Entscheidungsstichwort (Thema)

Negatives Interesse. Masseunzulänglichkeit. Masseforderung. Vertrauenshaftung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Masseforderung kann nach § 61 InsO voraussichtlich nicht erfüllt werden, wenn anzunehmen ist, dass der Eintritt von Masseunzulänglichkeit wahrscheinlicher ist als ihr Nichteintritt.

2. § 61 InsO gibt dem Masseschuldgläubiger einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Höhe des Vertrauensschadens (negatives Interesse).

 

Normenkette

InsO § 61

 

Verfahrensgang

ArbG Chemnitz (Urteil vom 18.02.2004; Aktenzeichen 8 Ca 5601/03)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.01.2006; Aktenzeichen 6 AZR 600/04)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 18.02.2004 – 8 Ca 5601/03 – wird auf seine Kosten

zurückgewiesen.

Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatz.

Der Kläger war bei einer Textilfirma beschäftigt. Am 01.08.1999 ist das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet worden. Der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 03.08.1999 beschloss der vorläufige Gläubigerausschuss die Fortführung des Geschäftsbetriebes unter Reduzierung des Personals. Im Betrieb der Gemeinschuldnerin waren ca. 60 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Gläubigerversammlung bestätigte am 03.09.1999 die Fortführung des Geschäftsbetriebes für sechs Monate. Am 15.02.2002 beschloss der Gläubigerausschuss die Stilllegung des Betriebes, nachdem er am 10.02.2002 ein Übernahmeangebot abgelehnt hatte.

Der Beklagte stellte den Kläger und weitere Mitarbeiter ab dem 21.02.2000 von der Arbeit frei. Das Arbeitsverhältnis wurde in der Folgezeit durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende beendet.

Der Beklagte erteilte dem Kläger Lohnabrechnungen für Januar 2000 und 01. bis 21.02.2000 über einen Gesamtbetrag von 2.028,00 Euro brutto. In einem Prozessvergleich vom 30.08.2001 (Arbeitsgericht Chemnitz – 4 Ca 1885/01 –) wurde vereinbart:

1. Es wird festgestellt, dass dem Kläger gegen den Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. … GmbH für die Zeit vom 01.01.2000 bis 21.02.2000 ein Lohnanspruch in Höhe von

2.983,36 DM netto

(i.W. zweitausendneunhundertdreiundachtzig

36/100 Mark Deutsche Mark)

als sogenannte Altmasseverbindlichkeit gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO zusteht.

Dieser Vergleich ist am Schluss der mündlichen Verhandlung am 13.10.2004 nicht erfüllt. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht beendet. Die Zwangsversteigerung der Betriebsimmobilie ist im Gange.

Der Kläger hat am 18.07.2000 Klage erhoben und fordert Schadensersatz in Höhe des bisher nicht bezahlten Bruttolohnes. Der Beklagte hätte bereits im Zeitraum Oktober oder November 1999 bzw. spätestens 01.01.2000 erkennen müssen, dass die vorhandene Masse keinesfalls ausreiche, die Lohnschulden für die Monate Januar und Februar 2000 zu begleichen. Der Beklagte sei gemäß § 61 InsO zum Schadensersatz verpflichtet. Der Beklagte hätte den Kläger spätestens zum 01.01.2000 freistellen müssen, um die Möglichkeit zu geben, Arbeitslosengeld zu beziehen. Der Beklagte hätte das einzige Übernahmeangebot als nicht seriös beurteilen müssen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.028,09 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, 2.028,09 Euro brutto nach Abschluss vorliegenden Insolvenzverfahrens abzüglich der auszuzahlenden Quote gemäß Vergleich vom 30.08.2001 zum Aktenzeichen 4 Ca 1885/01 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 18.02.2004 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgebracht, dass er mit der Fortführung des Geschäftsbetriebes seine spezifischen Verpflichtungen als Verwalter nicht verletzt habe. Es sei seine gesetzliche Aufgabe gewesen, die Schuldnerfirma bzw. zumindest einen Teil von dieser durch eine übertragende Sanierung zu retten. Wie sich aus vorgelegten Liquiditätsübersichten und Ertragsvorschauen ergebe, hätten die Löhne der Mitarbeiter bis einschließlich Dezember 1999 problemlos ausgezahlt werden können. Im Ergebnis hätten die betriebswirtschaftlichen Zahlen in einem Bereich gelegen, von dem der Beklagte hätte ausgehen können und dürfen, dass bei einer erfolgreichen Übertragung die streitige Lohnforderung aus der Masse hätte bezahlt werden können. Bei einer Übernahme des Schuldnerbetriebes mit allen Aktiva und Passiva wären 80.000,00 DM der Einnahmenseite in voller Höhe zuzusetzen gewesen. Das vom Gläubigerausschuss letztlich am 15.02.2000 abgelehnte Angebot des Interessenten verdeutliche, dass das von der Gläubigerversammlung verfolgte Konzept für eine übertragende Sanierung aussichtsreich gewesen war.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.02.2004 die Klage abgewiesen. Ein pflichtwidriges Verhalten im Hinblick auf die Einstellung des Betriebe...

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