Tz. 156

Die teleologische Auslegung, also die Auslegung nach dem vom Gesetz verfolgten Ziel, stellt die wohl wichtigste Auslegungsmethode dar. Der EuGH greift im Handels- und Gesellschaftsrecht regelmäßig auf diese Methode zurück. Bei ihr orientiert sich die Auslegung an den objektiv von der auszulegenden Regelung verfolgten Zielen sowie daran, ob und wie sie sich sachgemäß in das Gesamtsystem des jeweiligen Regelungskontexts einfügt und zur Durchsetzung der objektiven Ziele geeignet ist. In den Worten des BVerfG geht es darum, "dem Gesetz diejenige Auslegung zu geben, die dem in seinem Wortlaut und in seinem Sinnzusammenhang ausgedrückten Gesetzeszwecken entspricht".[228] Bei einander widersprechenden Zwecken ist eine Wertung und Abwägung der im Gesetz verfolgten Zwecke vorzunehmen. Dabei sind der Regelungs- und Schutzzweck der Norm zu ermitteln und zu berücksichtigen. Als Beispiel lässt sich die unterschiedliche Zwecksetzung von IFRS und HGB-Bilanzrecht nennen: Während die IFRS im Wesentlichen eine Rechnungslegungs- und Informationsfunktion erfüllen sollen, verfolgen die HGB-Vorschriften unterschiedliche Funktionen der Rechnungslegung, der Ergebnisermittlung, der Besteuerungsgrundlage und des Gläubigerschutzes. Die teleologische Auslegung kann dazu führen, dass die im Wege der Auslegung ermittelte Bedeutung einer Vorschrift über den Wortlaut hinausgeht. Man spricht dann von einer erweiternden Auslegung. Umgekehrt kann die Auslegung den Wortlaut des Gesetzes einschränken. Dies bezeichnet man als teleologische Reduktion.[229]

 

Tz. 157

Bei der Auslegung des harmonisierten Bilanzrechts greift der EuGH –wie auch in anderen Rechtsgebieten – auf den völkerrechtlichen Grundsatz des effet utile zurück. Danach ist eine Norm so auszulegen, dass sie ihre "nützliche Wirkung" bzw. größtmögliche praktische Wirksamkeit entfalten kann.[230]

[229] Najderek, Harmonisierung des europäischen Bilanzrechts, Wiesbaden 2009, 26 f.; Winnefeld, Bilanz-Hdb., Einführung Rn. 77 m.w.N.
[230] EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1970 – Rs. 9/70 (Grad/Finanzamt Traunstein), Slg. 1970, 825, Leitsatz 1.

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