Rn. 610

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Obwohl weitestgehend Einigkeit darin besteht, dass Rückstellungen für passive latente Steuern Verbindlichkeitsrückstellungen gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 darstellen, ist der Umfang der Bilanzierung dem Grunde nach streitig (vgl. Pollanz, DStR 2013, S. 58 (61); Pöschke, NZG 2013, S. 646 (647)). Der Gesetzgeber spricht in der RegB zum BilMoG (vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 67) – zwar zu einer Betrachtung quasi-permanenter Differenzen aber durchaus verallgemeinerbar – folgende Aspekte an:

(1) Rechtliche Verpflichtung (welche abgelehnt wird) sowie eine faktische Verpflichtung zur Entrichtung von Steuern.
(2) Entsprechende Ertragslage im Zeitpunkt der Differenzumkehr, aus welcher eine Verpflichtung zur Steuerentrichtung resultiert.
(3) Erforderlicher Leistungszwang, welchem sich der Kaufmann nicht jederzeit einseitig entziehen kann, als notwendige Voraussetzung einer faktischen Verpflichtung.
 

Rn. 611

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Auch die Literatur ist sich einig, dass die Steuerverpflichtung im Falle von Sachverhalten der Rückstellungen für passive latente Steuern noch nicht rechtlich entstanden sein muss (vgl. Graf von Kanitz, WPg 2011, S. 895 (900); Pöschke, NZG 2013, S. 646 (648)); vielmehr steht der faktische Leistungszwang im Fokus. Dies setzt eine zukünftige Leistungsverpflichtung ohne Rechtspflicht voraus, der sich der Kaufmann nicht entziehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1991, II ZR 20/90, NJW 1991, S. 1890f.). Für eine Rückstellungsbildung aufgrund von Verpflichtungen aus dem öffentlichem Recht wie Steuern muss diese inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum BilSt zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sein (vgl. BFH, Urteil vom 13.02.2019, XI R 42/17, BStBl. II 2020, S. 671 (Rn. 9); BFH, Urteil vom 05.11.2014, VIII R 13/12, BStBl. II 2015, S. 523 (Rn. 35); HdR-E, HGB § 249, Rn. 93). Zudem muss die Verpflichtung bis zum BilSt wirtschaftlich verursacht sein (vgl. BFH, Urteil vom 13.02.2019, XI R 42/17, BStBl. II 2020, S. 671 (Rn. 9); BGH, Urteil vom 28.01.1991, II ZR 20/90, NJW 1991, S. 1890f.).

 

Rn. 612

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Bei der Bilanzierung von Rückstellungen für latente Steuern dem Grunde nach wird häufig auf einzelne Kategorien abgestellt, welche sich an der Einzeldifferenzenbetrachtung des § 274orientieren (vgl. bspw. Herzig/Fuhrmann (2012), Kap. I/A, Rn. 77; Beck-HdR, B 235 (2016), Rn. 21). Diese Differenzbetrachtung ist durchaus sinnvoll, da hier Steuerwirkungen einzelner Sachverhalte gezielt untersucht werden können. Dieses Vorgehen darf jedoch nicht dazu verleiten, den eigentlichen Rückstellungsgegenstand aus den Augen zu verlieren, welcher in einer zukünftigen erwarteten Steuermehrbelastung besteht. Diese Mehrbelastung ist für jede relevante Ertragsteuerart WJ-bezogen zu ermitteln. Hierbei sind die Maßgaben der steuerlichen Abschnittsbesteuerung zu beachten (z. B. bei abweichenden WJ § 7 Abs. 4 Satz 2 KStG). Eine Rückstellung ist somit bspw. für die erwartete KSt-Mehrbelastung eines zukünftigen WJ zu bilden. Die Einzeldifferenzenbetrachtung stellt nur die Grundlage für die Ermittlung dieser zukünftigen Verpflichtung dar (vgl. Hoffmann, StuB 2012, S. 889 (890)).

 

Rn. 613

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Die Rückstellung für eine WJ-bezogene ertragsteuerliche Mehrbelastung setzt somit eine Gesamtbetrachtung aller bis zum BilSt wirtschaftlich verursachten relevanten Sachverhalte voraus. Hierbei sind neben Sachverhalten, welche eine zukünftige Steuermehrbelastung auslösen, auch solche zu betrachten, welche Steuerminderbelastungen nach sich ziehen (vgl. Oser et al., WPg 2009, S. 573 (581)). Der Einbezug der Steuerminderbelastungen in die Rückstellungsbetrachtung verstößt nicht gegen das Saldierungsverbot (vgl. so jedoch BStBK, DStR 2012, S. 2296 (2297, dortige Rn. 9)), denn außerhalb von § 274 besteht mangels VG- oder RAP-Eigenschaft keine Aktivierungsmöglichkeit für latente Steuern. Vielmehr handelt es sich um eine (mindernde) Beurteilung der zukünftig erwarteten Verpflichtung. Dieser kompensatorische Effekt zukünftig erwarteter Steuerminderbelastungen auf die Rückstellungsbilanzierung wird meist bei der Bilanzierung der Höhe nach berücksichtigt (vgl. so IDW RS HFA 7 (2012), Rn. 27). Da jedoch die zukünftige Steuerbelastung Rückstellungsobjekt ist, könnte bereits ein Einbezug bei der Bilanzierung dem Grunde nach erwogen werden, da in manchen Konstellationen das grds. Bestehen einer ungewissen Verbindlichkeit verneint werden kann (vgl. einen Rückstellungsansatz bereits ablehnend, wenn in den kommenden Jahren mit keiner Steuerbelastung gerechnet wird, Zwirner/Busch, SteuK 2013, S. 375 (377)).

 

Beispiel:

Potenzielle Steuermehrbelastung bei bestehenden Verlustvorträgen

Die kleine X-GmbH wendet § 274 nicht an. In der Vergangenheit hat sie handels- und steuerrechtlich einen Gewinn realisiert, wobei dieser Gewinn steuerlich über mehrere Jahre zu verteilen ist (begünstigende Stundung über Rücklage). Zum BilSt 31.12.t1 ist der X-GmbH bewusst, dass sie im folgenden WJ t2 die st...

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