Leitsatz

1. Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Vertrauensschutz hat, wenn sich die Rechtsprechung des BFH verschärft oder von einer allgemein geübten Verwaltungspraxis abweicht und der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage Dispositionen getroffen hat.

2. Soweit die Verwaltung den Vertrauensschutz nicht durch allgemeine Billigkeitsregelungen oder Übergangsregelungen berücksichtigt hat, muss ihm das FA durch Einzelmaßnahme (z.B. nach § 163 AO) Rechnung tragen.

3. Ein schützenswertes Vertrauen, das die Pflicht zum Erlass einer Übergangsregelung oder Billigkeitsmaßnahme im Einzelfall auslöst, ist nur gegeben, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestand und die Rechtslage nicht als zweifelhaft erschien.

4. Eine gesicherte Rechtsauffassung kann aus einem schlichten Verwaltungsunterlassen -- wie vorliegend bei jahrelanger Nichtbesteuerung von Schönheitsoperationen -- nicht hergeleitet werden.

 

Normenkette

§ 163 AO, § 4 Nr. 14 UStG

 

Sachverhalt

Nach einer Prüfung beurteilte das FA die 1997 durchgeführten Schönheitsoperationen als umsatzsteuerpflichtig. Der Kläger erstrebte unter Hinweis auf Verfügungen einer (für die Besteuerung des Klägers nicht zuständigen) OFD, vor 2003 ausgeführte Operationen seien steuerfrei zu belassen, eine Billigkeitsmaßnahme und berief sich auf Vertrauensschutz.

Die Klage blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH sah keinen Anlass für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil die entscheidungserheblichen Rechtsfragen, Vo­raussetzung und Reichweite von Vertrauensschutz, geklärt seien. Diese Grundsätze zusammenzufassen, erschien angesichts der unterschiedlichen Beurteilung der Finanzbehörden zweckmäßig.

Für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung von Schönheitsoperationen ist insoweit zu berücksichtigen, dass bereits in den früheren UStR (z.B. 1997 Abschn. 88) die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG grundsätzlich an die Vornahme einer Heilmaßnahme geknüpft worden ist und angesichts der Rechtsprechung zu Schönheitsmassagen durch Masseure (BFH, Urteil vom 26.11.1970, IV 60/65, BStBl II 1971, 249) Zweifel aufkommen mussten.

Und durch die Rechtsprechung ist auch geklärt, dass der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis und damit auf „Gleichheit im Unrecht„ vermittelt.

 

Hinweis

Wird aufgrund eines Rechtsstreits erstmals eine Rechtsfrage zuungunsten der Steuerpflichtigen entschieden -- hier die Frage, ob Schönheitsoperationen umsatzsteuerfrei sind --, hat dies, weil die USt i.d.R. nicht nachbelastet werden kann, gravierende Auswirkungen für in der Vergangenheit liegende Sachverhalte, die nicht durch bestandskräftige Steuerbescheide abgeschlossen sind. Vertrauensschutz durch Billigkeitsmaßnahmen setzt aber ganz bestimmte Bedingungen voraus, die in der Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt sind:

1. Allgemeine Übergangsregelungen oder Anpassungsregelungen müssen ergehen, wenn sich die bisherige Rechtsprechung verschärft oder eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung abweicht (vgl. auch § 176 AO). Soweit der gebotene Vertrauensschutz nicht durch die Verwaltung im Weg einer allgemeinen Billigkeitsregelung gewährt wird, muss ihm das FA durch Einzelmaßnahmen Rechnung tragen.

2. Die Pflicht zum Erlass einer Übergangsregelung setzt voraus, dass als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestand und die Rechtslage nicht als zweifelhaft erschien. Daran fehlt es, wenn die maßgebliche Rechtsfrage weder durch die Rechtsprechung des BFH geklärt war noch eindeutige Verwaltungsregelungen bestanden oder wenn die Rechtslage unklar oder verworren oder zweifelhaft war. Allein der Umstand, dass die Finanzverwaltung einen Sachverhalt zuvor nicht aufgegriffen hatte (schlichtes Verwaltungsunterlassen), ist keine Vertrauensgrundlage in diesem Sinn.

3. An das Vorliegen von Gewohnheitsrecht für Steuerbegünstigungen hat die Rechtsprechung die strenge Voraussetzung geknüpft, dass sich zu ­einer bestimmten Rechtsfrage ein Rechtsbewusstsein der beteiligten Kreise gebildet haben muss.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 26.09.2007, V B 8/06

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