a) Stichprobenverfahren
Tz. 75
Abs. 1 Satz 1 erlaubt ein anerkanntes mathematisch-statistisches Stichprobenverfahren. Voraussetzung ist gem. Abs. 2 Satz 1, dass es den GoB (vgl. Kapitel 1 Tz. 84 ff. und vgl. Kapitel 4 Tz. 125 ff.) entspricht und ein Inventar mit dem gleichen Aussagewert wie bei körperlicher Bestandsaufnahme ermöglicht (Abs. 1 Satz 3). Zu unterscheiden ist zwischen Schätzverfahren (freie oder geschichtete Mittelwertschätzung; gebundene Schätzung) und Testverfahren (insbes. Sequentialtest). Notwendig ist dazu, dass die Stichprobeninventur richtig, vollständig und nachprüfbar erfolgt. Gefordert wird Aussageäquivalenz, und zwar mit einem Sicherheitsgrad von 95 % und relativen Stichprobenfehlern von höchstens 1 % des Werts der Grundgesamtheit.
BEISPIEL
Bei der geschichteten Mittelwertschätzung wird aus den Inventurbuchungen einer Produktschicht (mit Werten von 10, 12, 14, 16 und 18 EUR) ein Mittelwert für die Schicht gebildet (14 EUR); das Produkt aus diesem und der Anzahl der Schichtelemente (100) ergibt den Schätzwert der Schicht (1.400 EUR).
Die Summe der Schätzwerte pro Schicht und der Inventurbuchungen des Vollerhebungsraums ergibt den Schätzwert der Lagergesamtheit.
b) Permanente Inventur
Tz. 76
Abs. 2 gestattet die Inventur durch Fortrechnung des einmal festgestellten Istbestandes auf Grund der Buchungsunterlagen (permanente Inventur). Der Sollbestand wird für den Istbestand genommen. Das geht nur, wenn das den GoB entsprechende Buchhaltungsverfahren eine solche Fortrechnung nach Art, Menge und Wert auch ohne körperliche Bestandsaufnahme zum Inventurzeitpunkt gestattet. Dies ist z. B. nicht der Fall bei Materialien mit hoher Schwundquote oder sonst bei unkontrollierbaren Abgängen. Abs. 2 entbindet nicht von der Verpflichtung zur körperlichen Bestandsaufnahme, die mindestens einmal jährlich stattzufinden hat, sondern nur von der körperlichen Bestandsaufname für den Zeitpunkt der Inventur. Die steuerrechtlichen Anforderungen an die Lagerbuchführung und die jährliche körperliche Bestandsaufnahme gelten auch nach Handelsrecht. Insoweit stellt die permanente Inventur kein "anderes" Verfahren i. S. v. Abs. 2 dar.
c) Vor- oder nachverlagerte Stichtagsinventur
Tz. 77
Nach Abs. 3 ist es zulässig, die Inventur auch ohne mengenmäßige Bestandsfortschreibung vom Bilanzstichtag zeitlich weg zu verlagern, und zwar sowohl zurück als auch vorwärts (vor- oder nachverlagerte Stichtagsinventur). Erlaubt ist also die wertmäßige Rückrechnung oder Fortschreibung des Bestands ohne ein zu einem einzigen Zeitpunkt erstelltes Gesamtinventar. Voraussetzung sind ein aktuelles Inventar ("besonderes Inventar" i. S. d. § 241 Abs. 3 HGB), dass nicht früher als drei Monate vor und nicht später als zwei Monate nach Schluss des Geschäftsjahrs angefertigt wurde und das entweder durch körperliche Bestandsaufnahme oder durch permanente Inventur nach Abs. 2 aufgestellt wurde (Abs. 3 Nr. 1). Voraussetzung ist ferner, dass aufgrund dieses besonderen Inventars durch Anwendung eines den GoB entsprechenden Fortschreibungs- oder Rückrechnungsverfahrens gesichert ist, dass der am Schluss des Geschäftsjahrs vorhandene Bestand der Vermögensgegenstände für diesen Zeitpunkt ordnungsgemäß bewertet werden kann. Auch hier sind jene Grenzen zu beachten, die bereits nach Abs. 2 gelten (vgl. Tz. 76). Da es für die vor- bzw. nachverlegte Stichtagsinventur keiner eigentlichen Bestandsführung im Sinne einer Lagerbuchführung bedarf, kommt dieses Inventurverfahren auch bei weniger komplex organisierten Unternehmen in Betracht. Insbesondere im Groß- und Einzelhandel, typischerweise etwa in der Apothekenbranche. Im Groß- und Einzelhandel müssen die Waren zur Ermittlung der betreffenden Spannen mit ihren unterschiedlichen Rohgewinnmargen in die Berechnung eingeführt werden.
BEISPIEL
Für den Lebensmitteleinzelhandel bietet sich eine Differenzierung an, die zwischen Tiefkühlkost und Frischetheke, alkoholischen und alkoholfreien Getränken etc. unterscheidet. Maßgeblich für die Gliederungstiefe im Einzelfall ist die wirtschaftliche Struktur des Unternehmens.
d) Kombinierte Verfahren
Tz. 78
Die verschiedenen Inventurvereinfachungsverfahren dürfen auch kombiniert werden, etwa wenn das Unternehmen über mehrere getrennte Lager verfügt.
e) Rechtsfolgen bei Verstoß
Tz. 79
Vgl. dazu Tz. 32 ff. (zu § 238 HGB).