Im folgenden Beispiel stellen wir die Anwendung der dargelegten Kennzahlen näher vor:

Das Projekt "XY" wird durch ein selbstorganisiertes Projektteam bearbeitet und besteht aus drei wesentlichen Teilprojekten A, B und C. Die Teilprojekte beinhalten zwei konkret zu realisierende physische Produktkomponenten (A und B) und dazugehörige Software-Leistungen (C). Zu Projektbeginn wurden entsprechende Planungsmaßnahmen vorgenommen:

  1. Alle Kundenanforderungen wurden in User Stories zusammengefasst, der Komplexität entsprechend in Storypoints bewertet und den jeweiligen Teilprojekten zugeordnet.
  2. Interne und externe Kosten für die Realisierung wurden geplant (Planned Value).
  3. Etwaige Projektlaufzeiten wurden vorgegeben (Started in, Schedule in Months – Planned).

Da man bei der Abwicklung selbstorganisierter Projekte noch wenig Erfahrung hat, wurde eine Contingency Reserve sowohl für Kosten als auch für denFertigstellungszeitpunkt des Projekts in Höhe von 50.000 EUR und 2 Monaten eingestellt. Die Gesamtkosten inklusive der eingestellten Reserve belaufen sich auf 185.000 EUR und der Fertigstellungstermin ist für Juni 2021 vorgesehen. Nach 9 Monaten weist das Projektmanagementsystem für den Monat September 2020 dieDaten in Abb. 3 aus.

Abb. 3: Projektstand September 2020[1]

Das selbstorganisierte Projektteam und das Unternehmenscontrolling arbeiten auf Basis des gleichen Projekts Management Systems. Der automatisierte Performance-Bericht und der Forecast ist für das Projekt "XY" in Abb. 4 enthalten.

Abb. 4: Analysis & Forecast Project "XY"[2]

Die Herausforderung besteht nun darin, die vorhandenen Daten sowohl aus Unternehmensperspektive, als auch aus Perspektive des selbstorganisierten Projektteams zu interpretieren. Aus der Perspektive des Projektteams liegt das Gesamtprojekt bezüglich der bisher erreichten Ergebnisse und in Bezug auf den Aufwand etwas unter der Planlinie. Das Teilprojekt A scheint jedoch kostengünstiger und schneller als ursprünglich geplant voran zukommen. Diese Interpretation lässt sich aus dem Cost Performance Index (CPI) und dem Schedule Performance Index (SPI) ableiten. Für die Teilprojekte B und C sind hier Werte unterhalb der Planlinie (d. h. <100 %) abzulesen, für das Teilprojekt A Werte oberhalb der Planlinie (CPI= 106,03 % und SPI=102,2 %).

Doch wie sollte nun auf diese Planabweichung aus der Perspektive des Unternehmenscontrollings reagiert werden? Sind aufgrund der Abweichungen in den Teilprojekte B und C strikte Maßnahmen zur Gegensteuerung erforderlich? Um diese Fragen zu beantworten, sollten vor allem die Kennzahlen Estimate at Completion und Estimated Completion näher betrachtet werden. Aus der zeitpunktbezogenen Betrachtung (September 2020) heraus lässt sich aus Unternehmensperspektive ableiten, dass das Projekt "XY" voraussichtlich im vorgesehenen Kostenrahmen umgesetzt werden kann, auch wenn ein Teil der Kostenreserve voraussichtlich verbraucht wird. Dementsprechend sollte diese Reserve nach wie vor unangetastet und nicht in andere Projektvorhaben eingeplant werden.

Auch zeitlich könnte das Projekt wie geplant im Juli 2021 umgesetzt sein, obwohl der Zeitplan aufgrund der bisher eingetretenen Verzögerungen keine zeitliche Reserve mehr beinhaltet.

Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die für die Berechnung des Fertigungsstellungsgrads verwendeten Storypoints eine dimensionslose Größe sind. Aus Controlling-Sicht scheint es durchaus riskant eine Größe, die auf einer "Einschätzung des Gesamtaufwandes" und nicht auf einer konkreten Einheit beruht, für das Projektcontrolling zu verwenden. Trotzdem wird in vielen Erfolgsbeispielen in der Praxis genau mit dieser Größe gerechnet. Damit die Anwendung von Storypoints erfolgreich ist, sollten die jeweiligen User Stories nicht einzeln betrachtet werden, sondern immer in Relation zueinander bewertet werden. Im agilen Projektmanagement geschieht dies häufig im sogenannten "Planning Poker". Wichtig ist hierbei ebenfalls, dass die Bewertung gemeinsam im Projektteam durch Konsens festgelegt wird. Durch die gemeinsame Entscheidung und die Bewertung der User Stories in Relation zueinander wird das Risiko einer möglichen Manipulation oder fehlerhaften Berechnung der Fertigstellungsgrade enorm reduziert. Auch wenn diese Vorgehensweise vielleicht auf den ersten Blick brisant erscheinen mag, so belegen eine Vielzahl von Beispielen die Erfolgspotentiale dieser Methodik.

Das vorgestellte Anwendungsbeispiel zeigt, dass auch bei selbstorganisierten Teams eine Steuerung sowohl aus Projekt-, als auch aus Unternehmensperspektive zwingend notwendig ist. Jedoch ist der Rahmen im Gegensatz zum klassischen Projektmanagement nicht zu eng zu setzen und es gilt dem Projektteam auch in einem gewissen Rahmen Raum zu geben (z. B. durch die Vordefinition einer Contingency Reserve). Bei größeren Projektvorhaben ist es daher durchaus sinnvoll, einen Controllingvertreter direkt in das selbstorganisierte Team zu integrieren – bei kleineren Projektvorhaben kann auch die Steuerung des Proje...

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