Die besonderen Risiken der Aushändigung einer Vollmachtsurkunde resultieren aus den Vorschriften von §§ 170 bis 173 BGB:

3.1 Fortbestehensfiktion

Eine durch Erklärung gegenüber dem Geschäftsgegner erteilte Außenvollmacht besteht gem. § 170 BGB solange fort, bis diesem das Erlöschen derselben angezeigt ist. Die Vollmacht erlischt also zwar gem. § 168 BGB auch im Fall einer Außenvollmacht durch Erklärung gegenüber dem Bevollmächtigten; gegenüber dem Geschäftsgegner wird jedoch ihr Fortbestehen fingiert. Eine ähnliche Regelung greift im Falle der öffentlichen Bekanntmachung der Vollmacht bzw. im Fall der Bevollmächtigung durch besondere Mitteilung an eine Dritten. Gemäß § 171 Abs. 2 BGB bleibt die Vertretungsmacht bestehen, bis die Kundgebung der Vollmacht in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird. An diese Regelung anknüpfend fingiert § 172 BGB die Vertretungsmacht als weiterhin bestehend, wenn der Vollmachtgeber dem Bevollmächtigten gemäß § 172 Abs. 1 BGB eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und der Vertreter diese dem Dritten bei Abschluss des Geschäfts vorlegt . Die Vollmacht bleibt bestehen, bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt wird (§ 172 Abs. 2 BGB).

Die Vorschriften von §§ 170 bis 172 BGB normieren eine Rechtsscheinhaftung des Vertretenen: Sie schützen den Geschäftsgegner, der auf den Bestand (Fortbestand) einer in Wahrheit nicht (mehr) bestehenden Vollmacht vertraut hat, wobei es für die §§ 171 und 172 BGB lediglich auf die Kundgabe, nicht aber auf die tatsächliche Erteilung der Vollmacht ankommt. Ein Geschäftsgegner kann sich jedoch auf die Fortbestehensfiktion nur dann wirksam berufen, wenn er das Erlöschen der Vertretungsmacht bei Vornahme des Rechtsgeschäfts selbst nicht kennt oder kennen muss, d.h. nicht positive Kenntnis vom Erlöschen der Vertretungsmacht hat bzw. er diese fahrlässig nicht kennt (§ 173 BGB).

3.2 Duldungs- und Anscheinsvollmacht

Aus den vorerwähnten Vorschriften von §§ 170 bis 173 BGB und dem sich daraus ergebenden Grundsatz des Vertrauensschutzes hat die Rechtsprechung zurückgehend auf das Reichsgericht weitergehende Rechtsscheinsvollmachten entwickelt. Es wird unterschieden zwischen einer Duldungs- und einer Anscheinsvollmacht:

  • Eine Duldungsvollmacht ist gegeben, wenn der (geschäftsfähige) Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Bevollmächtigter auftritt und der Geschäftsgegner diese Duldung nach Treu und Glauben dahin verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt sei.[5] Die Duldungsvollmacht unterscheidet sich von der stillschweigend erteilten Vollmacht dadurch, dass der Vertretene bei der Duldungsvollmacht gerade keinen Willen zur Bevollmächtigung hat. Da Voraussetzung lediglich ein bewusstes Dulden durch den Vertretenen ist, kann bereits ein einmaliges Gewährenlassen eine entsprechende Rechtsscheinsvollmacht begründen.[6]
  • Eine Anscheinsvollmacht liegt demgegenüber vor, wenn der Vertretene das Handeln seines angeblichen Vertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und wenn der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln seines Vertreters.[7] Voraussetzung für das Vorliegen der Anscheinsvollmacht ist der Rechtsschein einer Bevollmächtigung, der durch eine von gewisser Regelmäßigkeit und Häufigkeit bzw. Dauer gekennzeichnetes Verhalten des Vertretenen erzeugt werden muss, und die Gutgläubigkeit des Geschäftsgegners (§ 173 BGB analog).

3.3 Missbrauch der Vertretungsmacht

Häufig bestehen zwischen dem rechtlichen Dürfen im Innenverhältnis und dem rechtlichen Können im Außenverhältnis Diskrepanzen. Das Risiko eines Missbrauchs der Vertretungsmacht trägt insoweit grundsätzlich der Vertretene, d. h. überschreitet der Vertreter seine Pflichten aus dem Innenverhältnis, ist die Vertretung gleichwohl grundsätzlich wirksam; zu denken ist hier insbesondere an Fälle, bei denen der Umfang der Vertretungsmacht gesetzlich normiert ist (§ 49 HGB, § 54 HGB o. ä.). Dem Vertragsgegner obliegt insoweit allgemein keine Prüfungspflicht.[8] Wirken Vertreter und Vertragsgegner indessen zum Nachteil des Vertretenen bewusst zusammen (sog. Kollusion), wird letzterer nicht gebunden. Beispiel: Versicherungsnehmer und Versicherungsagent (als Vertreter der Versicherungsgesellschaft) nehmen bewusst Vorerkrankungen nicht in einen Versicherungsantrag für eine Berufsunfähigkeitsversicherung auf.[9] Macht der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in "ersichtlich verdächtiger Weise" Gebrauch (keine Prüfungspflicht des Geschäftsgegners, sondern objektive Evidenz), sodass beim Vertragsgegner begründete Zweifel entstehen mussten, kann der Vertretene seiner Inanspruchnahme den Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen halten. In Fällen gesetzlich unbesc...

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