Leitsatz

Der Verkauf von Waren ist grundsätzlich eine typische Handelstätigkeit, die nicht die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs i.S. von § 68 Nr. 4 AO erfüllt. Der Verkauf von Hilfsmitteln für blinde oder sehbehinderte Menschen über ein Ladengeschäft kann aber ein Zweckbetrieb sein, wenn über eine im Einzelhandel übliche reine Produktberatung hinaus weitere – fürsorgeorientierte – Hilfestellungen gegeben werden.

 

Normenkette

§ 14, § 64, § 65, § 68 Nr. 4 AO, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG, Art. 98 Abs. 1 und 2 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine gewerblich tätige GbR, deren Unternehmensgegenstand im Wesentlichen der Handel mit Waren und die Erbringung von Dienstleistungen für blinde und sehbehinderte Menschen ist. Sie vertreibt ihre Produkte über das Internet und auf anderen Vertriebswegen (Messen etc.). Die Umsätze der Klägerin unterliegen dem allgemeinen Steuersatz. Der Beigeladene ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein, der als Verband und als Selbsthilfeorganisation insbesondere die Interessen von Menschen vertritt, die blind oder wesentlich sehbehindert sind. Der Beigeladene vertreibt seine Produkte über ein Ladengeschäft in W sowie über das Internet. Die Umsätze des Beigeladenen wurden vom FA gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG mit dem ermäßigten Steuersatz besteuert.

Die Klägerin legte Einsprüche gegen die USt-Festsetzungen des Beigeladenen für 2002 und 2004 bis 2012 ein, weil sie der Auffassung war, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes beim Beigeladenen nicht vorlägen. Das FA verwarf die Einsprüche als unzulässig.

Das FG wies die Klage ab (Sächsisches FG, Urteil vom 10.4.2019, 5 K 1472/17, EFG 2021, 416) als unbegründet abgewiesen.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache an das FG zurück. Zwar habe das FG zutreffend die Zulässigkeit der Konkurrentenklage bejaht. Es habe jedoch § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i.V.m. § 68 Nr. 4 AO unzutreffend angewandt. Der Verkauf von Waren ist grundsätzlich eine typische Handelstätigkeit, die nicht die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs i.S.v. § 68 Nr. 4 AO erfülle. Der Verkauf von Hilfsmitteln für blinde oder sehbehinderte Menschen über ein Ladengeschäft kann aber ein Zweckbetrieb sein, wenn über eine im Einzelhandel übliche reine Produktberatung hinaus weitere – fürsorgeorientierte – Hilfestellungen erforderlich sind. Insbesondere hierzu seien weitere Feststellungen zu treffen.

 

Hinweis

1. § 64 Abs. 1 AO wird bisweilen keine hinreichende Bedeutung beigemessen. Zweckbetriebe sind danach wirtschaftliche Geschäftsbetriebe i.S.v. § 14 AO, die die Voraussetzungen der §§ 65 bis 68 AO erfüllen. Hieraus folgt aus Sicht des BFH, dass Gegenstand der Zweckbetriebsprüfung die im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgeübte Tätigkeit ist.

Anhand von § 68 Nr. 4 AO lässt sich dies beispielhaft verdeutlichen. Geht es um die Frage, ob Verkaufstätigkeiten der dort genannten Blindenfürsorge dienen, ist Gegenstand dieser Prüfung die Verkaufstätigkeit, sodass eine Zweckbetriebszugehörigkeit der Verkaufstätigkeit nicht damit begründet werden kann, dass daneben auch unentgeltliche Tätigkeiten z.B. in Kursen oder Seminaren ausgeübt werden, die für sich betrachtet zu keiner wirtschaftlichen Tätigkeit führen.

Daher ist es nicht möglich, die entgeltliche Verkaufstätigkeit in Relation zur unentgeltlichen Kurstätigkeit zu setzen, um mit einem Überwiegen der Kurstätigkeit einen Zweckbetrieb Verkauf zu begründen.

Stattdessen ist aus Sicht des BFH zu prüfen, ob sich die Verkaufstätigkeit vom allgemeinen Fachhandel dadurch unterscheidet, dass sie im Zusammenhang mit weitergehenden Leistungen wie z.B. einem unentgeltlichen Kursangebot steht. Letzteres kann dazu führen, dass der Verkauf mit den damit zusammenhängenden Lieferungen als Blindenfürsorge i.S.v. § 68 Nr. 4 AO anzusehen ist.

2. Der BFH begründet dies ergänzend damit, dass entsprechend bereits bisheriger Betrachtung die Anforderungen des § 65 Nr. 1 AO auch bei Anwendung von § 68 AO zu beachten sind.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 17.11.2022 – V R 12/20

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