Leitsatz

1. Nimmt das Finanzamt nach der rechtskräftigen gerichtlichen Aufhebung eines rechtswidrigen Grundlagenbescheids die nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gebotene Herabsetzung der Steuer im Folgebescheid nicht vor und erlässt es stattdessen einen zweiten rechtswidrigen Grundlagenbescheid, der durch eine weitere rechtskräftige gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird, entstehen Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 1 AO bereits seit der Rechtshängigkeit des ersten mit rechtskräftigem Urteil abgeschlossenen Verfahrens über die Aufhebung des Grundlagenbescheids, soweit die Zahlung der Steuer nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt ist.

2. Ist das Verhältnis von Grundlagen- zu Folgebescheiden dreistufig ausgebildet, kann eine gerichtliche Entscheidung der ersten Stufe (Wertfeststellung) ausreichen, damit ein Zinsanspruch betreffend die in der dritten Stufe festgesetzte Steuer (GrSt-Festsetzung) entsteht. Die Zwischenschaltung der zweiten Stufe (GrSt-Messbetrag) ist eine Frage der Gesetzgebungstechnik und unterbricht den Kausalzusammenhang nicht.

 

Normenkette

§ 37, § 155 Abs. 2, § 171 Abs. 10 Satz 1, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1 Satz 1, § 233 Satz 1, § 236 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 AO, § 20 Abs. 1 Nr. 1 GrStG

 

Sachverhalt

Das FA hob, nachdem in einem ersten Rechtsstreit vom FG mit Urteil vom 22.10.2014 die Bescheide über die Zurechnungsfortschreibung für nichtig erklärt worden waren, die Folgebescheide (GrSt-Messbescheid und GrSt-Bescheid) nicht auf. Es erließ vielmehr neue Bescheide über den Einheitswert und die Zurechnungsfortschreibung. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG setzte – in dem am 26.10.2016 rechtshängig gewordenen Verfahren – den Einheitswert auf 0 EUR herab. Dem Urteil folgend setzte das FA die GrSt-Messbeträge und die GrSt auf 0 EUR herab.

Die Klägerin beantragte Prozesszinsen zur GrSt nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO beginnend mit der Rechtshängigkeit des ersten Klageverfahrens. Das FA lehnte dies ab, da es der Auffassung war, dass Prozesszinsen erst ab der Rechtshängigkeit des zweiten Klageverfahrens entstanden seien. Das FG wies die hiergegen erhobene Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.1.2020, 3 K 3030/17, Haufe-Index 15956047).

 

Entscheidung

Die Revision war begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Der BFH konnte nicht abschließend in der Sache selbst entscheiden, da das FG – von seinem rechtlichen Standpunkt aus zu Recht – keine Feststellungen über den Tag der jeweiligen Zahlungen der GrSt getroffen hatte. Es muss daher vom FG im 2. Rechtsgang festgestellt werden, ob der Zinslauf statt mit dem Tag der Rechtshängigkeit des ersten FG-Verfahrens nach § 236 Abs. 1 Satz 2 AO erst mit dem Tag der Zahlung begann.

 

Hinweis

1. Nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO sind Prozesszinsen zu zahlen, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt. Die Vorschrift verweist auf die Regelung des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO, nach welcher der zu erstattende Betrag vorbehaltlich des § 236 Abs. 3 AO vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen ist. Ist der zu erstattende Betrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden, so beginnt gemäß § 236 Abs. 1 Satz 2 AO die Verzinsung mit dem Tag der Zahlung. Der Zinslauf endet mit der tatsächlichen Erstattung der Steuer.

2. Diese Regelung gilt auch dann, wenn ein Grundlagenbescheid in einem gerichtlichen Verfahren zu einer Herabsetzung der Steuer im Folgebescheid führt. Denn § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO modifiziert das in § 236 Abs. 1 AO enthaltene Tatbestandsmerkmal "eine festgesetzte Steuer herabgesetzt" in der Weise, dass die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung sich auf einen Grundlagenbescheid i.S.v. § 171 Abs. 10 Satz 1 AO bezieht, der seinerseits zu einer Herabsetzung der Steuer in einem Folgebescheid i.S.v. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO führt. Die Vorschrift bewirkt eine Zinspflicht so, als wäre die Steuerfestsetzung im Folgebescheid Verfahrensgegenstand gewesen.

3. Zinsgläubiger ist jeder am Rechtsstreit Beteiligte, somit auch der Beigeladene. Bei Folgeänderungen ist auch derjenige erstattungsberechtigt, der die Steuer gezahlt hat und zu dessen Gunsten die Folgeänderung vorgenommen worden ist.

4. Die Anwendung des § 236 AO setzt in allen Alternativen voraus, dass der angestrengte Rechtsstreit und die gerichtliche Entscheidung für den zu verzinsenden Erstattungsanspruch ursächlich gewesen sind. Findet die Herabsetzung der Steuer unabhängig von dem betreffenden Klageverfahren statt, fehlt es an der Kausalität.

5. Die Kausalität ist gegeben, wenn der Prozess – wie bei der Anfechtung eines Grundlagenbescheids – bestimmungsgemäß zu einer Erstattung führt und deshalb in Wirklichkeit über eine Herabsetzung der festgesetzten Steuer entschieden wird. Denn die gerichtlic...

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