Tz. 30

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Vorstandsmitglieder haften der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG für die durch schuldhafte Pflichtverletzungen zurechenbar verursachten Schäden als Gesamtschuldner. Ergänzend statuiert § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG eine besondere Beweislastregel. Organhaftungsansprüche gemäß § 93 Abs. 2 AktG sind grds. schiedsfähig (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 184; Leuering, NJW 2014, S. 657).

I. Vorstandsmitglieder

 

Tz. 31

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Die Haftung des § 93 AktG bezieht sich auf alle Vorstandsmitglieder. Neben ordentlichen Vorstandsmitgliedern haften auch Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern (vgl. §§ 94 und 105 Abs. 2 AktG) sowie gerichtlich bestellte Vorstandsmitglieder (vgl. § 85 AktG) oder Arbeitsdirektoren. Die Haftung trifft in vollem Umfang auch Vorstandsmitglieder, die alleinige Gesellschafter sind (vgl. AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 344, 366; Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 72ff.). Sie beruht auf der Organstellung und setzt daher keinen wirksamen Anstellungsvertrag voraus. Sie beginnt zwar grds. mit der Bestellung des Vorstandsmitglieds (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG). Eine wirksame Bestellung ist allerdings nicht Voraussetzung für die Haftung. Ist eine Bestellung zwar erfolgt, aber nicht wirksam, so ist allg. anerkannt, dass für eine Haftung die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit genügen. Umstritten ist, ob eine Haftung auch dann eintritt, wenn es an einem Bestellungsakt gänzlich fehlt. Die besseren Argumente sprechen dafür, in diesen Fällen eine Haftung jedenfalls dann zuzulassen, wenn die Tätigkeit mit Kenntnis des AR erfolgt. Es ist schwer einzusehen, warum derjenige, der ein Vorstandsamt tatsächlich und mit Kenntnis der Gesellschaft übernimmt und ausübt, für einen Verstoß gegen die mit diesem Amt verbundenen Pflichten nur deshalb nicht wie ein Vorstandsmitglied haften soll, weil es an einem formalen Bestellungsakt fehlt (vgl. so im Ergebnis auch MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 15; AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 362ff.; MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 8; ferner BGH, Urteil vom 06.04.1964, II ZR 75/62, BGHZ 41, S. 282 (287); Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 72ff.). Dementsprechend endet die Haftung nicht schon mit der formellen Beendigung der Bestellung, sondern erst dann, wenn das Vorstandsmitglied tatsächlich das Amt nicht mehr ausübt (vgl. BGH, Urteil vom 06.04.1964, II ZR 75/62, BGHZ 41, S. 282 (287); OLG Celle, Urteil vom 06.05.2015, 9 U 173/14, BeckRS 2015, 129 272 (dortige Rn. 19f.); Hölters-AktG (2022), § 93, Rn. 214f.). Die Haftung besteht bereits im Gründungsstadium der Gesellschaft, sofern nicht § 48 AktG für die Verletzung gründungsspezifischer Pflichten eingreift (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 8; Hölters-AktG (2022), § 93, Rn. 216). Das Haftungsrisiko kann über eine D&O-Versicherung zumindest verringert werden. Diese wird regelmäßig auch für AR-Mitglieder abgeschlossen. Soweit die Haftung des AR zu versichern ist, wird vertreten, dass die Kostenübernahme durch die Gesellschaft eine Nebenleistung und damit Vergütungsbestandteil ist und deshalb entweder von der Satzung oder durch einen zustimmenden Beschluss der HV nach § 113 AktG gedeckt sein muss. Dies ist allerdings mit der überzeugenden h. M. abzulehnen (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 113, Rn. 7; zur D&O-Versicherung des Vorstands wird auf HdR-E, AktG § 93, Rn. 43ff., verwiesen).

II. Schuldhafte Pflichtverletzung

 

Tz. 32

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Die Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG setzt voraus, dass ein Vorstandsmitglied durch eine Handlung oder Unterlassung seine Pflichten schuldhaft, d. h. vorsätzlich oder fahrlässig, verletzt. Das Vorstandsmitglied haftet damit für jede, also auch für die leichteste Fahrlässigkeit. Eine Haftungsmilderung unter dem Gesichtspunkt der für AN geltenden Grundsätze der betrieblich veranlassten und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleisteten Arbeit kommt nach der bisherigen Rspr. für Vorstandsmitglieder nicht in Betracht, und auch die wohl noch immer h. M. in der Literatur lehnt eine vollständige Übertragung dieser Grundsätze auf Gesellschaftsorgane ab (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.1975, II ZR 112/72, WM 1975, S. 467 (469); Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 69; MünchKomm. AktG (2019), § 93 AktG, Rn. 199; BeckOGK-AktG (2021), § 93, Rn. 241; KK-AktG (2010), § 93, Rn. 37; Wellhöfer (2008), Rn. 36; kritisch bezüglich einiger Aspekte der Ungleichbehandlung: Ritter (2018), Rn. 48ff.). Eine im Vordringen befindliche Auffassung in der Literatur befürwortet allerdings – mit teilweise Ähnlichkeiten zu den Grundsätzen der AN-Haftung – die Möglichkeit der Regressreduzierung, um eine existenzvernichtende Haftung der Vorstandsmitglieder zu vermeiden, wobei die Höhe der Regressreduzierung v.a. von dem Grad der Fahrlässigkeit abhängen soll, ferner von der Schadensneigung des UN, den Bezügen des Handelnden und dem Umfang der Schadensmultiplikation durch den UN-Kontext (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 97ff.).

 

Tz. 33

Stand: EL 36 – ET: 06/2022

Für den Verschuldensmaßstab gelten i.W. die gleichen Grundsätze wie für den Pflichtenmaßsta...

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