BMF, 1.12.1980, IV B 7 - S 2741 - 20/80

Zur Frage, ob eine "sociedad de responsabilidad limitada" chilenischen Rechts steuerlich als Personengesellschaft oder als Kapitalgesellschaft zu behandeln ist, vertritt der BMF im Einvernehmen mit dem BMJ folgende Auffassung: Die Beantwortung dieser Frage hängt nach der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung (RFH vom 12.2.1930, RStBl. S. 444; BFH vom 17.7.1968, BStBl. II S. 695 = DB 1968 S. 1694) davon ab, ob die chilenische Gesellschaft nach ihrem im Ausland geregelten rechtlichen Aufbau und ihrer wirtschaftlichen Stellung eher einer Personengesellschaft oder einer Kapitalgesellschaft deutschen Rechts nahesteht.

Das chilenische Gesetz vom 14.3.1923 über die "sociedad de responsabilidad limitada" enthält in vier Artikeln nur wenige eigene Bestimmungen. Ergänzend kommen die Vorschriften über die "sociedad colectiva", die weitgehend der deutschen offenen Handelsgesellschaft entspricht, zur Anwendung. Die "sociedad de responsabilidad limitada" ist deshalb in stärkerem Maße als die deutsche GmbH in ihrer rechtlichen Struktur gesellschafterbezogen. Dennoch entspricht die chilenische "sociedad de responsabilidad limitada" (s. d. r. l.) mehr der deutschen GmbH als der deutschen OHG.

Nach ihrem gesetzlichen Leitbild nimmt schon die deutsche GmbH, wenngleich körperschaftlich strukturiert, eine Mittelstellung zwischen den personalistischen Gesellschaftsformen der Personenhandelsgesellschaften (OHG u. KG) und der "als äußerste Konsequenz des kapitalistischen Prinzips sich darstellenden Aktiengesellschaft" ein (vgl. Schilling i. Hachenburg GmbHG, 7. Aufl. Einl. Anm. 12 ff.; H. P. Westermann i. Scholz GmbHG, 6. Aufl. Einl. Anm. 1 ff.). Ihre wesentlichen Unterschiede zu den Personenhandelsgesellschaften werden in der Haftungsbeschränkung aller Gesellschafter, der Verselbständigung zur juristischen Person, der körperschaftlichen Struktur, d. h. der Ausübung von Geschäftsführung und Gesellschaftsrechte durch getrennte Organe, der Drittorganschaft sowie der Aufbringung und Erhaltung eines Stammkapitals zu sehen sein.

Im wesentlichen weist auch die chilenische s. d. r. l. diese Merkmale auf: Die persönliche Haftung aller Gesellschafter ist beschränkt und die Gesellschaft ist juristische Person (allerdings sind auch die chilen. Personenhandelsgesellschaften juristische Personen). Auch wenn nach chilenischem Recht die Geschäftsführung grundsätzlich allen Gesellschaftern zustehen, können auch andere Personen, die keine Gesellschafter sind und der Gesellschaft gegenüber im Angestelltenverhältnis stehen, als Geschäftsführer bestellt werden, so daß also von der Drittorganschaft auszugehen ist. Die Gesellschaft muß ferner ein bestimmtes Stammkapital haben, das durch Einlagen der Gesellschafter aufzubringen ist. Für das Stammkapital besteht allerdings gegenüber dem deutschen GmbH-Recht der wesentliche Unterschied, daß ein bestimmtes Mindeststammkapital und Mindesteinlagen gesetzlich nicht vorgeschrieben sind. Diese sind durch die Gesellschafter in dem Gesellschaftsvertrag festzulegen. In weiteren Einzelheiten ist die s. d. r. l. teils kollektivistischer, teils individualistischer als die GmbH. So kann ein Gesellschafter bei der Gründung einer s. d. r. l. mehrere Anteile übernehmen, bei der GmbH jeder Gründer nur einen Anteil. Andererseits dürfen bei der s. d. r. l. Gesellschaftsanteile nur mit Zustimmung aller Gesellschafter übertragen werden, während bei der GmbH grundsätzlich eine Genehmigung der Gesellschaft zwar nicht erforderlich ist, aber im Gesellschaftsvertrag häufig vorgesehen wird.

Auch nach ihrer wirtschaftlichen Stellung läßt sich die chilenische "sociedad de responsabilidad limitada" am ehesten mit einer deutschen GmbH vergleichen. Bis zum Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich in zahlreichen Rechtsordnungen ein dualistisches System der Gesellschaftsformen herausgebildet, das durch den Gegensatz zwischen dem strikt körperschaftlich organisierten "Kapitalverein" (Aktiengesellschaft und entsprechende Gesellschaften ausländischer Rechtsordnungen) einerseits und einem personalistischen Verbandstyp (OHG, KG und entsprechende ausländische Personenhandelsgesellschaften) gekennzeichnet war. Unabhängig vom wechselnden Bestand der Mitglieder, Finanzierung durch das Publikum, Risikobegrenzung auf die Einlagen und die Trennung von Mitgliedschaft und Leitung einerseits und weitgehende Identifizierung der Gesellschaft mit den Mitgliedern, Selbstorganschaft sowie strenge Geschlossenschaft des Mitgliederkreises und privater Finanzierung andererseits zeichneten die unterschiedlichen Gesellschaftsformen aus.

Seither hat der Gedanke einer Gesellschaftsform, die zwischen Kapitalgesellschaft und Personengesellschaft steht, weltweite Verbreitung gefunden. Die durch das deutsche GmbH-Gesetz 1982 in Deutschland verwirklichte Konzeption einer eigenständigen Gesellschaftsform hat vor allem im deutschen und im romanischen Rechtskreis, aber auch in anderen Staaten mit mehr oder weniger weitreichen...

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