Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob 2008 zugeflossene Erstattungszinsen zur ESt der Jahre 2001 bis 2003 als Einnahmen aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 vom 8.12.2010 (BGBl I 2010, 1770) der Steuer unterliegen. Die Zweifel bestehen insbesondere wegen der rückwirkenden Anwendung der Vorschrift.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 1 Nr. 7, § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG, § 233a AO, § 69 Abs. 3 FGO

 

Sachverhalt

Das FG (FG Münster, Beschluss vom 27.10.2011, 2 V 913/11 E, Haufe-Index 2886330, EFG 2012, 118) hatte im Klageverfahren um die Steuerpflicht von Erstattungszinsen antragsgemäß die Vollziehung wegen ernstlicher rechtlicher Zweifel ausgesetzt, aber dagegen die Beschwerde zum BFH zugelassen, die das FA auch einlegte.

 

Entscheidung

Der BFH wies die gem. § 128 Abs. 3 FGO statthafte Beschwerde des FA als unbegründet zurück. Zu Recht habe das FG der Antragstellerin wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des ESt-Bescheids Aussetzung der Vollziehung bewilligt.

 

Hinweis

1. Nach bisheriger Rechtsprechung wurden Erstattungszinsen i.S.v. § 233a AO auch als Gegenleistung dafür gezahlt, dass der Steuerpflichtige dem Fis­kus – wenn auch gezwungenermaßen – Kapital zur ­Nutzung überlassen hat, zu dessen Leistung er letztlich nicht verpflichtet war (vgl. BFH, Urteile vom 18.2.1975, VIII R 104/70, Haufe-Index 71410, BStBl II 1975, 568; vom 8.4.1986, VIII R 260/82, Haufe-Index 61276, BStBl II 1986, 557; vom 8.11.2005, VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527). Damit unterlagen grundsätzlich auch Erstattungszinsen beim Empfänger der Besteuerung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

2. Mit Urteil vom 15.6.2010, VIII R 33/07 (BFH/NV 2010, 1917, BStBl II 2011, 503) hatte der BFH an dieser überkommenen Rechtsprechung grundsätzlich festgehalten, aber eine Korrektur dahin vorgenommen, dass Erstattungszinsen für nicht abziehbare Steuern durch die Regelung des § 12 Nr. 3 EStG – ebenso wie die erstattete Steuer selbst – dem nicht steuerbaren Bereich zugewiesen sind, sodass solche Erstattungszinsen dem Steuerpflichtigen nicht "im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nrn. 4 bis 7" zufließen (vgl. § 8 Abs. 1 EStG).

3. Diese Entscheidung des BFH rief den Steuergesetzgeber auf den Plan, der mit § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 vom 8.12.2010 (BGBl I 2010, 1770) ausdrücklich ins Gesetz schrieb, dass Erstattungszinsen Erträge i.S. dieser Vorschrift sind, und zwar für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle (§ 52a Abs. 8 Satz 2 EStG).

4. An dieses "Nichtanwendungsgesetz" knüpfen sich folgende Fragen, die bisher vom BFH noch nicht geprüft sind:

a) Steht der neue § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG dem BFH-Urteil vom 15.6.2010, VIII R 33/07 (BFH/NV 2010, 1917) überhaupt entgegen? Der BFH hatte schließlich nicht in Abrede gestellt, dass Erstattungszinsen grundsätzlich unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu subsumieren sind. Er hatte lediglich Erstattungszinsen, die auf nicht abziehbare Steuern entfallen, gem. § 12 Nr. 3 EStG der nicht steuerbaren Sphäre zugeordnet.
b) Ferner ist noch nicht entschieden, ob die Anwendungsregelung, die alle offenen Altfälle erfasst, mit dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot vereinbar ist.
c) Und schließlich wird, wenn die Prüfung der vorstehenden Fragen zu dem Ergebnis führt, dass Erstattungszinsen uneingeschränkt steuerbar sind, vermutlich erneut die Diskussion der – vom BFH im Urteil vom 15.6.2010, VIII R 33/07 (BFH/NV 2010, 1917) verneinten – Frage aufflammen, ob das Abzugsverbot für Nachzahlungszinsen (§ 12 Nr. 3, 2. Halbsatz EStG) mit dem Nettoprinzip vereinbar ist.

5. Aus den vorgenannten ungeklärten Fragen ergeben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der betreffenden Steuerfestsetzungen (§ 69 Abs. 3 FGO), sodass auf Antrag die Vollziehung auszusetzen ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 22.12.2011 – VIII B 190/11

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