Leitsatz

Die durch § 52 Abs. 28 Satz 16 Teilsatz 3 EStG bewirkte Einbeziehung unechter Finanzinnovationen in die Veräußerungsgewinnbesteuerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG mit Wirkung vom 01.01.2009 ist verfassungsgemäß.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 2 Sätze 1 Nr. 7 und 2, § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008, § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG a.F., Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG

 

Sachverhalt

Der Kläger erwarb am 25.7.2008 Anleihen der X-B.V. (Anleihen A) sowie am 18.12.2008 Anleihen der Y-AG (Anleihen B) und der Z-AG & Co. KGaA (Anleihen C). Die Anleihen A hatten eine 60‐jährige Laufzeit bis 2066, die Anleihen B und C eine ca. 100‐jährige Laufzeit bis 2104 bzw. 2105. Eine Trennung zwischen Ertragsebene und Vermögensebene war möglich. Für einen begrenzten Zeitraum, die sog. Festzinslaufzeit, waren die Anleihen festverzinslich (A: 7,375 %, B: 5,0 %, C: 5,375 %), danach bestanden jeweils eine variable Verzinsung und ein Kündigungsrecht der Emittentin.

Nach Ablauf der jeweiligen Festzinslaufzeit kündigte die Emittentin die Anleihen. Aus den Rückzahlungen zum Nennwert erzielte der Kläger im Streitjahr 2015 Gewinne i.H.v. 3.035,89 EUR aus den Anleihen B und 1.578,58 EUR aus den Anleihen C sowie im Streitjahr 2016 einen Gewinn i.H.v. 616,33 EUR aus den Anleihen A.

Die Bank des Klägers beurteilte die Rückzahlung der Anleihen jeweils als steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft, ermittelte die der Höhe nach unstreitigen Veräußerungsgewinne nach § 43a Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 20 Abs. 4 EStG und unterwarf sie dem ­KapESt-Abzug.

Mit den ESt-Erklärungen für 2015 und 2016 beantragte der Kläger, die von der Bank einbehaltenen und abgeführten Steuerabzugsbeträge (KapESt und SolZ) i.H.v. insgesamt 1.217,06 EUR (2015) bzw. 162,55 EUR (2016) zu erstatten. Das FA lehnte dies ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das FG die hiergegen erhobene Klage ab (FG Köln, Urteil vom 3.7.2020, 12 K 449/18, Haufe-Index 14295290).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Die Gewinne aus der Rückzahlung von Anleihen sind nach der Einführung der ASt gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu besteuern. Bei den Anleihen handelt es sich um sonstige Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG gilt als Veräußerung auch die Rückzahlung, sodass der Gewinn hieraus zu besteuern ist.

2. Zwar hatte der Kläger die Anleihen A, B und C im Jahr 2008 und damit noch vor der Einführung der ASt am 1.1.2009 erworben. Außerdem lagen nach der Rechtsprechung zu unechten Finanzinnovationen keine Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008, sondern sonstige Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2008 vor. Die Rückzahlung der Anleihe wäre nach dem Besteuerungssystem vor Einführung der ASt unter den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gefallen und nach dem Ablauf der Haltefrist von einem Jahr nicht mehr steuerbar gewesen.

3. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber jedoch in der Übergangsregelung des § 52 Abs. 28 Satz 16 Teilsatz 3 EStG eine Rückausnahme normiert. Danach werden Anleihen als unechte Finanzinnovationen auch dann, wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich ist oder zumindest möglich erscheint, den Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 gleichgestellt, sodass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG auf die nach dem 31.12.2008 zufließenden Rückzahlungen anzuwenden ist.

4. Zu einer Ausnahme von der Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG führt im Streitfall auch nicht § 52 Abs. 28 Satz 17 EStG (früher § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG a.F.), da die Anleihen A, B und C nicht in die Kategorie der von der Vorschrift erfassten Vollrisikopapiere fallen.

5. Für eine teleologische Reduktion der Übergangsregelung des § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG oder des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG besteht keine Veranlassung. Die Wortlautauslegung der Sätze 15 ff. des § 52 Abs. 28 EStG und des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG führt nicht zu einem sinnwidrigen, sondern zu einem dem Gesetzeszweck entsprechenden Ergebnis. Durch die Einfügung des dritten Teilsatzes in § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG wollte der Gesetzgeber nämlich Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden und den mit der ASt ab dem 1.1.2009 angestrebten Vereinfachungseffekt nicht konterkarieren.

6. Die Übergangsregelung ist nach der Auffassung des BFH auch verfassungskonform. Sie verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Der Kläger ist im Hinblick auf die mit der Revision angegriffene Besteuerung in den Streitjahren 2015 und 2016 zwar insofern von einer "rückwirkenden" bzw. vergangenheitsbezogenen Regelung betroffen, als er die Anleihen A, B und C im Jahr 2008 erworben hat, noch bevor die betreffenden Veräußerungs- bzw. Rückzahlungsgewinne mit Wirkung vom 1.1.2009 in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG einbezogen wurden. Da die durch die Gewinnrealisierung ausgelöste Besteuerung indes erst in ...

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