Leitsatz

Der Fahrer eines Lastzugs "verbringt" i.S.d. TabStG Waren in das Steuergebiet und wird folglich Steuerschuldner auch dann, wenn die Waren ohne sein Wissen in dem Fahrzeug versteckt worden sind.

 

Normenkette

Art. 6 Abs. 2, Art. 7, Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG, § 12 Abs. 1, § 19 TabStG, § 118 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

In einem Lkw waren bei einer Zollkontrolle in Deutschland nicht versteuerte Zigaretten aus dem freien Verkehr Polens gefunden worden. Der für die Spedition tätige Fahrer ließ sich dahin ein, die Zigaretten seien ohne sein Wissen und ohne dass er hätte Verdacht schöpfen müssen in dem Lkw versteckt worden.

Das FG hat ihm dies geglaubt und den vom HZA gleichwohl gegen ihn erlassenen Bescheid über Tabaksteuer aufgehoben.

 

Entscheidung

Der BFH hat auf die Revision des HZA die Klage gegen den Tabaksteuerbescheid abgewiesen. Der Kläger sei Tabaksteuerschuldner ungeachtet dessen geworden, dass er nicht gewusst hat, dass er mit seinem Fahrzeug Zigaretten in das Steuergebiet bringt. Er habe die Zigaretten gleichwohl im Sinn des TabStG "verbracht" und sei auch im Sinn der Systemrichtlinie Besitzer der Zigaretten gewesen.

 

Hinweis

Eine Zollschuld entsteht zulasten desjenigen, der Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbringt. Dabei wird der Begriff des "Verbringens" seit jeher rein objektiv verstanden; er setzt zwar eine menschliche Handlung voraus, die von Handlungswillen getragen ist, nicht aber das Bewusstsein, bestimmte Waren in das Zollgebiet zu verbringen, oder gar die genaue Kenntnis der Zusammensetzung der in dem Fahrzeug befindlichen Ladung. Dieses Verständnis des Begriffs "verbringen" hat der EuGH als auch für den Zollkodex maßgeblich bestätigt (Urteil vom 04.03.2004, Rs. C-238/02 und 246/02, EuGHE 2004, I-2141).

Die Entstehung einer Verbrauchsteuerschuld richtet sich bei der Einfuhr von Waren in das Zollgebiet kraft Verweisung der Verbrauchsteuergesetze nach dem Zollkodex. Insofern gilt das eben Gesagte also zweifelsfrei auch für die Entstehung einer Verbrauchsteuerschuld.

Im innergemeinschaftlichen Warenverkehr gilt der Zollkodex allerdings nicht. Die Verbrauchsteuergesetze enthalten insofern eigenständige Steuerentstehungstatbestände. Bei Zigaretten entsteht nach § 19 Satz 2 TabStG eine Steuerschuld zulasten desjenigen, der Zigaretten in das Steuergebiet verbringt. Ist der in diesem Zusammenhang verwandte Begriff des Verbringens genauso zu verstehen wie im Zollkodex?

Das hatte die Vorinstanz im Besprechungsfall bezweifelt, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die durch das rein objektive Verständnis des Begriffs "verbringen" dem Fahrzeugführer gleichsam auferlegte Garantiehaftung mitunter als zu streng oder gar verfassungsrechtlich bedenklich empfunden wird (wobei der EuGH ganz offensichtlich solche verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilt und diese zumindest im gewerblichen Güterverkehr auch schwerlich berechtigt sein dürften).

Der BFH mildert diese Garantiehaftung nur insoweit, als sich Waren in dem Fahrzeug in einer Art Besitzexklave, das heißt in der Kleidung oder in dem persönlichen Gepäck eines Mitfahrers befinden; das ist insbesondere für Busfahrer von Bedeutung, setzt jedoch voraus, dass sich die betreffenden Besitzer bei einer Zollkontrolle zu dem Besitz an dem Gepäckstück bekennen; es gilt also nicht für Gepäckstücke, die niemandem zugeordnet werden können (vgl. hierzu BFH, Urteile vom 06.10.1998, VII R 20/98, ZfZ 1999, 126; zu Gepäckstücken, zu denen sich ein Besitzer nicht bekennt, BFH, Beschluss vom 14.09.2005, VII S 7/05 [PKH], ZfZ 2006, 93). Wo eine solche Ausnahme von der Zollschuldentstehung nicht greift, kann meist auch ein Erlass aus Billigkeitsgründen nicht helfen.

Der erste Anschein kann freilich kaum zweifelhaft erscheinen lassen, das Verbringen im Zollrecht und im TabStG das Gleiche bedeutet. Allerdings ist § 19 Satz 2 TabStG gemeinschaftsrechtskonform unter Berücksichtigung der Systemrichtlinie auszulegen. Diese spricht in diesem Zusammenhang nicht von verbringen, sondern von der Steuerschuldnerschaft desjenigen, in dessen Besitz sich die Tabakwaren befinden (vgl. Art. 7 Abs. 3 System-RL bei einer zur Lieferung bestimmten Ware, Art. 9 Abs. 1 System-RL bei sonstigen [Nicht-Lieferungs-]Fällen). Deshalb könnte man an der Steuerschuldnerschaft eines Lkw-Fahrers zweifeln, weil dieser im zivilrechtlichen Sinn wohl nicht Besitzer, sondern bloßer Besitzdiener seines Geschäftsherren ist. Aber die Besitzdienerschaft ist eben eine zivilrechtliche Figur, die auf die Entstehung einer Steuer- und einer Zollschuld beim vorschriftswidrigen Verbringen von Waren in das Steuer- bzw. Zollgebiet nicht passt. Denn Sinn und Zweck der Systemrichtlinie ist es, wenn diese auf den Besitzer abstellt, denjenigen als Verbrauchsteuerschuldner in Anspruch nehmen zu können, dessen die Zollbehörde gleichsam physisch habhaft wird, wenn sie entsprechende Kontrollen durchführt. Auf die -- nicht immer ohne Weiteres erkennbaren -- Rechtsbeziehungen desselben zu Dritten darf es dann nicht ankommen.

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