Tz. 446

Im Rahmen eines umgekehrten Erwerbs stellt das aus rechtlicher Perspektive als Erwerber anzusehende Unternehmen aus wirtschaftlicher Sichtweise das erworbene Unternehmen dar (IFRS 3.B19 ff.).

Liegt ein umgekehrter Unternehmenszusammenschluss vor, hat der wirtschaftliche Erwerber – auch als bilanzieller Erwerber bezeichnet – die Bilanzierungsvorgaben, die IFRS 3 für den im Rahmen einer Transaktion identifizierten Erwerber vorsieht, zu beachten.[606]

Ein charakteristischer Anwendungsfall für einen umgekehrten Unternehmenserwerb besteht in der Einbringung eines großen, jedoch nicht börsennotierten Unternehmens in eine kleinere börsennotierte Einheit gegen Gewährung von Anteilsrechten. Sofern die bisherigen Gesellschafter des nicht börsennotierten Unternehmens im Zuge der Kapitalerhöhung die Anteilsmehrheit an der börsennotierten Einheit erlangen, ist das nicht börsennotierte Unternehmen als wirtschaftlicher bzw. bilanzieller Erwerber zu qualifizieren.[607]

 

BEISPIEL

Beispiel eines umgekehrten Unternehmenserwerbs[608]

Bei der XY-AG handelt es sich um ein vergleichsweise kleines Unternehmen mit einer Bilanzsumme (aus Vereinfachungsgründen übereinstimmend mit dem Eigenkapital) i. H. v. 300.000 EUR. Die XY-AG nimmt eine Kapitalerhöhung um 900.000 EUR vor. In diesem Zusammenhang gibt die XY-AG Aktien im Wert von 900.000 EUR im Austausch gegen Aktien des größeren, allerdings nicht börsennotierten Unternehmens ABC aus. Im Zuge dessen hat die XY-AG 100 % der Anteile an ABC erworben.

Im Einzelabschluss der XY-AG, die nun rechtlicher Eigentümer der ABC ist, kommt es zu einem Ausweis der Beteiligung an der ABC i. H. v. 900.000 EUR. Die Altgesellschafter der ABC haben durch die vorgenommene Transaktion die Beherrschungsmöglichkeit über die XY-AG, da sie 75 % der Anteile der XY-AG besitzen. Zugleich können die Altgesellschafter die ABC weiterhin – und zwar über die XY-AG – beherrschen.

Aus wirtschaftlicher Perspektive beherrschen die Altgesellschafter der ABC sowohl die XY-AG als auch die ABC. Demnach handelt es sich um einen Unternehmenszusammenschluss im Sinne des IFRS 3, bei dem die ABC als wirtschaftlicher bzw. bilanzieller Erwerber auftritt und der rechtliche Erwerber – die XY-AG – als wirtschaftlich erworbenes Unternehmen anzusehen ist.

 

Tz. 447

Handelt es sich bei einer Transaktion um einen umgekehrten Unternehmenserwerb, sind aus technischer Sicht verschiedene, in IFRS 3.IE1 ff. dargestellte Besonderheiten beachtlich. Hierzu gehören insbesondere die folgenden:[609]

  • Bei der Bestimmung der Anschaffungskosten ist statt des Werts der vom rechtlichen Erwerber ausgegebenen Anteile der Wert maßgebend, der sich ergeben hätte, sofern der wirtschaftlicher Erwerber zugleich auch rechtlicher Erwerber gewesen wäre und Anteile ausgegeben hätte.
  • Im Rahmen der Kaufpreisallokation ist beim rechtlichen Erwerber eine Aufdeckung von stillen Reserven und goodwill vorzunehmen.
  • Mit Blick auf die Bewertung und den Ausweis des Konzerneigenkapitals ergibt sich die Höhe als Summe des buchmäßigen Altkapitals des wirtschaftlichen Erwerbers sowie der Anschaffungskosten des wirtschaftlich erworbenen Unternehmens. In Bezug auf die in der Bilanz oder im Anhang anzugebende Art der ausgegebenen Anteile (u. a. Stückaktien) sowie ihrer Anzahl ist demgegenüber auf den rechtlichen Erwerber abzustellen.
  • Im Konzernabschluss ist ein Minderheitenanteil für die Minderheitsgesellschafter des wirtschaftlichen Erwerbers auszuweisen. Vor dem Hintergrund, dass der Erwerber die Buchwerte fortführt, bemisst sich dieser nach dem Anteil am Buchvermögen.
 

BEISPIEL

Beispiel für die bilanzielle Abbildung bei einem umgekehrten Unternehmenserwerb[610]

Die börsennotierte LMNOP-AG nimmt einen Erwerb sämtlicher Anteile der QRSTU-GmbH vor. Dabei wird die Transaktion als Einlage durchgeführt, im Zuge derer die Gesellschafter der QRSTU-GmbH neue Aktien der LMNOP-AG erhalten. Im Anschluss an die Transaktion halten die Gesellschafter der QRSTU-GmbH die Mehrheit der Anteile an der LMNOP-AG.

Die LMNOP-AG ist lediglich der formelle Erwerber, während aus wirtschaftlicher Perspektive ein Erwerb durch die QRSTU-GmbH erfolgt. Den Bestimmungen des IFRS 3 folgend handelt es sich daher um einen umgekehrten Erwerb, bei dem die QRSTU-GmbH als wirtschaftlicher Erwerber zu qualifizieren ist.

Beläuft sich der Unternehmenswert der LMNOP-AG (vereinfachungsgemäß liegen keine stillen Reserven vor) bspw. auf 300.000 EUR sowie das buchmäßige Eigenkapital auf 150.000 EUR und beträgt der Unternehmenswert der QRSTU-GmbH 600.000 EUR bei einem buchmäßigen Eigenkapital i. H. v. 360.000 EUR, ist nachfolgende Verfahrensweise erforderlich:

  • Es ist eine Fortführung der Buchwerte der LMNOP-AG vorzunehmen.
  • Der aufzudeckende Unterschiedsbetrag beläuft sich nicht auf 240.000 EUR (600.000 EUR abzgl. 360.000 EUR; nach Maßgabe der Werte bei der QRSTU-GmbH). Stattdessen beträgt dieser 150.000 EUR (300.000 EUR abzgl. 150.000 EUR; nach Maßgabe der Werte bei der LMNOP-AG).
[606] Berndt/Gutsche, in: MüKo-BilR, IFRS 3 Rn. 138.
[607] ...

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