Sachverhalt

Bei dem Verfahren - ging es um die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit einer rückwirkenden Begrenzung von Ansprüchen auf Rückerstattung von Mehrwertsteuern, die aus dem EuGH-Urteil vom 24.10.1996, C-288/94 (Argos) hergeleitet werden können. Es ging weniger um eine Frage des materiellen Umsatzsteuerrechts als vielmehr um grundsätzliche Fragen des Verfahrensrechts und des Verhältnisses zwischen dem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht.

Die Klägerin hatte aufgrund des EuGH-Urteils vom 24.10.1996 einen Anspruch auf Rückerstattung zu viel gezahlter Mehrwertsteuern. Bei derartigen Rückerstattungsansprüchen trat nach früherem britischem Recht nach Ablauf von sechs Jahren ab dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer die Verjährung ein. Angesichts des EuGH-Urteils war die Verjährungsfrist mit Wirkung vom 18.6.1996 geändert worden. Nach der Neuregelung sollten alle Rückerstattungsansprüche für Mehrwertsteuerbeträge, die mehr als drei Jahre vor Geltendmachung des Erstattungsanspruchs an die Finanzbehörden entrichtet worden sind, verjähren. Dies sollte für alle Erstattungsansprüche gelten, auch für die Ansprüche, die vor dem 18.6.1996 (In-Kraft-Treten der Neuregelung) geltend gemacht worden waren. Dies führte im Streitfall dazu, dass Rückerstattungsansprüche für den Zeitraum Mai 1990 bis Juli 1992 verjährt waren.

Diese rückwirkende Einschränkung der Verjährungsfrist steht nach dem EuGH-Urteil vom 11.7.2002 den Grundsätzen der Effektivität und des Vertrauensschutzes entgegen und ist daher unzulässig. Der Grundsatz der Effektivität besagt, dass es bei Fehlen einer Gemeinschaftsregelung über die Erstattung zu Unrecht erhobener nationaler Abgaben Sache der nationalen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats ist, die Verfahrensmodalitäten (z.B. Gerichtsschutz) zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Modalitäten dürfen aber nicht ungünstiger ausgestaltet sein, als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und sie dürfen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).

 

Entscheidung

In Bezug auf den Effektivitätsgrundsatz hat der EuGH bereits entschieden, dass angemessene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Solche Fristen seien nicht geeignet, die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder sie übermäßig zu erschweren. Eine nationale Verjährungsfrist von drei Jahren, die mit dem Zeitpunkt der Zahlung der zu Unrecht erhobenen Abgabe beginnt, ist danach angemessen. Auch ist eine nationale Regelung, die die Frist verkürzt, innerhalb derer die Erstattung von unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gezahlten Beträgen gefordert werden kann, noch unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn sie keine echte Rückwirkung entfaltet. Bei neu festzusetzenden Fristen müssen Übergangsregelungen getroffen werden, die es dem einzelnen erlauben, noch Erstattungsansprüche geltend zu machen, die er unter der alten Regelung auch hätte geltend machen können. Eine solche Übergangsregelung ist geboten, wenn die sofortige Anwendung einer kürzeren Verjährungsfrist als der bis dahin geltenden im Einzelfall rückwirkend einen Erstattungsanspruch zunichte macht oder dem Berechtigten zu wenig Zeit bliebe, den Anspruch nochgeltend zu machen.

Das Urteil dürfte für das deutsche Recht kaum Bedeutung haben. Nach § 38 AO entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Nach § 47 AO erlöschen diese Ansprüche unter anderem durch Verjährung. Nach Eintritt der Festsetzungsverjährung ist die Festsetzung einer Steuer sowie deren Korrektur nicht mehr zulässig (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Mit Eintritt der Zahlungsverjährung erlischt der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 232 AO). Ein durch Verjährung erloschener Anspruch kann nicht mehr geltend gemacht, vollstreckt oder erfüllt werden, da er nicht mehr besteht. Die Verjährung ist - abweichend vom Zivilrecht - von Amts wegen zu beachten (keine Einrede).

Der Streitfall zeichnete sich durch die Besonderheit aus, dass der britische Gesetzgeber Steuererstattungs- bzw. Steuervergütungsansprüche zum Erlöschen gebracht hatte, indem er noch während der laufenden ("offenen") Verjährungsfrist deren Dauer erheblich verkürzte. Dies führte dazu, dass mit In-Kraft-Treten der Neuregelung Erstattungsansprüche erloschen sind, ohne dass die betroffenen Steuerpflichtigen rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten hatten.

 

Hinweis

In steuerverfahrensrechtlicher Sicht hat sich die vom EuGH entschiedene Frage in Deutschland noch nicht gestellt. Wesentliche Änderungen der Verjährungsregelungen - wie z.B. beim Übergang von der Reichsabgabenordnung zur Abgabenordn...

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