Leitsatz

An der Befugnis des Gesetzgebers zur rückwirkenden Abschaffung (Veranlagungszeitraum 1992) der so genannten Mehrmütterorgangschaft bestehen ernstliche Zweifel.

 

Sachverhalt

Die Antragstellerin war im Streitjahr 1992 zu 50 % an der X beteiligt. Die übrigen 50 % der Anteile hielt bis zum Jahre 1998 die A. Mit Gesellschaftsvertrag vom 25. Juni 1992 haben sich die Antragstellerin und die A zu einer GbR zusammengeschlossen. Zweck dieser Gesellschaft war die Herstellung und Sicherung des gemeinsamen Einflusses auf die X. Außerdem haben die Antragstellerin und die A am 25. Juni 1992 mit der X einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen. Aufgrund der hierdurch begründeten Mehrmütterorganschaft hat das Finanzamt der Antragstellerin für das Streitjahr 1992 im Rahmen des entsprechenden Feststellungsverfahrens anteilige negative Einkünfte i.H. v. ca. 10 Mio. DM zugewiesen und auch im Rahmen der erstmaligen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages berücksichtigt. Im Rahmen einer für die Jahre ab 1989 durchgeführten Außenprüfung wurde die gewerbesteuerliche Mehrmütterorganschaft vom Finanzamt nicht anerkannt. Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2003 beantragte deshalb die Antragstellerin beim FG Berlin die Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuermessbetrages gemäß § 69 Abs. 3 FGO. Zur Begründung wird folgendes vorgebracht: Streitig sei die Zurechnung des anteiligen Gewerbeverlustes aus der Organgesellschaft X bei der Antragstellerin nach den Grundsätzen der Mehrmütterorganschaft. Der BFH habe Muttergesellschaften im Rahmen einer Mehrmütterorganschaft als Organträger und damit als Vertragspartner des Gewinnabführungsvertrages mit der Folge anerkannt, dass gewerbesteuerlich die Organgesellschaft als Betriebsstätte der Muttergesellschaft gelte. Danach ist eine GbR, die lediglich der Willenskoordination dient, selbst kein Gewerbesteuerobjekt mit der Folge, dass Gewerbeerträge und -verluste der Organgesellschaft den Muttergesellschaften als Organträger anteilig zuzurechnen sind. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts (und Straffreiheitsgesetz -StFG-) vom 20.12.2001 (BStBl 2002 I S. 35) habe der Gesetzgeber durch eine Änderung des § 14 Abs. 2 KStG und des § 2 Abs. 2 GewStG geregelt, dass die Personengesellschaft selbst Organträger und gewerbliches Unternehmen im Sinne des Gewerbesteuergesetzes sei. Durch eine entsprechende Änderung des § 36 Abs. 3 GewStG soll diese Regelung auch für Erhebungszeiträume vor 2002 anzuwenden sein. Nach Ansicht der Antragstellerin bestehen ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 3 FGO, ob die vom Gesetzgeber angeordnete Rückwirkung verfassungsgemäß ist.

 

Entscheidung

Der Antrag ist zulässig und begründet. Nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Das Verfahren für den vorläufigen Rechtsschutz nach § 69 FGO beschränkt sich auf eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit sind dann anzunehmen, wenn diese Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tat- oder Rechtsfragen ergeben. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 und 3 FGO können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein.

Im vorliegenden Verfahren ist der beschließende Senat aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheides - auch - insoweit bestehen, als der Antragsgegner (das FA) es abgelehnt hat, bei der Antragstellerin den anteiligen Verlust aus ihrer Beteiligung an der X zu berücksichtigen. Zwar entspricht diese Behandlung der Rechtslage, wie sie sich aus § 2 Abs. 2 GewStG und § 14 Abs. 2 KStG in der Fassung ergibt, die diese Vorschriften durch das UntStFG erhalten haben. Nach Überzeugung des beschließenden Senats bestehen jedoch ernstliche Zweifel, ob der Gesetzgeber befugt war, die darin enthaltene Abschaffung der so genannten Mehrmütterorganschaft rückwirkend auch für das Streitjahr 1992 anzuordnen.

 

Hinweis

Das Gericht hält es für zweifelhaft, ob die bestehende Unklarheit einer Rechtslage in jedem Fall ihre - echte - rückwirkende Änderung durch den Gesetzgeber zulässt mit der Folge, dass diese Unklarheit zu Lasten des Steuerpflichtigen geht. Insofern ist zu bedenken, dass die unklare Rechtslage letztlich dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, der es unterlassen hat, für eine ausreichend klare Gesetzeslage zu sorgen. Nach Ansicht des beschließenden Senats würde dies den Gesetzgeber ohne die erforderliche verfassungsrechtliche Legitimation stets dazu berechtigen, seine Vorstellungen rückwirkend durchzusetzen. Würde man dagegen allein die Unklarheit einer Recht...

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