Rz. 14

Für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 6 Buchst. d UStG ist keine Grundlage im EU-Recht erkennbar.[1] Die unionsrechtliche Begründung in der amtlichen Gesetzesbegründung zu § 4 Nr. 6 Buchst. d UStG ist nicht nachvollziehbar. Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL unterliegen der Mehrwertsteuer alle Dienstleistungen (damit auch Personenbeförderungen), die ein Steuerpflichtiger im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt. Nach Art. 5 Nr. 2 MwStSystRL ist unter "Gebiet eines Mitgliedstaats" das Gebiet jedes Mitgliedstaats der Gemeinschaft zu verstehen, auf den der Vertrag zur Gründung der EG gem. dessen Art. 299[2] Anwendung findet, mit Ausnahme der in Art. 6 MwStSystRL genannten Gebiete. Zum Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gehören uneingeschränkt auch die Hoheitsgewässer, die bei nahezu allen Küstenmitgliedstaaten in einer Zwölf-Seemeilen-Zone bestehen. Maßgebend ist das Hoheitsgebiet nach dem jeweiligen Gebietsbestand, sodass etwaige Veränderungen des Bestands ohne Weiteres den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts vergrößern oder verkleinern.[3] Somit muss nach dem EU-Recht der private Letztverbrauch im territorialen Anwendungsbereich der MwStSystRL, zu der auch die Hoheitsgewässer der Mitgliedstaaten gehören, mit USt belastet werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das Gebiet der Insel Helgoland umsatzsteuerrechtlich zum Ausland gehört[4] und somit die dort bewirkten Umsätze nicht der USt unterliegen.

 

Rz. 15

Die Gesetzesbegründung, dass Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i. V. m. Anhang F Nr. 17 der 6. EG-Richtlinie eine Steuerbefreiung für die Personenbeförderung im Schiffsverkehr zwischen den inländischen Seehäfen und der Insel Helgoland erlaube, ist nicht nachvollziehbar. Nach dieser Vorschrift[5] ist es den Mitgliedstaaten lediglich gestattet, diejenigen Steuerbefreiungen für Personenbeförderungsleistungen für eine Übergangszeit beizubehalten, die vor Inkrafttreten der 6. EG-Richtlinie zum 1.1.1978 bereits angewendet wurden. Personenbeförderungen im Verkehr der Seeschifffahrt zwischen inländischen Seehäfen und der Insel Helgoland unterlagen jedoch über § 7 Abs. 3 UStDV a. F. (Rz. 5) vor dem 1.1.1996 nicht der Umsatzbesteuerung. Nach der EuGH-Rechtsprechung[6] steht die Übergangsbestimmung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie[7] schon ihrem Wortlaut nach der Einführung neuer Befreiungstatbestände oder der Ausweitung bereits bestehender Befreiungen entgegen. Die ursprünglich geltende Steuerbefreiung für die Beförderung von Personen mit Schiffen[8] wurde zum 1.1.1984 aufgehoben. Somit ist die Übergangsregelung nach Art. 371 MwStSystRL für derartige Beförderungsleistungen nicht mehr anwendbar ("verbraucht") und kann auch in einem begrenzten Teil des Hoheitsgebiets (hier: in den Hoheitsgewässern) nicht wieder eingeführt werden. Diese Auffassung wird auch im Schrifttum überwiegend geteilt.[9] Dies gilt wegen des eindeutigen Wortlauts von Art. 371 MwStSystRL ungeachtet dessen, dass die alte Nichtbesteuerung (Nichtsteuerbarkeit) und die jetzige Steuerbefreiung der Personenbeförderungen unter Gewährung des Vorsteuerabzugs wirtschaftlich zum gleichen Ergebnis führen. Im Übrigen soll die in Art. 48 MwStSystRL enthaltene besondere Anknüpfungsregelung für Beförderungsleistungen gewährleisten, dass jeder Mitgliedstaat Beförderungsleistungen für die Teilstrecken besteuert, die in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt werden. Dabei kann sich ein Mitgliedstaat auch nicht auf praktische Schwierigkeiten, mit denen er bei der Besteuerung von Schiffsrundfahrten konfrontiert ist, berufen.[10] In ähnlicher Weise hatte sich die Bundesregierung bereits im Rahmen der parlamentarischen Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des UStG und anderer Gesetze[11] in ihrer Gegenäußerung v. 15.6.1994 gegen den Vorschlag des Bundesrats ausgesprochen, den Status quo beizubehalten und Personenbeförderungen im erweiterten Küstenmeer weiterhin nicht zu besteuern, weil eine solche Nichtbesteuerung gegen das Unionsrecht verstoßen würde.[12] Die Auffassung, die Übergangsbestimmung nach Art. 371 MwStSystRL sei schon deshalb nicht anwendbar, weil die in § 4 Nr. 6 Buchst. d UStG bezeichneten Personenbeförderungen bisher nicht steuerfrei, sondern nicht steuerbar gewesen seien[13], ist wenig überzeugend, da beide Regelungen in ihrer steuerlichen Wirkung (Nichtbesteuerung unter Gewährung des Vorsteuerabzugs) gleich sind. Diese Frage ist aber für die Beurteilung der EU-Konformität des § 4 Nr. 6 Buchst. d UStG nicht entscheidend.

 

Rz. 16

Die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 6 Buchst. d UStG wird jedoch vom entgegenstehenden Unionsrecht nicht verdrängt. Sie ist so lange anwendbar, bis sie – ggf. nach einer Entscheidung des EuGH – vom Gesetzgeber geändert wird. Eine richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift ist mit Rücksicht auf ihren klaren Wortlaut und die eindeutige Zielvorstellung des Gesetzgebers nicht zulässig. Auch besteht kein Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem damit unvereinbaren nationalen Recht. A...

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