Sachverhalt

Bei dem belgischen Verfahren ging es um die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und des Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 1 Buchst. a und Art. 135 Abs. 1 Buchst. 1 und Abs. 2 MwStSystRL). Das Verfahren betraf - vor dem Hintergrund der Seeling-Rechtsprechung des EuGH - die Frage, ob im Fall einer (unentgeltlichen) Nutzungsüberlassung von Räumlichkeiten einer juristischen Person an ihren Geschäftsführer die Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken gemäß Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie Anwendung findet und damit insoweit für die juristische Person hinsichtlich der bezogenen Vorleistungen der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist.

Die Klägerin, eine AG, erwarb im Jahr 2003 den Nießbrauch an einem Gebäude. Für diesen Vorgang fiel in der Rechnung an die Klägerin ausgewiesene MwSt an. Im Jahr 2004 nutzte die Klägerin in dem Gebäude nur ein Büro und einen Archivraum. Die übrigen Räume des Gebäudes wurden von dem Geschäftsführer der Klägerin für private Wohnzwecke genutzt. Die belgische Steuerverwaltung erkannte für den Erwerb des Nießbrauchsrechts den Vorsteuerabzug nur zum Teil an. Hinsichtlich der privaten Nutzung des Gebäudes wurde der Vorsteuerabzug abgelehnt. Im vorinstanzlichen Verfahren wurde der Klägerin der volle Vorsteuerabzug zugesprochen, wobei jedoch die unentgeltliche Überlassung des Gebäudes an den Geschäftsführer zur privaten Nutzung jährlich der Wertabgabenbesteuerung unterliege.

Das Vorlagegericht hielt es für fraglich, ob die Grundsätze des EuGH-Urteils v. 8.5.2003, C-269/00 (Seeling) auch im vorliegenden Fall Anwendung finden. In diesem Urteil hatte der EuGH entschieden, dass die Steuerbefreiung für die Vermietung eines Grundstücks nach Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie nicht einschlägig ist, wenn ein Steuerpflichtiger einen Teil eines Gebäudes, das seinem Unternehmen zugeordnet ist, für seinen privaten Bedarf verwendet und dieser Vorgang gemäß Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie der Mehrwertsteuer unterliegt. Demnach ist im Ergebnis für ein insgesamt dem Unternehmen zugeordnetes Gebäude bei im Übrigen vorliegenden Voraussetzungen der volle Vorsteuerabzug zu gewähren Die belgische Finanzbehörde war der Auffassung, dass dieses Urteil nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sei, in dem eine steuerpflichtige juristische Person ihrem Geschäftsführer ein Gebäude für private Wohnzwecke überlässt. In dem EuGH-Urteil sei allein die private Nutzung eines Gebäudes für den (eigenen) privaten Bedarf des Unternehmers selbst Verfahrensgegenstand gewesen. Entsprechende Anweisungen hatte die belgische Steuerverwaltung in einem Verwaltungsrundschreiben niedergelegt.

 

Entscheidung

Der EuGH hat im vorliegenden Fall wie in seinem Urteil v. 8.5.2003, C-269/00 (Seeling) entschieden. Nach dem jetzigen Urteil gelten die Grundsätze der Seeling-Rechtsprechung auch dann, wenn der Unternehmer keine natürliche Person ist, die eine Privatverwendung für ihren eigenen Bedarf tätigt, sondern eine juristische Person, die einem Gesellschafter einen Grundstücksteil für dessen private Zwecke überlässt. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) erfasst nicht nur den Fall des Steuerpflichtigen, der einen dem Unternehmen zugeordneten Gegenstand für seinen privaten Bedarf verwendet, sondern auch den Fall, in dem das Personal eines Unternehmers eine solche Verwendung vornimmt. Im letztgenannten Fall besteht auch keine Identität zwischen den betreffenden Personen, und der Fall, dass der Unternehmer eine juristische Person ist, schließt nicht aus, dass es zu einer Verwendung des Gegenstands zu privaten Zwecken durch das Personal des Steuerpflichtigen kommen kann. Der EuGH setzt damit einen Kapitalgesellschafter dem Personal der Gesellschaft gleich und begründet dies auch mit dem Neutralitätsgrundsatz, wonach die Unternehmereigenschaft von der Rechtsform des Unternehmens unabhängig ist.

Diese Rechtsfolge gilt nach dem Urteil jedoch nicht, wenn zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter ein Mietvertrag vorliegt, der dem Gesellschafter die Nutzung des Grundstücksteils gestattet. Denn nach dem Urteil hat das Vorlagegericht zu prüfen, ob eine Vermietung vorgelegen hat.

 

Hinweis

Ab dem 1.1.2011 ist im deutschen Recht das sog. Seeling-Modell nicht mehr anwendbar. Gemäß § 15 Abs. 1b UStG ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb sowie für die sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit sie nicht auf die Verwendung des Grundstücks für Zwecke des Unternehmens entfällt. Aufgrund dieser Vorsteuerabzugsbeschränkung unterliegt die Verwendung eines Grundstücks für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf des Personals, nicht mehr der unentgeltlichen Wertabgabenbesteuerung nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG. Das vorliegende Verfahren konnte deshalb nur auf di...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge