Leitsatz

1. Die unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als sog. Flankenschutzprüfer zur Überprüfung der Angaben des Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren ist wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig, wenn der Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt.

2. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige der Ortsbesichtigung zustimmt und deshalb kein schwerer Grundrechtseingriff in Art. 13 Abs. 1 GG vorliegt.

 

Normenkette

§ 5, § 88 Abs. 1, § 92 Satz 1, § 99, § 208 Abs. 1 Satz 1 AO, § 41 Abs. 1 FGO, Art. 13 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Die Klägerin war angestellte Geschäftsführerin eines Restaurants und als selbstständige Unternehmensberaterin tätig. Für das Streitjahr 2015 machte sie bei den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer i.H.v. 567,12 EUR geltend. Ihr Steuerberater reichte auf Nachfrage des FA eine Skizze der Wohnung ein. Der Skizze war zu entnehmen, dass zur Wohnung ein Zimmer gehörte, das maschinenschriftlich mit "SCHLAFEN" bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung war durchgestrichen und handschriftlich durch "ARBEIT" ersetzt worden. Keiner der übrigen Räume war als Schlafzimmer bezeichnet worden.

Das FA veranlagte die Klägerin zunächst erklärungsgemäß und berücksichtigte die für das Arbeitszimmer geltend gemachten Betriebsausgaben i.H.v. 567,12 EUR. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO). Da der Sachbearbeiter des FA die Skizze für klärungsbedürftig hielt (handschriftlich war auf der Skizze vermerkt: "Wo wird stattdessen geschlafen?"), schaltete er mit Schreiben vom 2.5.2017 den hausinternen "Flankenschutzprüfer" ein. In einem Vermerk an diesen führte er aus: "Die Steuerpflichtige erklärt für VL 2015 erstmalig ein Arbeitszimmer in der Wohnung "X-Weg, Z". Laut eingereichter Skizze (s. Anlage) wird das Schlafzimmer als Arbeitszimmer genutzt, geschlafen werden müsste demnach im Wohn‐/Esszimmer. Bitte um Besichtigung durch Flankenschutz, da erstmalig. Veranlagung 2015 erfolgt unter VdN". Bei dem Flankenschutzprüfer handelte es sich um einen Beamten der Steuerfahndung.

Der Steuerfahnder erschien unangekündigt in der Privatwohnung der Klägerin, um zu prüfen, ob das Arbeitszimmer wie angegeben vorhanden war. Er traf die Klägerin an, wies sich durch Vorlage seines Dienstausweises aus und betrat, da die Klägerin der Besichtigung unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren nicht widersprach, die Wohnung. Der Beamte stellte fest, dass die Angaben der Klägerin in der Steuererklärung den Tatsachen entsprachen und das Arbeitszimmer existierte. Abweichend von dem Wohnungsgrundriss laut Skizze verfügte die von der Klägerin angemietete Wohnung über zwei weitere Räume, von denen einer als Schlafzimmer genutzt wurde. In seinem Vermerk an den Veranlagungsbezirk wies der Steuerfahnder darauf hin, dass die Klägerin demnächst in die gegenüberliegende Wohnung ziehen werde und abzuwarten sei, welche Raumaufteilung sich dann ergebe. Gegen die Besichtigung legte die Klägerin Einspruch ein. Dieser wurde als unzulässig verworfen. Die hiergegen erhobene Klage auf Feststellung, dass die Besichtigung rechtswidrig war, wurde vom FG als unzulässig abgewiesen (FG Münster, Urteil vom 11.7.2018, 9 K 2384/17, Haufe-Index 12407181, EFG 2018, 1847).

 

Entscheidung

Die Revision war begründet. Der BFH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die durch einen Beamten der Steuerfahndung durchgeführte Wohnungsbesichtigung war wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip rechtswidrig.

 

Hinweis

1. Die Klägerin fühlte sich durch den "Überraschungsbesuch" des Steuerfahnders als "Flankenschutzprüfer" in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG verletzt. Da sich die Maßnahme der Finanzverwaltung mit der Besichtigung des Arbeitszimmers erledigt hatte, konnte die Klägerin Rechtsschutz nur in Form der Feststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO erlangen. Dies erfordert ein Feststellungsinteresse, das vom FG zu Unrecht verneint wurde.

2. Ein berechtigtes Interesse für eine Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 Alternative 1 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem dieser Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen.

3. Im vorliegenden Fall lag auch nach Auffassung des BFH kein Feststellungsinteresse aus Gründen der Rehabilitation vor, da Dritte von dem Besuch des Steuerfahnders keine Kenntnis erhalten hatten. Auch ein Feststellungsinteresse infolge eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs lag nicht vor. Zwar schützt Art. 13 Abs. 1 GG die Unverletzlichkeit der Wohnung. An einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff fehlte es jedoch, da die Klägerin den Steuerfahnder freiwillig in die Wohnung eingelassen hatte. Ein schwerer Grundrechtseingriff er...

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