Rz. 205

Durch Gesetz v. 22.12.2014[1] wurde mWv 1.1.2015 ein neuer Abs. 10 in § 13b UStG eingeführt, um die kurzfristige Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers zu ermöglichen (sog. Schnellreaktionsmechanismus). Dieses – zuletzt bis 30.6.2022 befristete – Instrument beruht auf Art. 199b MwStSystRL i. d. F. der Richtlinie 2013/42/EU v. 22.7.2013, der die beschleunigte Betrugsbekämpfung durch nationale gesetzgeberische Maßnahmen ermöglichen soll (Rz. 20). Durch die Richtlinie (EU) 2022/890 des Rates v. 3.6.2022[2] wurde die Möglichkeit, die Sondermaßnahme des Schnellreaktionsmechanismus gem. Art. 199b MwStSystRL zu nutzen, bis 31.12.2026 verlängert. § 13b Abs. 10 UStG ermächtigt das BMF, durch Rechtsverordnung den Anwendungsbereich der Steuerschuldnerschaft auf weitere Umsätze zu erweitern, wenn im Zusammenhang mit diesen Umsätzen in vielen Fällen der Verdacht auf Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall aufgetreten ist, die voraussichtlich zu erheblichen und unwiederbringlichen Steuermindereinnahmen führen.

 

Rz. 206

Hintergrund für die Neuregelung war, dass bislang der Anwendungsbereich der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nur auf Umsätze erweitert werden konnte, für die unionsrechtlich eine solche optionale Regelung besteht (Art. 199 u. 199a MwStSystRL). Lagen für andere Umsätze konkrete Hinweise vor, die den Verdacht für erhebliche Steuerhinterziehungen rechtfertigen, oder lagen Informationen über bereits verwirklichte Steuerhinterziehungen vor, so konnte bislang kurzfristig nicht gesetzgeberisch reagiert werden. Vielmehr bedurfte es eines Antrags nach Art. 395 MwStSystRL auf eine Abweichungsmöglichkeit vom Unionsrecht und einer entsprechenden einstimmigen Genehmigung durch den EU-Ministerrat. Durch die Richtlinie 2013/42/EU v. 22.7.2013 war ein Instrument geschaffen worden, das es den EU-Mitgliedstaaten ermöglicht, in solchen Fällen kurzfristig für einen Zeitraum von maximal neun Monaten eine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers vorzusehen, wenn konkrete Hinweise für den Verdacht von unvermittelt schwerwiegenden Betrugsfällen auftreten, die voraussichtlich zu erheblichen und unwiederbringlichen Verlusten führen.

 

Rz. 207

Voraussetzung für den Erlass einer auf die in § 13b Abs. 10 UStG geschaffene Ermächtigungsgrundlage gestützten Verordnung ist eine entsprechende Mitteilung der Bundesregierung an die EU-Kommission und die anderen Mitgliedstaaten und eine Bestätigung durch die EU-Kommission, dass sie keine Einwände gegen die geplante Maßnahme erhebt (§ 13b Abs. 10 S. 2 Nr. 1 UStG). Darüber hinaus muss die Bundesregierung einen Antrag auf eine abweichende Regelung nach Art. 395 MwStSystRL stellen, über den innerhalb von sechs Monaten entschieden sein muss (Art. 395 Abs. 5 MwStSystRL). Eine auf der Ermächtigung nach § 13b Abs. 10 UStG beruhende Verordnung mit einer Erweiterung der Steuerschuldnerschaft ist nur eine vorläufige Maßnahme. Ermächtigt der Rat Deutschland entsprechend dem gestellten Antrag nach § 395 MwStSystRL, eine von der MwStSystRL abweichende Regelung längerfristig beibehalten zu dürfen, muss die Erweiterung der Steuerschuldnerschaft in jedem Fall im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens im UStG verankert werden. Wird die Ermächtigung durch den Rat nicht erteilt, tritt die Verordnung nach neun Monaten außer Kraft (§ 13b Abs. 10 S. 2 Nr. 3 UStG).

 

Rz. 208

Gegen die Regelung in § 13b Abs. 10 UStG bestehen erhebliche verfassungsrechtliche und unionsrechtliche Bedenken.[3]

[1] Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den ZK der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 22.12.2014, BGBl I 2014, 2417.
[2] ABl EU 2022 Nr. L 155/1.
[3] Filtzinger, UR 2013, 136; Sterzinger, UStB 2015, 17; Widmann, MwStR 2015, 48, 51.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge