Leitsatz

1. Das FA kann einen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Haftungsschuldners unterbrochenen Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids sowohl gegenüber dem Insolvenzverwalter als auch gegenüber dem Schuldner aufnehmen.

2. Im Fall der Aufnahme des Rechtsstreits durch das FA wandelt sich das ursprüngliche Anfechtungsverfahren in ein Insolvenzfeststellungsverfahren, mit dem gegenüber dem Insolvenzverwalter die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle begehrt werden kann.

 

Normenkette

§ 74 Abs. 1 AO, § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 2, § 184 S. 2, § 185 S. 2 InsO

 

Sachverhalt

Ein Kommanditist war mit Haftungsbescheid wegen rückständiger Steuerschulden der insolvent gewordenen KG gem. § 69 und § 74 Abs. 1 AO in Anspruch genommen worden. Er erhob Klage gegen den Bescheid. Während des Rechtsstreits wurde auch über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet.

Sowohl der Schuldner (also der Kommanditist) als auch der Insolvenzverwalter haben der Feststellung der Haftungsforderung zur Tabelle im Prüfungstermin widersprochen. Nachdem der Insolvenzverwalter die Aufnahme des Rechtsstreits abgelehnt hatte, hat das FA beantragt, das unterbrochene Verfahren als Feststellungsverfahren fortzusetzen. Der Schuldner hat seinerseits die Aufnahme des Rechtsstreits beantragt. Das FA beantragt die Feststellung der Haftungsforderung zur Tabelle zur Beseitigung der von dem Schuldner und Insolvenzverwalter erhobenen Widersprüche.

Das FG erachtete die Feststellungsklagen für zulässig und begründet (FG Düsseldorf, Urteil vom 12.10.2006, 11 K 2025/06 F, Haufe-Index 1644161, EFG 2007, 13).

 

Entscheidung

Die dagegen gerichtete Revision wies der BFH zurück. Die Anträge des FA, das in die Klägerrolle eingerückt ist, sind zulässig und begründet. Ein Interesse des Insolvenzschuldners an der sofortigen Streitklärung gegenüber dem FA ist gegeben.

Der von dem Schuldner erhobene Widerspruch gegen die Feststellung der Forderung zur Tabelle lässt erwarten, dass er sich ggf. auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens gegen das FA zur Wehr setzen wird. Es ist prozessökonomisch, die dann erforderliche rechtliche Klärung schon jetzt vorzunehmen, wenn das Gericht wegen des Widerspruchs des Insolvenzverwalters ohnehin mit den Sachfragen befasst ist. Die mithin eintretende Streitgenossenschaft von Verwalter und Schuldner schließen die einschlägigen Vorschriften nicht aus; denn die gegenüber beiden zu klärenden Ansprüche des FA sind "gleichartig", wenn auch nicht gleich.

 

Hinweis

Das FA kann einen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerschuldners unterbrochenen Anfechtungsrechtsstreit gegenüber dem Insolvenzverwalter nach § 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 2 InsO aufnehmen. Das Verfahren verwandelt sich dadurch in ein Insolvenzfeststellungsverfahren. Die Beteiligten müssen ihre Anträge entsprechend neu formulieren (vgl. BFH, Urteil vom 07.03.2006, VII R 11/05, BFH/NV 2006, 1215).

Kann das FA den Rechtsstreit auch gegenüber dem Insolvenzschuldner fortführen? Auch das hat der BFH im vorgenannten Urteil aufgrund des § 184 S. 2 InsO bejaht: Ist vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Steuerbescheid ergangen und angefochten worden und hat das FA seine Forderung sodann im Prüfungstermin angemeldet,  Insolvenzverwalter und -schuldner diese jedoch bestritten, so muss das FA die Feststellung der Forderung durch Aufnahme des Rechtsstreits gegenüber dem Insolvenzverwalter betreiben, um bei der Verteilung berücksichtigt zu werden.

Der Widerspruch des Schuldners gegen die Forderung steht der Feststellung der Forderung hingegen nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 S. 2 InsO), ist also während der Dauer des Insolvenzverfahrens bedeutungslos.

Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, kann aber eine Vollstreckung aus der Tabelle gegen den ehemaligen Insolvenzschuldner nicht betrieben werden, wenn er widersprochen hat. Die gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Schuldner über die Zulässigkeit der Vollstreckung aus dem dann wieder auflebenden Haftungsbescheid muss also ggf. fortgesetzt werden.

Aber kann dieser Streit schon während des Insolvenzverfahrens ausgetragen werden? Kann der Insolvenzschuldner als Streitgenosse des Insolvenzverwalters auftreten, obwohl beide einen unterschiedlichen gerichtlichen Ausspruch erwirken wollen? Und obwohl überhaupt nicht absehbar ist, ob es jemals zu einer Vollstreckung der Haftungsforderung nach Ende des Insolvenzverfahrens kommen wird und ob es dazu überhaupt noch kommen kann (Restschuldbefreiung möglich!)?

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 13.11.2007, VII R 61/06

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