Rn. 130

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Die Steuerabgrenzungskonzeption des § 274 basiert auf dem international üblichen bilanzorientierten Temporary-Konzept. Wesentliches Merkmal dieses Ansatzes ist die Antizipation von künftigen Steuerbe- und -entlastungen, die sich aus abweichenden Ansatz- und Bewertungsgrundsätzen im handelsrechtlichen Abschluss gegenüber der steuerlichen Gewinnermittlung ergeben. Als grundlegendes Prinzip erfolgt in methodischer Hinsicht eine Gegenüberstellung der handelsrechtlichen Wertansätze von VG, Schulden und RAP mit dem Steuerwert der jeweiligen Bilanzposition.

 

Rn. 131

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

In technischer Hinsicht vollzieht sich die Ermittlung von latenten Steuern in mehreren Stufen und umfasst folgende Einzelschritte:

 
1. Schritt Vergleich der handelsrechtlichen Bilanzpositionen (VG, Schulden und RAP) mit den steuerlichen Wertansätzen (unter Berücksichtigung von außer-­bilanziellen Sachverhalten, z. B. Investitionsabzugsbetrag nach § 7g EStG)
Zwischenergebnis Rechnerisch ermittelte Ansatz- und Bewertungsdifferenzen
2. Schritt Identifizierung und Ermittlung von Differenzen, die für die Ermittlung von latenten Steuern nicht einzubeziehen sind (permanente Differenzen) und Kürzung der rechnerisch ermittelten Ansatz- und Bewertungsdifferenzen um diese Teilbeträge
Zwischenergebnis Um permanente Differenzen bereinigte Ansatz- und Bewertungsdifferenzen, welche die Grundlage für die Ermittlung von latenten Steuern darstellen (temporäre Differenzen) und Unterscheidung in abzugsfähige und zu versteuernde temporäre Differenzen
3. Schritt Bewertung der temporären Differenzen mit dem UN-individuellen Steuersatz
Zwischenergebnis Rechnerischer Wert von aktiven respektive passiven latenten Steuern auf Ansatz- und Bewertungsdifferenzen
4. Schritt Einbeziehung von aktiven latenten Steuern auf vortragsfähige Sachverhalte (z. B. Verlust- und Zinsvorträge) sowie Steuergutschriften
Zwischenergebnis Rechnerischer Wert von aktiven respektive passiven latenten Steuern auf Bewertungsunterschiede von Bilanzpositionen sowie vortragsfähige Sachverhalte
5. Schritt Ermittlung der Höhe der nutzbaren aktiven latenten Steuern unter Berücksichtigung von Umkehreffekten aus der Auflösung passiver latenter Steuern
Zwischenergebnis Nutzbare aktive latente Steuern
6. Schritt Im Falle des saldierten Bilanzausweises gemäß § 274 Abs. 1 Satz 1f. (Gesamtdifferenzbetrachtung): Saldierung der nutzbaren aktiven latenten Steuern mit den passiven latenten Steuern
Ergebnis Überhang an aktiven oder passiven latenten Steuern
 

Rn. 132

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Zentrales Element der Ermittlung von latenten Steuern ist die Identifizierung von Abweichungen zwischen handelsrechtlichen und steuerlichen Wertansätzen sowie deren Klassifizierung in abzugsfähige und zu versteuernde temporäre Differenzen. Technisch erfolgt dies durch eine Gegenüberstellung der HB- und StB-Werte (korrigiert um außerbilanzielle Hinzurechnungen und Kürzungen). In methodischer Hinsicht ist daher eine Bilanzposition Grundlage und Ausgangspunkt des Verfahrens zur Ermittlung von latenten Steuern, nicht hingegen ein einzelner Geschäftsvorfall (wie etwa eine auf Einzeltransaktionen basierende Ermittlung USt-relevanter Informationen).

 

Rn. 133

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Diese Vorgehensweise folgt einem wesentlichen Charakteristikum der Ertragsbesteuerung, nämlich der Besteuerung der Ergebnisgröße "Gewinn" respektive "Einkommen" als Ergebnis einer (möglicherweise großen) Anzahl von Einzeltransaktionen oder – angelehnt an die steuerliche Vorstellung der Gewinnermittlung – dem Unterschiedsbetrag zwischen dem BV am Schluss des WJ und dem BV am Schluss des vorangegangenen WJ (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Rückgriff auf Einzeltransaktionen für die Ermittlung von latenten Steuern mag konzeptionell angelegt oder wünschenswert sein, jedoch ist dies auf Basis der in UN eingesetzten ERP-Softwareapplikationen grds. technisch nicht möglich. Demgegenüber überrascht es, dass in Fachkreisen und von Standardsetzern angenommen wird, latente Steuern werden auf transaktioneller Basis ermittelt und entsprechende Informationen stünden berichtspflichtigen UN stets zur Verfügung (vgl. OECD (2022), Rn. 4.4.4).

 

Rn. 134

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Die dargestellten Stufen stellen unter Anwendung der konzeptionellen Grundlagen und Berücksichtigung von Ausnahmeregelungen sicher, dass sämtliche temporäre Differenzen und sämtliche latenten Steuern Eingang finden in einen zu definierenden UN-spezifischen Ermittlungsprozess. Der Anspruch auf vollständige Berücksichtigung von latenten Steuern erfährt konzeptionell insoweit eine Einschränkung, als mit dem Ansatzwahlrecht eines Überhangs von aktiven latenten Steuern i. R.d. Gesamtdifferenzbetrachtung eine unvollständige Erfassung von latenten Steuern im JA einhergehen kann. Dies erschwert respektive verhindert die Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Indes bleibt zu erkennen, dass der Entscheidung über den (un-)vollständigen Ansatz von latenten Steuern die zwingen...

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