Entscheidungsstichwort (Thema)

Familienähnliche Betreuung nach § 34 SGB VIII

 

Leitsatz (redaktionell)

Einem Vollzeit beschäftigten Betreuer, der die Kleingruppe alleinverantwortlich führt, können pro Jahr Lohnzuschläge für bis zu 110 Stunden Feiertags-, 630 Stunden Sonntags- und 600 Stunden Nachtarbeit auch ohne Einzelnachweis der tatsächlich geleisteten Arbeit zu begünstigten Zeiten steuerfrei ausgezahlt werden.

 

Normenkette

EStG § 3b

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 25.05.2005; Aktenzeichen IX R 72/02)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob vom Kläger (Kl.) u. a. an Betreuer von Kleingruppen gezahlte Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit (SFN-Zuschläge) nach § 3b Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei sind. Der Beklagte, das Finanzamt (FA), erkennt die Steuerfreiheit nach einer Lohnsteueraußenprüfung nicht an und nimmt den Kl. deswegen in Haftung.

Der Kl. ist ein gemeinnütziger Verein und Träger der Freien Jugendhilfe. Er beschäftigt u. a. Betreuer von Kleingruppen, die nach Maßgabe des § 34 Sozialgesetzbuch - SGB - VIII (Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz) Hilfe zur Erziehung in familienähnlichen und sonstigen betreuten Wohnformen leisten. Die Kleingruppen bestehen aus drei bis sieben Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter. In Ausnahmefällen können auch junge Erwachsene zu einer Gruppe gehören. Die Betreuten leben mit dem Betreuer familienähnlich in häuslicher Gemeinschaft in einer Wohnung zusammen. Die Kinder und Jugendlichen kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, einige von ihnen haben strafbare Handlungen begangen. Sie unterliegen deshalb einer erhöhten Aufsichtspflicht, für deren Erfüllung der Betreuer verantwortlich ist.

Für jede Kleingruppe ist nach § 45 SGB VIII eine Betriebserlaubnis erforderlich, die für eine Betreuung "über Tag und Nacht" erteilt wird. Der namentlich im Antrag genannte Betreuer wird darin zu ständiger Anwesenheit auch an Sonn- und Feiertagen sowie zur Nachtzeit verpflichtet, sofern nicht vom Träger der Einrichtung eine Vertretung gestellt wird. Der Betreuer wird unterstützt durch Hilfskräfte, für die nur in wenigen Einzelfällen SFN-Zuschläge gezahlt werden. Erforderlich ist deshalb eine intensive ständige Betreuung insbesondere an Wochenenden, Feiertagen und in den Abendstunden, weil die Kinder und Jugendlichen zu diesen Zeiten nicht durch andere Personen (z. B. Schule) beaufsichtigt werden. Der Dienst der Betreuer erstreckt sich weitgehend auf diese Zeiten.

Der Kl. schließt mit den Betreuern formularmäßige "Dienstverträge". In Nr. 4 der Dienstverträge wird auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) verwiesen. Die tarifliche Arbeitszeit der Betreuer betrug im Streitjahr bei Vollzeitbeschäftigung 38,5 Stunden pro Wochen. Als Zusatzvergütung für SFN-Arbeit sieht § 35 BAT Zeitzuschläge je Stunde vor. In Nr. 5.2 der Dienstverträge ist die Anzahl der bezuschlagten SFN-Stunden individuell geregelt.

Mit Schreiben vom 22. Juni 1993 hatte sich der Kl. an das FA gewandt und um Auskunft gebeten, unter welchen Voraussetzungen steuerfreie SFN-Zuschläge an die Betreuer von Kleingruppen gezahlt werden könnten. In der Jugendhilfe vollziehe sich ein Wandel der Betreuungsformen. In herkömmlichen Heimen arbeiteten die Erzieher im Schichtdienst. Über die tatsächlich geleistete SFN-Arbeit würden Stundenzettel geführt, die als Grundlage für die Zahlung steuerfreier SFN-Zuschläge dienten. In neueren familienähnlichen Wohnformen werde aus pädagogischen Gründen die Betreuung rund um die Uhr von derselben Bezugsperson geleistet. Bei dieser Betreuungsform lebe der Betreuer mit den Betreuten ohne Dienstplan zusammen; eine saubere Trennung von Dienst- und Freizeit sei nicht möglich. Ein Einzelnachweis der tatsächlich erbrachten SFN-Arbeit könne deshalb nicht erbracht werden. Der Kl. müsse jedoch, um qualifiziertes Personal anwerben zu können, zumindest die im Heimbetrieb gezahlten Zuschüsse ebenfalls zahlen, zumal Erzieher dem geregelten Arbeitstag im traditionellen Heimbetrieb ohnehin häufig den Vorzug gäben. Das FA lehnte die Anerkennung steuerfrei gezahlter pauschaler Zuschläge - ohne Einzelanschreibung der tatsächlich geleisteten SFN-Arbeit - ab. Die Oberfinanzdirektion schloss sich dieser Auffassung an. Auch unter Berücksichtigung der besonderen Gestaltung der Tätigkeit und des mit einem Einzelnachweis verbundenen Aufwands, sei aus Rechtsgründen eine abweichende Regelung nicht möglich (Schreiben vom 23. Dezember 1993).

Im Streitjahr erhielten 70 Angestellte des Kl. steuerfreie SFN-Zuschläge, darunter auch Leitungskräfte. Sie haben nach Angaben des Kl. Vertretungs- und Leitungsaufgaben zu den entsprechenden Zeiten zu erfüllen sowie Sondereinsätze, etwa die Zusammenarbeit mit der Polizei bei der Suche nach verschwundenen Betreuten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Dienstvertrag der Bereichsleiterin B mit Anlagen und insbesondere die "Aufgabenverteilung für die Bereichsleitungen" Bezug genommen.

Der Kl. erfasste die Höhe der steuerfrei ausgezahlten Zuschläge in den Lohnkonten. Am Ende ...

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