Rz. 33

Im Gegensatz zu den handelsbilanziellen Herstellungskosten, die in § 255 Abs. 23 HGB einen gesetzlichen Niederschlag finden, nahmen die steuerlichen Herstellungskosten, die jahrelang lediglich in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und Nr. 2 Satz 1 EStG genannt wurden, ohne hierfür eine gesetzliche Definition zu liefern, seit dem BilMoG eine turbulente Entwicklung.

 

Rz. 34

Durch das BilMoG wurde das Prinzip der umgekehrten Maßgeblichkeit, in dessen Anwendungsbereich Wahlbestandteile der Herstellungskosten zweifelsohne fielen,[1] aufgegeben. Hiernach durften seinerzeit die Aktivierungswahlrechte für angemessene Kosten der allgemeinen Verwaltung, für angemessene Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen, für die betriebliche Altersversorgung (alle § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB) sowie für Zinsen des Fremdkapitals (§ 255 Abs. 3 HGB), soweit sie auf den Zeitraum der Herstellung entfallen, nur dann in der Steuerbilanz ausgeübt werden, sofern in der Handelsbilanz gleichermaßen verfahren wurde (R 6.3 Abs. 4 Satz 1 EStR 2008). Durch die Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit war es nun möglich, die steuerlichen Aktivierungswahlrechte im Zuge sachverhaltsabbildender Maßnahmen unabhängig von ihrer Ausübung in der Handelsbilanz in Anspruch zu nehmen.

 

Rz. 35

Diese durch das BilMoG ermöglichte originäre Steuerbilanzpolitik im Bereich der Herstellungskostenwahlbestandteile erfuhr zugleich durch das BMF-Schreiben v. 12.3.2010, das innerhalb der betrachteten Wahlkomponenten eine Differenzierung vornahm, eine deutliche Einschränkung.[2] Für Kosten der allgemeinen Verwaltung, Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersversorgung sah das BMF eine steuerliche Aktivierungspflicht vor, d. h. es erfolgte unter Rückgriff auf den Bewertungsvorbehalt des § 5 Abs. 6 EStG und diametral zu R 6.3 Abs. 4 Satz 1 EStR 2008 eine Ausdehnung der steuerlichen Wertuntergrenze mit der Konsequenz eines höheren steuerlichen Gewinns.[3] Zur Begründung dieser Transformation ursprünglicher und Praktikabilitätsüberlegungen[4] geschuldeter Wahlbestandteile in Pflichtkomponenten fungierte überraschend ein BFH-Urteil aus dem Jahr 1993, das seinerzeit den Begriff der Herstellungskosten in § 6 EStG als "alle Herstellungskosten" interpretierte (sog. Vollkostenansatz).[5] Problematisch erschien insbesondere, dass das in Rede stehende Urteil auf eine HGB-Vorfassung und damit verbunden gar nicht auf die Kosten der allgemeinen Verwaltung usw. Bezug nahm.[6] Insofern lief die auf dieses Urteil gestützte Argumentation des BMF ins Leere.[7] Nach entsprechender Kritik aus dem Schrifttum, das alternativ eine Rücknahme, weitere Stellungnahme bzw. gesetzliche Regelung der BMF-Meinung forderte,[8] ergänzte das BMF sein Schreiben mit Datum v. 22.6.2010. Danach blieb für steuerliche Aktivierungswahlrechte i. S. v. § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB die seinerzeitige steuerliche Rechtslage bis zur Veröffentlichung einer geänderten EStR-Fassung bestehen.[9] Jene Änderung trat durch die derzeit geltenden EStR (2012) mit Datum v. 28.3.2013 (Tag der Veröffentlichung der EStR 2012 im BStBl) in Kraft, d. h. für Herstellungsvorgänge, die ab dem 28.3.2013 begannen, war ein Vollkostenansatz obligatorisch. Jener wurde jedoch zeitnah durch ein weiteres BMF-Schreiben suspendiert, welches vorsah, dass die Anwendung von R 6.3 Abs. 4 EStR 2008 bis zu einer Verifizierung des mit der Neuregelung einhergehenden Erfüllungsaufwands durch das Statistische Bundesamt unbeanstandet bleibt.[10] Den derzeitigen Schlusspunkt setzt der durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens[11] eingefügte § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG, der eine Kehrtwende hin zur ursprünglichen steuerlichen Herstellungskostenermittlung nach R 6.3 Abs. 4 EStR 2008 vollzieht sowie Rechtssicherheit zu schaffen bezweckt.[12] Hiernach bleibt es letztlich bei einem steuerlichen Aktivierungswahlrecht für auf den Herstellungszeitraum entfallende angemessene Kosten der allgemeinen Verwaltung, angemessene Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen sowie für die betriebliche Altersversorgung. Dieser grundsätzlich zu begrüßenden Klarstellung haftet jedoch ein Makel an. Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1b Satz 2 EStG ist das "[...] Wahlrecht [...] in Übereinstimmung mit der Handelsbilanz auszuüben." Dieser Übereinstimmungsvorbehalt reaktiviert faktisch die durch das BilMoG abgeschaffte umgekehrte Maßgeblichkeit,[13] indem eine einheitliche Bewertung in Handels- und Steuerbilanz sichergestellt wird. Insofern besteht für die genannten Herstellungskostenwahlbestandteile zwar grundsätzlich die Möglichkeit einer Steuerbilanzpolitik, jedoch nicht die Möglichkeit einer eigenständigen Steuerbilanzpolitik.

 

Rz. 36

Diametral zu den Kosten der allgemeinen Verwaltung usw. bleibt das steuerliche Aktivierungswahlrecht für auf den Herstellungszeitraum entfallende Zinsen des Fremdkapitals i. S. v. § 255 Abs. 3 HGB aug...

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