Können die primären Pflichten aus einem Vertrag von einer Partei nicht erfüllt werden – sei es, dass sie nicht dazu gewillt ist, sei es, dass sie es nicht vermag – sieht das Gesetz eine Reihe von Rechten und sekundären Ansprüchen vor, die den anderen Teil so weit als möglich und gerechtfertigt schadlos halten. Erfasst werden dabei alle denkbaren Fälle, in denen das tatsächlich Geleistete hinter dem vertraglich Geschuldeten zurückbleibt, insbesondere die Unmöglichkeit der Leistung, die Spätleistung (Verzug) und die Schlechtleistung.

Das Recht der Vertragsstörungen kennt

  • ein allgemeines Rücktritts- und Schadensersatzrecht in den §§ 280 ff, 323 ff BGB[1] sowie,
  • abhängig vom jeweiligen Vertragstyp, weitere (Gewährleistungs-)Rechte für den Fall der Leistungsstörung wie etwa die Nachbesserung, die Minderung oder die Selbstvornahme.[2]
 
Leistungsstörung Ausprägung Beispiel
Unmöglichkeit tatsächliche Das Gemälde, das vertragsgemäß restauriert werden soll, wird beim Transport zerstört.
praktische Der Baugrund erweist sich unvorhergesehen als so schwierig, dass die vertraglich geschuldete Tiefgarage zwar technisch realisiert werden könnte, der Aufwand dafür aber jedes vernünftige Maß sprengte.
persönliche Die Sängerin könnte zwar wie vereinbart auftreten, wegen des Unfalltodes ihrer Tochter kann sie jedoch die erwartete Bühnenleistung nicht erbringen.
     
Verzug des Schuldners Der Schuldner liefert nicht zum fest vereinbarten Termin oder bleibt auf eine Mahnung des Gläubigers nach Fälligkeit untätig
des Gläubigers der Gläubiger nimmt die vertragsgemäße Lieferung nicht an.
     
Schlechtleistung Verletzung einer Leistungspflicht Der Lieferant liefert eine andere Ware als die vereinbarte, eine andere Menge als vereinbart oder er liefert mit Mängeln behaftete Ware.
Verletzung einer leistungsbezogenen Nebenpflicht Der Lieferant einer Maschine verpackt diese unzureichend, weshalb sie nach langer Autobahnfahrt stark verschmutzt beim Kunden eintrifft und gereinigt werden muss.
Verletzung einer nicht leistungsbezogenen Nebenpflicht Der Lieferant beschädigt bei der Anlieferung per LKW die Videokamera am Hallentor des Kunden.
[1] Dazu nachfolgend Tz. 3.1 bis 3.6.
[2] S. unten Tz. 3.7.

3.1 Pflichtverletzung

Außerhalb der Sonderregelungen des Kauf- und des Werkvertragsrechts, ist der Begriff der Pflichtverletzung zentraler Ansatzpunkt[1] für alle Leistungsstörungen.[2]

Für den Begriff der Pflichtverletzung ist der objektive Verstoß gegen das vertragliche "Pflichtenprogramm" maßgeblich und ausreichend; unerheblich ist insoweit, ob dem Schuldner vorgeworfen werden kann, worauf er zurückgeht und wie schwer oder erheblich seine Folgen sind. So umfassend wie der Begriff des Schuldverhältnisses ist auch die Konzeption der Pflichtverletzung: Jede Pflichtverletzung kann zum Rücktritt des Gläubigers vom Vertrag und – bei (widerleglich vermutetem) Verschulden des Schuldners – zu einem Schadensersatzanspruch führen. Auf die Art der verletzten Pflicht kommt es grundsätzlich nicht an. Entscheidend ist das Zurückbleiben der erbrachten Leistung hinter der (nach dem Vertrag) geschuldeten.

Es bedarf keiner Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenpflicht, Leistungs- und Schutzpflicht sowie Nicht- oder Spätleistung – ebenso wenig, wie die in der Praxis oft schwierige Unterscheidung danach, ob der Schuldner eine andere als die geschuldete oder aber eine nach Menge, Qualität oder Art hinter der vertraglich vereinbarten zurückbleibende Leistung erbracht hat.[3]

[2] Dies entspricht dem Ansatz des UN-Kaufrechts, das im selben Sinne von der "Nichterfüllung vertraglicher Pflichten" spricht, vgl. Art. 45 Abs. 1, 61 Abs. 1 UN-Kaufrecht.
[3] Unerheblich ist grds. auch die Schwere der Verletzung und ihrer Folgen. Bei unerheblicher Schlechtleistung allerdings sind der Rücktritt vom Vertrag und Schadensersatz "statt der ganzen Leistung" ausgeschlossen, § 323 Abs. 5 Satz 2, § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB. Bei bereits erbrachter Teilleistung verlangen Rücktritt vom ganzen Vertrag und Schadensersatz "statt der ganzen Leistung" den Wegfall des Gläubigerinteresses an der bereits erbrachten Teilleistung, § 323 Abs. 5 Satz 1, § 281 Abs. 1 Satz 2 BGB.

3.2 Vorrang des Erfüllungsanspruches

Liegt eine Pflichtverletzung vor, wird der Übergang vom primären vertraglichen Erfüllungsanspruch zum Schadensersatz statt der Leistung und/oder zum Rücktritt vom Vertrag grds. von einer vorherigen Fristsetzung zur Leistung oder Nacherfüllung abhängig gemacht. Dies sichert den generellen Vorrang des Erfüllungsanspruches vor den Sekundäransprüchen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts ebenso wie vor denen des kauf- und werkvertraglichen Gewährleistungsrechts. Nur in Ausnahmefällen ist die vorherige Fristsetzung entbehrlich.[1] Der Schuldner erhält so grundsätzlich eine "zweite Chance" zur Vertragserfüllung.

 

Beispiel 15

Der beauftragte Fliesenleger hat einen untauglichen Fliesenkleber verwendet. Einzelne Fliesen lösen sich ab. Der Kunde muss hier zunächst eine angemessene Frist zur Nacherfüllung setzen und dem Unternehmer so di...

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