Rn. 50

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Um eine Umgehung des § 16 Abs. 1 AktG zu vermeiden, muss sich ein UN Anteile Dritter oder Anteile aus dem PV seines Inhabers mit dem Ergebnis zurechnen lassen, dass sie eine Mehrheitsbeteiligung ergeben können. Ohne eine solche Regelung wäre es in der Tat sehr einfach, durch die Verteilung des Anteilsbesitzes auf verbundene UN oder durch Einschaltung Dritter bzw. Überführung in das PV eine Mehrheitsbeteiligung zu vermeiden. Darauf, ob eine Umgehungsgefahr oder -möglichkeit im Einzelnen besteht, kommt es nicht an, denn es "handelt sich um eine gesetzliche Fiktion zwingenden Rechts, die nicht durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag abbedungen werden, auch nicht durch Hinweis auf irgendwelche besonderen Umstände widerlegt werden kann" (ADS (1997), § 16 AktG, Rn. 22).

Auch außerhalb des AktG haben die Zurechnungsregelungen insbesondere im HGB eine gewisse Bedeutung erlangt. So verweist § 271 Abs. 1 Satz 4 für die Ermittlung der Beteiligungshöhe ausdrücklich auf § 16 Abs. 2 und 4 AktG. Auf § 271 Abs. 1 ist wiederum verwiesen in § 311 Abs. 1 (assoziierte UN). Auch die Angabepflichten im Anhang nach § 285 Nr. 11 nehmen für die Berechnung der Anteilsquote Bezug auf § 16 Abs. 2 und 4 AktG. Ähnlichkeiten bestehen ferner zwischen den Zurechnungsvorschriften des § 290 Abs. 3 und § 16 Abs. 4 AktG. "Gleichwohl sind die Kriterien nicht einheitlich, was teilweise durch den Regelungszweck bedingt ist, teilweise durch mangelnde Konsolidierung der Begriffe" (AktG-GroßKomm. (2017), § 16, Rn. 24).

Die Zurechnungsvorschriften des § 16 Abs. 4 AktG können nach dem Wortlaut des Gesetzes in drei Fallgruppen unterschieden werden (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 16, Rn. 12):

(1) Als Anteile eines UN gelten auch die Anteile, die ein von ihm abhängiges UN hält; dies gilt auch für ausländische abhängige UN.
(2) Eine Zurechnung erfolgt auch dann, wenn die Anteile einem Dritten auf Rechnung des UN oder eines von ihm abhängigen UN gehören.
(3) Für den Einzelkaufmann spielt es keine Rolle, ob er die Anteile in seinem Geschäfts- oder sonstigen Vermögen hält.

1. Anteile, die einem abhängigen Unternehmen gehören

 

Rn. 51

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Hält ein abhängiges UN Anteile an einem dritten UN, so werden diese Anteile dem herrschenden UN zugerechnet. Dies gilt sowohl für unmittelbar abhängige UN (TU) als auch für mittelbar abhängige UN (EU). Dabei ist es nicht Voraussetzung, dass das MU selbst Anteile an dem EU hält. Dies gilt für alle drei Fallgruppen des § 16 Abs. 4 AktG. Eine Mehrheitsbeteiligung kann deshalb ausschließlich aus zugerechneten Anteilen resultieren (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 16, Rn. 44; Emmerich/Habersack (2020), § 3, Rn. 10; Hüffer-AktG (2022), § 16, Rn. 13). Die Zurechnung kann darüber hinaus zur Folge haben, dass gleichzeitig mehrere UN (z. B. MU und TU) mehrheitlich an einem anderen UN (EU) beteiligt sind. Nach heute ganz h. M. bewirkt die Zurechnung von Anteilen Dritter keine Absorption zu ihren Gunsten (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 16, Rn. 13; zur Erörterung verschiedener Standpunkte KK-AktG (2011), § 16, Rn. 27ff.). Im Fall einer doppelten Berücksichtigung wird auch von einer "mehrfachen Mehrheitsbeteiligung" (MünchKomm. AktG (2019), § 16, Rn. 45) gesprochen.

 

Rn. 52

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Obwohl im Gesetzeswortlaut im Zusammenhang mit der Zurechnung nur von "Anteilen" gesprochen wird, gilt dies auch für die damit verbundenen Stimmrechte. Neben der fiktiven Anteilsmehrheit führt dies in den meisten Fällen auch zu einer fiktiven Stimmenmehrheit. "Da es sich um eine Fiktion handelt, ist es unschädlich, dass das Unternehmen die ihm zugerechneten Stimmrechte nicht ausüben kann [...]. Die mangelnde Abstimmung zwischen § 16 Abs. 4 AktG und § 16 Abs. 3 AktG dürfte auf ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers zurückzuführen sein" (MünchKomm. AktG (2019), § 16, Rn. 46; ebenso KK-AktG (2011), § 16, Rn. 47).

 

Rn. 53

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

 

Beispiel:

Die Anteile, die C an B hält, werden A in voller Höhe zugerechnet; dabei ist es belanglos, wie hoch A an C beteiligt ist. Diese volle Zurechnung wird auch als additive Zurechnung bezeichnet und ist ökonomisch konsequent. Denn wenn ein UN einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, kann dieser beherrschende Einfluss auch insgesamt und nicht nur in Höhe des gehaltenen Anteils ausgeübt werden. In diesem Fall führt die additive Zurechnung dazu, dass aus zwei unmittelbaren Minderheitsbeteiligungen von jeweils 30 % eine mittelbare Mehrheitsbeteiligung entsteht; so ist A an B insgesamt mit 60 % beteiligt.

 

Rn. 54

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

 

Beispiel:

In diesem Fall liegt eine sog. mehrstufige Mehrheitsbeteiligung vor. A ist unmittelbar zu 60 % an B und mittelbar über die sog. Mittlerfunktion des Abhängigkeitsverhältnisses auch zu 60 % an C beteiligt. Auch hier zeigt sich, dass nur die additive Zurechnung zu sinnvollen Ergebnissen führt; denn wenn A auf B einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, kann A über B auch indirekt auf C Einfluss nehmen. Eine sog. multiplikative Verknüpfung, die hier nur zu einer Minderheitsbet...

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