2.2.1 Geltendmachung von Insolvenzforderungen und Masseforderungen

Insolvenzforderungen können durch das Finanzamt nur geltend gemacht werden, in dem das Finanzamt (i. d. R. die Vollstreckungs- oder Erhebungsstelle) diese beim Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle anmeldet.[1] Insolvenzforderungen werden in der Praxis – wenn überhaupt – nur quotenmäßig befriedigt (Insolvenzquote), meist nur im einstelligen Prozentbereich. Praktiker führen die geringen Insolvenzquoten auf strukturelle Mängel des deutschen Insolvenzverfahrens zurück.[2]

 
Hinweis

Umsatzsteuer als Masseforderung

Umsatzsteuerforderungen, die als Masseforderungen anzusehen sind, werden durch Umsatzsteuerbescheid (evtl. auch durch Haftungsbescheid) gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht. Aus dem Umsatzsteuerbescheid muss ersichtlich sein, dass es sich um die Festsetzung der Umsatzsteuer als Masseforderung handelt.[3]

[2] Vgl. Haarmeyer, BB 24/2018, I.
[3] Vgl. Nr. 4.3.3 AEAO zu § 251 AO.

2.2.2 Wann ist eine Umsatzsteuerforderung "begründet"?

Insolvenzforderungen sind nach § 38 InsO die bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensansprüche gegen den Insolvenzschuldner. Eine Umsatzsteuerforderung des Finanzamts gegenüber dem Insolvenzschuldner ist danach begründet, wenn der umsatzsteuerliche Tatbestand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzschuldner vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist.[1] Nach der Rechtsprechung des BFH ist entscheidend, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Danach ist ein Steueranspruch immer dann Insolvenzforderung, wenn er vor Eröffnung des Verfahrens in der Weise begründet worden ist, dass der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung der Steuerforderung führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Ist von einer Tatbestandsverwirklichung erst nach Insolvenzeröffnung auszugehen und wurde der sich aus einer Besteuerungsgrundlage ergebende Steueranspruch entsprechend § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet, liegt dagegen eine Masseforderung vor.[2]

 
Hinweis

Abgrenzung "Begründetsein" von "Entstehung der Steuerschuld"

Das insolvenzrechtliche "Begründetsein" der Umsatzsteuer darf nicht mit der steuerrechtlichen "Entstehung der Umsatzsteuerschuld" verwechselt werden.[3] Nach § 13 Abs. 1 UStG entsteht die Steuerschuld für einen im Laufe des Monats ausgeführten Umsatz mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums. Je nachdem, ob es sich bei dem Unternehmer hinsichtlich der Umsatzsteuer um einen Monatszahler, Vierteljahreszahler oder Jahreszahler handelt, entsteht die Steuerschuld somit erst am Ende des jeweiligen Kalendermonats, -vierteljahres oder -jahres. Das Entstehen der Steuer zum Ende des Voranmeldungszeitraums ist jedoch nicht maßgebend für die Frage, ob ein Steueranspruch des Finanzamts vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden ist. Auch die Fälligkeit der Umsatzsteuer nach § 18 UStG (Zeitpunkt, in dem die Umsatzsteuer spätestens an das Finanzamt abgeführt sein muss) ist nicht maßgebend.[4]

2.2.3 Sollbesteuerung

Bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (sog. Sollbesteuerung[1]) ist der Zeitpunkt des einzelnen Umsatzes maßgebend für das "Begründetsein" eines Umsatzsteueranspruchs.

 
Praxis-Beispiel

Zeitpunkt des Umsatzes bei der Sollbesteuerung maßgebend

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Unternehmers (Monatszahler) wird am 13.6. eröffnet.

Die Umsatzsteuerbeträge für bis einschließlich 12.6. ausgeführte Umsätze gehören grundsätzlich zu den Insolvenzforderungen; bei Vereinnahmung eventueller Kundenforderungen bis einschließlich 12.6. durch einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder einen vorläufigen Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren ist jedoch § 55 Abs. 4 InsO zu beachten.[2]

Die Umsatzsteuerbeträge für ab dem 13.6. ausgeführte Umsätze gehören zu den Masseforderungen, auch wenn die Umsatzsteuerschuld erst mit Ablauf des 30.6. entsteht.

Nach der BFH-Rechtsprechung[3] ist die in Forderungen des Insolvenzschuldners gegenüber nicht insolventen Kunden enthaltene Umsatzsteuer aufgrund Berichtigung nach § 17 UStG ausnahmslos als Masseforderung des Fiskus zu behandeln, soweit entsprechende Zahlungen der Kunden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter oder den Insolvenzschuldner geleistet werden. Dabei ist es gleichgültig, ob der Insolvenzschuldner die Istbesteuerung oder die Sollbesteuerung anwendet. Die Verwaltung hatte sich dieser BFH-Rechtsprechung angeschlossen.[4]

Fiktive Masseforderungen i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO werden nach der Rechtsprechung des BFH[5] bei der Vere...

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