Neben den gesetzlichen Änderungen und den auslaufenden Fristen ergeben sich aus der laufenden Rechtsprechung heraus weitere wichtige Beratungspunkte.

6.1 Unternehmereigenschaft

Zur Frage der Unternehmereigenschaft sind aus der Rechtsprechung die folgenden Punkte zu beachten:

  • Organschaft: Entgegen der vom BFH und von der Finanzverwaltung[1] vertretenen Auffassung, kann nach einer Entscheidung des EuGH[2] eine Personengesellschaft auch in einen Organkreis eingebunden sein, wenn nicht alle Stimmrechte im Organkreis gehalten werden.
  • Feste Einrichtung: Der EuGH[3] hat entschieden, dass eine "feste Einrichtung" (in Deutschland: Betriebsstätte) nur dann vorliegen kann, wenn sowohl ausreichend Personal als auch Sachmittel dort vorgehalten werden. Eine Immobilie stellt insoweit keine feste Einrichtung dar. Dies ist sowohl für die Bestimmung des Orts von Leistungen als auch für die zutreffende Festlegung des Steuerschuldners von Bedeutung.
[1] Vgl. insbesondere Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE.
[2] EuGH, Urteil v. 15.4.2021, C-868/19 (M-GmbH), BFH/NV 2021 S. 925.
[3] EuGH, Urteil v. 3.6.2021, C-931/19 (Titanium), BFH/NV 2021 S. 1054.

6.2 Umsatzsteuerpflicht

Führt der leistende Unternehmer im Inland eine steuerbare Leistung aus, muss geprüft werden, ob eine Steuerbefreiung zur Anwendung kommt. Dabei ist aktuell Folgendes zu beachten:

  • Berufung auf Unionsrecht für Vereine: Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL sind bestimmte Dienstleistungen steuerfrei, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben. Eine vergleichbare Vorschrift existiert im nationalen Umsatzsteuerrecht nicht. Fraglich war, ob sich nationale Einrichtungen (insbesondere Vereine) auf diese unionsrechtliche Vorschrift berufen können.[1] Der EuGH[2] sieht Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL als nicht unmittelbar berufungsfähig an. Die Vorgabe der MwStSystRL sei nicht unbedingt und hinreichend genau, sodass sich die einzelnen Unternehmer nicht auf diese Rechtsvorschrift berufen können.
  • Steuerbefreiung bei Schulungsleistungen: Nachdem der EuGH entschieden hatte, dass die Erteilung von Fahrschulunterricht[3] schon deshalb nicht steuerfrei nach unionsrechtlichen Grundsätzen sein kann, da die Ausbildung sich nur auf eine spezielle Fähigkeit bezieht, war fraglich, ob dies auch bei der Vermittlung von elementaren Grundkenntnissen wie beim Schwimmunterricht so gelten würde. Der EuGH[4] ist bei einer eher engen Sichtweise geblieben und hat den Schwimmunterricht in einer Schwimmschule nicht als steuerfreie Leistung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL angesehen. Der Schwimmunterricht in einer Schwimmschule sei zwar unzweifelhaft von Wichtigkeit und verfolgt ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel, es bleibt jedoch ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.
  • Wärmelieferung einer Wohnungseigentümergemeinschaft an den Wohnungseigentümer: Strittig war die Frage, ob eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) mit der Lieferung von Wärme an Miteigentümer eine der Besteuerung unterliegende Lieferung ausführt oder ob es sich um steuerfreie Leistungen handelt. Nach nationalen Vorschriften unterliegt dies der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 13 UStG. Nach der Entscheidung des EuGH[5] besteht für eine solche nationale Regelung keine unionsrechtliche Grundlage. Damit verstößt ein Mitgliedstaat gegen Unionsrecht, soweit er die Lieferung von Wärme durch eine WEG von der Umsatzsteuer befreit, wenn die Wärme der Beheizung des Sondereigentums dient.
  • Widerruf einer Option: Verkauft ein Unternehmer ein Grundstück steuerbar, aber steuerfrei nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG, kann er bei einem Verkauf an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nach § 9 Abs. 1 und Abs. 3 UStG im notariellen Kaufvertrag auf die Steuerbefreiung verzichten. In diesem Fall schuldet der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer.[6] Der BFH[7] hat jetzt entschieden, dass der Verzicht auf die Steuerbefreiung widerrufen werden kann, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder nach § 164 AO änderbar ist.
[1] Dies wurde früher vom BFH unter weiteren Voraussetzungen bejaht, z. B. BFH, Urteil v. 3.4.2008, V R 74/07, BFH/NV 2008 S. 1631; BFH, Urteil v. 16.10.2013, XI R 21/09, BFH/NV 2011 S. 1456.
[2] EuGH, Urteil v. 10.12.2020, C-488/18 (Golfclub Schloss Igling e.V.), BFH/NV 2021 S. 430.
[3] EuGH, Urteil v. 14.3.2019, C-449/17 (A & G Fahrschulakademie GmbH), BFH/NV 2019 S. 511.
[4] EuGH, Urteil v. 21.10.2021, C-373/19 (Dubrovin & Tröger – Aquatics).
[5] EuGH, Urteil v. 17.12.2020, C-449/19 /WEG Tevesstraße), BFH/NV 2021 S. 430.

6.3 Bemessungsgrundlage, Steuer und Steuerschuldner

Die entstehende Umsatzsteuer hängt ab von der Bemessungsgrundlage, dem anzuwendenden Steuersatz und von der Steuerschuldnersch...

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