2.1 Abgrenzung zu Verbindlichkeiten

Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (sog. Verbindlichkeitsrückstellungen) bilden den Hauptanwendungsfall der Rückstellungen. Sie unterscheiden sich von den Verbindlichkeiten, die dem Grunde und der Höhe nach gewiss sind, durch ihre Ungewissheit dem Grunde bzw. der Höhe nach in der zugrunde liegenden Verpflichtung.

Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein. So hat der BFH Verbindlichkeiten bei unbedingter Rückzahlungsverpflichtung auch dann angenommen, wenn eine Erfüllung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise nicht zu erwarten ist.[1]

Verbindlichkeitsrückstellungen sind nach dem Vorsichtsprinzip zu passivieren, wenn und soweit eine Inanspruchnahme wahrscheinlich oder mit ihr ernsthaft zu rechnen ist. Die Feststellungslast trägt der bilanzierende Steuerpflichtige.

2.2 Tatbestandsmerkmale

Die Voraussetzungen für die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung sind:

  • das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten oder aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung;
  • die wirtschaftliche Verursachung der Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag;
  • mit einer Inanspruchnahme muss ernsthaft zu rechnen sein.
 
Wichtig

Ungewissheit der Höhe nach

Eine Ungewissheit der Höhe nach liegt vor, wenn das Bestehen der Verbindlichkeit gewiss ist, sich der Aufwand für ihre Erfüllung aber nur schätzen lässt.

2.3 Rechtsgrund ungewisser Verbindlichkeiten

Die ungewisse Verbindlichkeit muss gegenüber einem Dritten bestehen (Außenverpflichtung).

Sie ergibt sich regelmäßig aus dem Zivilrecht, z. B. bei Abwicklung eines Handelsvertreterverhältnisses, Schutzrechtsverletzung usw. Unter Umständen kann als Verpflichtungsgrund sogar eine faktische Verpflichtung genügen, der sich ein Kaufmann aus sittlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen kann.

Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen sind z. B. auszuweisen für die Verpflichtung zur Aufstellung des Jahresabschlusses, für die Buchung laufender Geschäftsvorfälle und für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen.[1]

 
Wichtig

Konkretisierung

Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung rechtfertigt nur dann eine Rückstellung, wenn sie ausreichend konkretisiert ist. Hierzu ist ein Verwaltungshandeln der zuständigen Behörde erforderlich. Ein bloßer Gesetzesbefehl genügt, wenn ein inhaltlich bestimmtes Handeln innerhalb einer bestimmten Zeit vorgeschrieben ist und das Handlungsgebot sanktionsbewehrt ist.

Verpflichtungen, die nur einen unwesentlichen Aufwand verursachen, z. B. aus einer gewöhnlichen Abrechnungsverpflichtung, bleiben steuerlich unberücksichtigt.

Aufwandsrückstellungen, die handelsrechtlich unabhängig von einer Außenverpflichtung gebildet werden dürfen, begründen allenfalls eine Verbindlichkeit "gegen sich selbst", z. B. für einen ausstehenden Vorfall (Großreparatur u. Ä.) vorzusorgen. Sie sind steuerrechtlich nicht zulässig.

2.4 Wirtschaftliche Verursachung

Die rechtliche Entstehung einer Verbindlichkeit ist zumeist hinreichend für die Bildung einer Rückstellung. Eine rechtlich entstandene Schadensersatzverpflichtung muss keine wirtschaftliche Last darstellen, z. B. wenn der Geschädigte den Schaden noch nicht entdeckt hat. Letztlich entscheidet der Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung, so dass im Einzelfall auch eine rechtlich noch nicht entstandene Verbindlichkeit eine Rückstellung begründen kann.

Entscheidend ist, ob der Tatbestand, den das Gesetz oder ein Vertrag an das Entstehen der Verbindlichkeit knüpft, im Wesentlichen verwirklicht ist. Die rechtliche Entstehung der Verbindlichkeit darf nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängen.

Eine rechtlich noch nicht entstandene Verbindlichkeit rechtfertigt eine Rückstellung, wenn sie eng mit dem betrieblichen Geschehen des vergangenen Wirtschaftsjahrs zusammenhängt und ihre Erfüllung Vergangenes abgilt. Zukunftsorientierte Verpflichtungen sind hingegen nicht zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für Verpflichtungen, die aus künftigen Gewinnen zu tilgen sind.

2.5 Wahrscheinlichkeit des Bestehens und der Inanspruchnahme

Der BFH hat im Fall einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bei gerichtlich geltend gemachten Schadensersatzforderungen entschieden, dass zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit und der Wahrscheinlichkeit ihrer tatsächlichen Inanspruchnahme zu unterscheiden ist. Das beiden Voraussetzungen innewohnende Risiko könnte unterschiedlich hoch zu bewerten sein.[1]

Eine Verbindlichkeitsrückstellung setzt in tatsächlicher Hinsicht voraus, dass der Steuerpflichtige ernsthaft mit einer Inanspruchnahme rechnen muss. Der BFH bemüht in vielen Fällen die sog. 51 %-Grenze, nach der "mehr Gründe für als gegen das Entstehen der in Rede stehenden Verbindlichkeit und die künftige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen sprechen müssen".[2]

Bei fehlender Wahrscheinlichkeit besteht ein Pas...

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