Leitsatz

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO sinngemäß auf einen Gewinnfeststellungsbescheid für eine Personengesellschaft auch dann anzuwenden, wenn sich eine gegenläufige Änderung (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) aus einem anderen ­Bescheid (z.B. dem Einkommensteuerbescheid für einen feststellungsbeteiligten Gesellschafter) ergibt (Anschluss an BFH-Urteil vom 13.01.2005 ‐ II R 48/02, BFHE 208, 392, BStBl II 2005, 451, für Gewinnfeststellungsbescheide).

 

Normenkette

§ 173 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Satz 2, § 181 Abs. 1 Satz 1, § 202 Abs. 1 Satz 3 AO, § 4 Abs. 4 EStG

 

Sachverhalt

Kläger war ein ehemaliger Gesellschafter einer zwischenzeitlich erloschenen GbR, die in den Jahren 2010 und 2011 Betreuungsleistungen erbracht hatte. Ähnliche Leistungen hatte der Kläger zuvor auch als Einzelunternehmer erbracht und war auch später wieder als Einzelunternehmer auf diesem Gebiet tätig.

In den Gewinnfeststellungserklärungen der GbR waren Sonderbetriebsausgaben des Klägers nicht enthalten. Auf Nachfrage des Steuerberaters der GbR bei Vorbereitung der Erklärungen hatte der Kläger angegeben, Kosten für ein Büro im Rahmen seiner ESt-Erklärung geltend machen zu wollen. Nach Bestandskraft der Gewinnfeststellungsbescheide gab der Kläger seine ESt-Erklärung für 2010 ab und fügte dieser eine Anlage EÜR bei, in der er die für ihn festgestellten Einkünfte aus der GbR als Betriebseinnahmen angab und als Betriebsausgaben Kosten eines Büros geltend machte. Das FA erkannte die Betriebsausgaben nicht an und wies den Kläger darauf hin, dass der festgestellte Betrag die Einkünfte beinhalte und Betriebsausgaben nicht zusätzlich abgezogen werden könnten. Im anschließenden Einspruchsverfahren konnte nicht abschließend geklärt werden, ob die Kosten im Zusammenhang mit der GbR oder einzelunternehmerischen Einkünften standen. Das FA erließ zur Abhilfe schließlich einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden ESt-Bescheid, in dem die Kosten als Betriebsausgabe des Einzelbetriebs behandelt wurden. So ging das FA auch bei Erlass des ESt-Bescheids 2011 vor.

Nach einer Außenprüfung beim Kläger kam das FA später zu der Auffassung, die Kosten hätten im Zusammenhang mit der GbR gestanden und seien nicht bei den einzelunternehmerisch erzielten Einkünften abzuziehen. Dementsprechend ergingen nach § 164 Abs. 2 AO geänderte ESt-Bescheide.

In der Folge beantragte der Steuerberater der GbR, die Gewinnfeststellungsbescheide zu ändern und die Kosten des Büros als Sonderbetriebsausgaben des Klägers abzuziehen. Diese Anträge lehnte das FA ab.

Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG verwies darauf, dass den Kläger am nachträglichen Bekanntwerden der Sonderbetriebsausgaben ein grobes Verschulden treffe, das wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflichten auch nicht unbeachtlich sei (Niedersächsisches FG, Entscheidung vom 1.3.2017, 2 K 56/16).

 

Entscheidung

Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und verwies das Verfahren an das FG zurück. Die Klage sei als solche des Klägers als ehemaliger Gesellschafter auszulegen und zulässig. Einer Änderung der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugunsten des Klägers stehe grobes Verschulden nicht entgegen. Das – hier vorliegende – grobe Verschulden sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich, weil die begehrte Änderung zugunsten des Klägers in Zusammenhang mit der Änderung der ESt-Bescheide zu seinen Ungunsten stehe. Das FG habe im zweiten Rechtsgang zu prüfen, ob die Kosten des Büros dem Grunde und der Höhe nach durch die Beteiligung an der GbR veranlasst seien. Außerdem sei zu klären, ob der Änderung ggf. eine erhöhte Bestandskraft nach einer Außenprüfung bei der GbR gemäß § 173 Abs. 2 AO entgegenstehe.

 

Hinweis

1. Neuigkeitswert in der Entscheidung haben die im Leitsatz aufgegriffenen Ausführungen zur Unbeachtlichkeit groben Verschuldens nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO. Die Entscheidung enthält darüber hinaus verfahrensrechtliche Ausführungen zur Klagebefugnis des Gesellschafters einer erloschenen GbR, die keine Neuerungen enthalten und auf die deshalb hier nicht näher eingegangen wird.

2. Steuerbescheide und Gewinnfeststellungsbe­scheide sind wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel nach § 173 AO zu ändern. Wirkt sich die Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen aus, darf diesen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden treffen.

Davon macht § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO eine Rückausnahme, wenn zugunsten wirkende "Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen", also in Zusammenhang mit Tatsachen, die zur Änderung eines Steuerbescheids zu Ungunsten des Steuerpflichtigen führen.

3. Die Besonderheit des Urteilsfalls lag darin, dass der zuungunsten geänderte Bescheid ein ESt-Bescheid des Personengesellschafters war, während zu seinen Gunsten ein Gewinnfeststellungsbescheid geändert werden sollte, in dem Kosten nachträglich ...

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