung, wonach nur bei der Besetzung von Stellen im pastoralen, katechetischen bzw. grds. im erzieherischen Bereich sowie bei leitenden Angestellten die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche verlangt werden kann, wird deutlich, dass sich eine Religionsgemeinschaft nicht auf ihren verfassungsrechtlichen Sonderstatus berufen kann, wenn sie allein auf die formelle Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft abstellt[2]; denn in den übrigen Bereichen ist es ausreichend, wenn sichergestellt ist, dass der Arbeitnehmer den besonderen Auftrag glaubwürdig und im Einklang mit den Zielen der Einrichtung erfüllt.

Ergänzt wird der Abs. 1 durch § 9 Abs. 2 AGG. Hier wird klargestellt, dass bzw. welche Loyalitätsanforderungen eine Religionsgemeinschaft an ihre Beschäftigten stellen darf. Auch dies richtet sich wiederum nach dem jeweiligen Selbstverständnis der einzelnen Einrichtungen.

Darüber hinaus hat das BAG dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob bzw. in welchem Umfang die Kirchen verbindlich selbst bestimmen können, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.[3] Im zugrunde liegenden Fall hatte sich eine konfessionslose Bewerberin erfolglos auf eine Stelle der evangelischen Kirche für eine Referentenstelle für das Projekt "Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention" beworben, wobei die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche bzw. die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag vorausgesetzt wurde. Der EuGH hat daraufhin entschieden[4], dass das Erfordernis, dass Bewerber um eine bei der Kirche zu besetzende Stelle einer bestimmten Religion anzugehören haben, da die Religion nach der Art der betreffenden Tätigkeit oder den vorgesehenen Umständen der Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Kirche sei, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein müsse. Dabei stehe es den Gerichten zwar regelmäßig nicht zu, über das zugrunde liegende Ethos als solches zu befinden. Aber sie haben festzustellen, ob die 3 Kriterien "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" in Anbetracht dieses Ethos erfüllt seien.

 
Praxis-Tipp

Das Urteil des EuGH hat weitreichende Folgen; denn es bricht mit dem bisherigen deutschen Verständnis von der Stellung der Kirchen, sodass sich kirchliche Träger zukünftig nicht mehr auf die pauschale Behauptung zurückziehen können, der Bewerber oder die Bewerberin sei nicht eingestellt worden, weil er/sie nicht religiös gebunden sei, sondern genau darlegen müssen, warum ein Mitarbeiter unbedingt Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche sein müsse.

Im vorliegenden Fall lag dann auch nach Auffassung des BAG eine unzulässige Diskriminierung wegen der Religion vor.[5]

 
Praxis-Beispiel

Ein weiterer Fall betraf die Kündigung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung.[6] Diese Kündigung stellte ebenfalls eine unzulässige Diskriminierung dar, sodass die Kündigung unwirksam war. Nach Auffassung des BAG hatte der Kläger mit ...

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