Rz. 4

Das allgemeine bilanzpolitische Instrumentarium lässt sich in sachverhaltsgestaltende und sachverhaltsabbildende Maßnahmen unterteilen.[1] Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen finden vor dem Jahresabschlussstichtag statt,[2] indem das Unternehmen direkten Einfluss auf die der Bilanzierung zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle ausübt.[3] Entsprechend befassen sich die sachverhaltsabbildenden Maßnahmen nach dem Jahresabschlussstichtag mit der bilanziellen Gestaltung bereits abgeschlossener und damit nicht mehr beeinflussbarer Geschäftsvorfälle. Diese lassen sich wiederum unterteilen in die materielle und formelle Bilanzpolitik. Ersterer kommt die größere Bedeutung zu, da sie sich mit Wahlrechten und Ermessensspielräumen hinsichtlich der Bilanzierung dem Grunde und der Höhe nach befasst und direkt das bilanzielle Ergebnis beeinflusst. Die formelle Bilanzpolitik spricht hingegen mit der Frage nach Ausweis u. Ä. die Bilanzierung der Stelle nach an. Steuerliche Aktionsparameter bestehen in den Bereichen steuerlich orientierter Sachverhaltsgestaltungen und Wahlrechten sowie Ermessensspielräumen (Sachverhaltsabbildung).[4] Die Gesamtheit möglicher zeitlicher Verlagerung der Bemessungsgrundlage kann dabei als "Manövriermasse" verstanden werden.[5]

 

Rz. 5

Bei Sachverhaltsgestaltungen steht die Zielsetzung im Vordergrund, Geschäftsvorfälle (legal) so zu arrangieren, dass ein entsprechender Steueranspruch bereits vor Aufstellung des Jahresabschlusses nicht oder zumindest in nur verminderter Höhe entsteht.[6] Daher werden Sachverhaltsgestaltungen erst kurz vor Ende des Wirtschaftsjahres durchgeführt, um das der Bilanzierung und Bewertung zugrunde liegende Wertgerüst so zu beeinflussen, dass die Steuerbelastung minimiert wird. Grundsätzlich sind solche Maßnahmen aus dem Jahresabschluss nicht ersichtlich und unterliegen daher nicht dem Stetigkeitsgebot.

 

Rz. 6

Als Anwendungsbereiche von Sachverhaltsgestaltungen sind zum einen Maßnahmen zur zeitlichen Vor- oder Nachverlagerung von Geschäftsvorfällen anzuführen, die ohnehin stattgefunden hätten. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein langfristiger Auftrag vorzeitig fertiggestellt wird, um eine Gewinnrealisierung noch im laufenden Wirtschaftsjahr zu ermöglichen. Zum anderen können originär bilanzpolitisch motivierte Handlungen vorgenommen werden. Dazu gehört exemplarisch die Ausgliederung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf eine Tochtergesellschaft, um anschließend durch Rückerwerb des selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsguts das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG zu umgehen.[7]

 

Rz. 7

Im Bereich der Sachverhaltsabbildungen liegt ein auszuübendes Wahlrecht dann vor, wenn für einen bestimmten Sachverhalt mindestens 2 sich gegenseitig ausschließende Alternativen bestehen[8] und erst durch die Willensentscheidung des Steuerpflichtigen eine dieser Alternativen zur Anwendung gelangt.[9] Die steuerlichen Wahlrechte können dabei sowohl Ansatz- als auch Bewertungsfragen betreffen. Gesetzliche bzw. explizite Wahlrechte werden ausdrücklich im Gesetz genannt und sind durch Formulierungen wie "oder", "können" und "dürfen" gekennzeichnet. Dagegen finden sich die faktischen bzw. versteckten Wahlrechte nicht im Gesetzestext wieder, sondern resultieren aus Ge- und Verboten, die je nach Auslegung des Sachverhalts unterschiedlich interpretiert werden können. Dies resultiert aus unbestimmten Rechtsbegriffen oder weit gefassten Bilanzierungsnormen.[10]

 

Rz. 8

Das Ausschöpfen steuerlicher Ermessensspielräume bietet sich für den Steuerpflichtigen an, wenn laut Gesetz zwar Ansatz (und Bewertung) vorgeschrieben sind, jedoch keine Regelungen hinsichtlich der Voraussetzungen bzw. der Methodik existieren.[11] Im Unterschied zu gesetzlichen Wahlrechten besteht keine objektive Entscheidungsmöglichkeit zwischen Alternativen, sondern es findet eine subjektive Wertfindung statt.[12] Solche Unschärfen sind unbeabsichtigte Freiheitsgrade, die aus "der Unmöglichkeit der Schaffung erschöpfender Normen für jeden Einzelfall"[13] resultieren. Innerhalb einer als zulässig erachteten Bandbreite möglicher Ansätze können aufgrund unvollkommener Informationen über künftige Ereignisse unternehmensindividuell unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden.[14]

[1] Vgl. Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, 11. Aufl. 2015, S. 39.
[2] Vgl. Kußmaul, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 8. Aufl. 2020, S. 151.
[3] Vgl. Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Rz. C 695.
[4] Vgl. Schneeloch, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Band 2: Betriebliche Steuerpolitik, 3. Aufl. 2009, S. 4.
[5] Vgl. Heigl/Melcher, Betriebliche Steuerpolitik, 1974, S. 20.
[6] Vgl. Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Rz. C 695. Eine solche Umgehung der Besteuerung ist möglich, da es einem Steuerpflichtigen nicht verwehrt werden kann, "unter mehreren nicht ungewöhnlichen Gestaltungsmöglichkeiten diejenige zu wählen, die für [ihn, d. Verf.] steuerlich am günstigsten ist." BFH, Urteil v. 6.3.1952, IV 329/51 S, BStBl 1952 III S. 368 ...

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