Leitsatz

Wiedereinsetzung nach § 110 AO ist von Amts wegen zu gewähren, wenn die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Gründe offenkundig oder amtsbekannt, also aktenkundig, sind. Hat das Finanzamt die Offenkundigkeit der rechtfertigenden Tatsachen verhindert, indem es den Briefumschlag des Einspruchsschreibens nicht zur Akte nahm, muss es die Vernichtung des Umschlages nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung gegen sich gelten lassen. Insofern stützt sich das FG auf den allgemeinen Rechtsgedanken des § 444 ZPO und ist der Ansicht, dass das Finanzamt zur Wiedereinsetzung nach § 110 AO verpflichtet gewesene wäre.

 

Sachverhalt

Mit Schreiben vom 23.1.1998 legte der Steuerberater der Klägerin gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1991 vom 29.12.1997 Einspruch ein. Der Einspruch ging laut Eingangsstempel beim beklagten Finanzamt am 3.2.1998 ein. Nachdem der Steuerberater mit Schreiben vom 8.4.1998 hinsichtlich der abschließenden Bearbeitung des Einspruchs vertröstet worden war, wurde er im Januar 2001 auf den verspäteten Eingang des Einspruchsschreibens hingewiesen. Daraufhin teilte der Steuerberater mit, das der Einspruch am 30.1.1998 lt. Postausgangsbuch zur Post gegeben worden sei. Normalerweise hätte er rechtzeitig bei der Beklagten eingehen müssen. Der Einspruch blieb erfolglos.

 

Entscheidung

Nach § 110 Abs. 2 Satz 4 AO hätte der Klägerin Wiedereinsetzung ohne Antrag gewährt werden müssen, denn die Verspätung des Einspruchs erfolgte ohne ihr Verschulden. Verspätungen der Briefzustellung dürfen nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, wenn dieser die Post rechtzeitig ordnungsgemäß aufgibt und die Auslieferung innerhalb der üblichen Postlaufzeiten erfolgt. Das lässt sich nur durch den Poststempel nachweisen. Das Finanzamt hat der Klägerin die Benutzung dieses Beweises durch Vernichtung des Umschlages erschwert, so dass sich das Finanzamt nach § 444 ZPO so behandeln lassen muss, als wenn der Umschlag bei den Akten wäre. Befindet sich der Umschlag aber bei den Akten, dann sind die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Gründe offensichtlich (vgl. dazu BFHE 121, 15) und müssten so zu einer Wiedereinsetzung von Amts wegen führen. Dies ist nicht erfolgt, so dass die Einspruchsentscheidung aufzuheben war.

 

Hinweis

Die Entscheidung des FG ist rechtskräftig und stärkt weiter die Rechte der Steuerpflichtigen. Die Finanzbehörden werden zukünftig fürsorglich Briefumschläge von fristwahrenden Schriftsätzen aufheben müssen. Den Steuerpflichtigen soll damit der Beweis erleichtert werden, fristwahrende Schreiben rechtzeitig zur Post gegeben zu haben. Geschieht dies nicht, hilft der Gedanke des § 444 ZPO mit der daraus folgenden Verpflichtung des Finanzamtes, Wiedereinsetzung nach § 110 AO zu gewähren. Die hohen Anforderungen, die die Finanzgerichte an die Steuerpflichtigen und deren Berater stellen, hat das Finanzgericht damit auch auf die Finanzbehörden ausgeweitet.

 

Link zur Entscheidung

Niedersächsisches FG, Urteil vom 26.11.2002, 6 K 812/01

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