Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine tatsächliche Verständigung bei fehlendem Rechtsbindungswillen des Steuerpflichtigen. Hinzuschätzungen im Rahmen einer Betriebsprüfung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine tatsächliche Verständigung über die Höhe der Umsätze, die nach dem Grundsatz von Treu und Glauben bzw. als öffentlich-rechtlicher Vertrag bindend wäre, ist anlässlich einer Betriebsprüfung nicht getroffen worden, wenn nicht festgestellt werden kann, dass auf Seiten des Steuerpflichtigen Rechtsbindungswille mit der Folge bestanden hat, dass er sich an Hinzuschätzungen der Prüferin später festhalten lassen muss, ohne die Möglichkeit zu haben, sie in einem Rechtsbehelfsverfahren überprüfen lassen zu können.

2. Ziel einer Schätzung ist es, in einem Akt wertenden Schlussfolgerns aus Anhaltspunkten diejenigen Tatsachen zu ermitteln, die die größtmögliche erreichbare Wahrscheinlichkeit für sich haben. Das Schätzungsergebnis soll dem wahren Sachverhalt möglichst nahe kommen. Die gewonnenen Schätzungsergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein.

3. Eine Befugnis des Finanzamts zur Hinzuschätzung nicht erklärter Umsätze besteht nicht, wenn eine Nachkalkulation anhand eines inneren und teilweise äußeren Betriebsvergleichs keine begründbare Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, dass der Steuerpflichtige höhere als die erklärten Betriebeinnahmen erzielt hat.

 

Normenkette

AO § 162 Abs. 2

 

Tenor

1. Der geänderte Einkommensteuerbescheid 1998 vom 29.09.2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.08.2005 wird dahingehend geändert, dass die vom Beklagten vorgenommene Hinzuschätzung in Höhe von 52.000 DM unberücksichtigt bleibt. Der geänderte Einkommensteuerbescheid 1999 vom 29.09.2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.08.2005 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Nettobetriebseinnahmen in Höhe von 52.000 DM im Jahr 1998 und in Höhe von 46.000 DM im Jahr 1999 zu Recht zugeschätzt wurden, ob 1998 weitere Betriebsausgaben in Höhe von 500 DM wegen des Erwerbs von Altmaterial bei der D.B.A. abziehbar sind, ob ein am 06.04.1999 erworbenes Teppichreinigungsgerät dem Privatvermögen zuzuordnen ist, ob eine am 03.12.1999 erworbene Elementsauna sofort wieder entnommen wurde und ob Transportkosten eines 1999 als Anlagevermögen erworbenen Personenzugwagens als Anschaffungsnebenkosten zu aktivieren und abzuschreiben sind, statt sie sofort als Betriebsausgaben abzuziehen.

Der Kläger betreibt in ausrangierten Personenzugwagons ein Restaurant, ein Hotel und einen Imbiss. Bis einschließlich 1998 ermittelte er seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz – EStG – und ab 1999 durch Betriebsvermögensvergleich.

Vom 16.10.2002 bis zum 14.07.2003 fand beim Kläger eine Außenprüfung statt.

Zunächst erkannte die Prüferin 1998 Betriebsausgaben in Höhe von 500 DM nicht an. Auf einem Lieferschein der D.B.A. vom 01.07.1998 war für diverse Altmaterialien zur Selbstabholung ein Betrag von 1.000 DM zahlbar bei Abholung ohne Umsatzsteuerausweis angegeben. Ferner findet sich der Vermerk „Betrag erhalten” auf diesem Lieferschein. Unter dem Betrag von 1.000 DM ist nachträglich der streitige Betrag von 500 DM hinzugesetzt worden.

Ferner stellte die Prüferin beim Kläger für die Jahre 1999 bis 2000 Aufzeichnungs- bzw. Buchführungsmängel fest und ging daher von einer Schätzungsbefugnis aus. Gemäß einem Aktenvermerk wurde bei der Schlussbesprechung am 12.06.2003, an der der Kläger, sein Steuerberater, seine Buchhalterin, der Sachgebietsleiter des Veranlagungsbezirks des Beklagten sowie die Prüferin und die Berichtsüberprüferin des Betriebsprüfungsfinanzamtes teilnahmen, eine Einigung auf Einnahmenhinzuschätzungen für das Jahr 1998 in Höhe von 52.000 DM und für das Jahr 1999 in Höhe von 46.000 DM erzielt.

Grundlage dieser Hinzuschätzungen war eine Nachkalkulation der Prüferin, die sich für 1998 auf 13 Getränke und drei Gerichte und für 1999 auf 13 Getränke und sechs Gerichte der Speisekarte bezog. Es wurden jeweils die festgestellten Einkaufspreise und die sich aus den nachgereichten Speisekarten für die Streitjahre ergebenden Verkaufspreise zu Grunde gelegt. Da der Kläger keine eigenen Rezepte zur Verfügung stellte, wurde hinsichtlich der Mengen des Wareneinsatzes von den in der „BP-Kartei Fach Gastwirtschaften” angegebenen Portionierungen ausgegangen bzw. beim Einkauf bereits portionierter Waren durch den Kläger wurden diese Portionierungen bis zum Fertiggericht beibehalten. Die Prüferin ermittelte jeweils einen durchschnittlichen Aufschlagssatz für die Getränke und die Speisen. Mangels näherer Aufzeichnungen des Klägers ging sie von jeweils gleich hohen Getränke- und Speiseum...

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