Leitsatz

1. Eine Freistellungsbescheinigung des (vormaligen) Bundesamts für Finanzen (heute: Bundeszentralamt für Steuern), wonach bestimmte Kapitalerträge (hier: Dividenden einer Tochtergesellschaft) von der Kapitalertragsteuer ausgenommen sind, die dem Empfänger in einem bestimmten Zeitraum "zufließen", ist regelmäßig so auszulegen, dass damit der jeweilige kapitalertragsteuerrechtliche Zuflusszeitpunkt gemeint ist.

2. Eine Dividende gilt dem Gesellschafter auch dann gem. § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG 1990 als am Tag nach dem Gewinnausschüttungsbeschluss zugeflossen, wenn dieser bestimmt, die Ausschüttung solle nach einem bestimmten Tag (hier: "nach dem 30.6.1996") erfolgen.

3. Hat eine inländische Tochtergesellschaft an ihre im EU-Ausland ansässige Muttergesellschaft eine Dividende gezahlt, gilt diese Dividende als vor dem 30.6.1996 zugeflossen und wurde die auf sie entfallende Quellensteuer von 5 % nicht einbehalten und abgeführt, so haftet die Tochtergesellschaft für diese Quellensteuer. Im Haftungsverfahren ist nicht zu prüfen, inwiefern die Besteuerung der Muttergesellschaft mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

 

Normenkette

§ 44 Abs. 2, Abs. 5, § 44d Abs. 1, § 50d Abs. 1 EStG 1990, Art. 5 EWGRL 435/90

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, war im Streitjahr 1996 die Tochtergesellschaft einer Kapitalgesellschaft französischen Rechts (S.A.) mit Sitz in Frankreich. Ihre Gesellschafterversammlung beschloss am 19.4.1996 für das Jahr 1995 eine Gewinnausschüttung von 4 Mio. DM, die "nach dem 30.6.1996" stattfinden solle. Auf Antrag erteilte das (vormalige) BfF am 11.7.1996 einen Bescheid, wonach die Klägerin berechtigt sei, den Steuerabzug i.H.v. 0 % des Bruttoertrags vorzunehmen. Die Bescheinigung gelte "nur für Kapitalerträge, die in der Zeit vom 1.7.1996 bis zum 30.6.1999 zufließen". Die Klägerin zahlte den Gewinnausschüttungsbetrag von 4 Mio. DM am 22.7.1996 ohne Abzug von Kapitalertragsteuer an die S.A. aus.

Mit Haftungsbescheid vom 20.12.2000 nahm das FA die Klägerin in Bezug auf die am 19.4.1996 beschlossene Gewinnausschüttung als Haftungsschuldnerin für nicht abgeführte Kapitalertragsteuer im Betrag von 200.000 DM in Anspruch.

Nach Auffassung des FA wurde die Gewinnausschüttung vom Zeitrahmen des Freistellungsbescheids des BfF nicht erfasst, weil die Ausschüttung nach der Fiktion des § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG als am Tag nach der Fassung des Ausschüttungsbeschlusses – mithin am 20.4.1996 – zugeflossen gelte. Die Festlegung eines taggenauen Ausschüttungszeitpunkts gem. § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG könne in der Formulierung "nach dem 30.6.1996" nicht gesehen werden.

Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Klage führte zu dessen Aufhebung (EFG 2006, 1432).

 

Entscheidung

Der BFH gab dem FA recht.

Zum einen greife die Zuflussfiktion des § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG, zum anderen sei der Klägerin zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuhalten, was die Inhaftungnahme rechtfertige. Die Frage, ob die 5%-ige Kapitalertragsteuerpflicht gegen die EG-Grundfreiheiten verstoße, lasse sich im Haftungsverfahren nicht abschließend prüfen und beantworten. Das habe jedenfalls für das Streitjahr im Rahmen eines gesonderten Erstattungsantrags der französischen S.A. zu geschehen.

 

Hinweis

Das Urteil betrifft Sonderfälle nach der sog. Mutter-Tochter-RL der EG, welcher in jener Form keine Aktualität mehr zukommt. Das Urteil sensibilisiert dennoch für die einschlägigen Europarechtsfragen und enthält außerdem noch eine auch gegenwärtig bedeutsame Klarstellung.

1. Von einer inländischen Kapitalgesellschaft an deren ausländische Muttergesellschaft ausgeschüttete Dividenden unterliegen als inländische Kapitalerträge gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG der Kapitalertragsteuer.

Diese entsteht gem. § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. Die ausschüttende Gesellschaft als Vergütungsschuldnerin hat gem. § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG den Steuerabzug für Rechnung der Schuldnerin der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG) vorzunehmen. Soweit der Abzug unterblieben ist, haftet die ausschüttende Gesellschaft gem. § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG für die nicht abgeführte Kapitalertragsteuer.

2. Für Ausschüttungen an eine EU-Muttergesellschaft galten die Sonderregeln des § 44d EStG 1990 und nunmehr gelten die – im Grundsatz gleich lautenden – Sonderregeln des § 43b EStG 2002. Dadurch wurde Art. 5 der Mutter-Tochter-RL in nationales Recht umgesetzt und danach kann die Kapitalertragsteuer vollen Umfangs erstattet werden. Für Kapitalerträge, welche bis zum 30.6.1996 zuflossen, wurde jene Steuer lediglich reduziert, und zwar auf 5 %.

Für die hiernach mögliche Reduzierung bzw. Nichterhebung von Kapitalertragsteuer sieht § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG ein Freistellungsverfahren beim BZSt, früher beim BfF, vor, welches die Berechtigung zum Unterlassen bzw. zur Reduzierung des Steuerabzugs auf Antrag zu bescheinigen hat. Wird davon kein Gebrauch gemacht, bleibt es beim Steuerabzug mit der Möglichkeit der späteren Erstattu...

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